Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Würzburg
Icon Pfeil nach unten
Landkreis Würzburg
Icon Pfeil nach unten

ZEUBELRIED: Hitlers letztes Aufgebot

ZEUBELRIED

Hitlers letztes Aufgebot

    • |
    • |
    Gedenkstätte: Neben der Zeubelrieder Kirche sind die Namen der deutschen Gefallenen verewigt, die im April 1945 dort in einem Massengrab bestattet wurden. Sieben von ihnen waren erst 17.
    Gedenkstätte: Neben der Zeubelrieder Kirche sind die Namen der deutschen Gefallenen verewigt, die im April 1945 dort in einem Massengrab bestattet wurden. Sieben von ihnen waren erst 17. Foto: Foto: Gerhard Meissner

    Zum 70. Mal jährte sich am 1. April die kampflose Einnahme Ochsenfurts durch amerikanische Truppen. Während für die meisten Bewohner der Stadt der Zweite Weltkrieg an jenem Ostersonntag unblutig zu Ende gegangen war, forderten erbitterte Gefechte zwischen Ochsenfurt und Zeubelried in den Tagen danach noch viele sinnlose Opfer. Junge, unerfahrene Offiziersschüler der deutschen Wehrmacht mussten sich den anrückenden amerikanischen Truppen entgegenstellen. Über 30 von ihnen fanden dabei den Tod. Einer von ihnen war der 18-jährige Werner Bettag aus Nürnberg, dessen Grab am Rand des Ochsenfurter Forsts bis heute an die Ereignisse der letzten Kriegstage erinnert.

    Das Wetter war ungewöhnlich warm für die Jahreszeit als ein Bataillon der 4. US-Division am Morgen des 2. April in Geroldshausen den Befehl erhielt, nördlich des Mains bei Ochsenfurt einen Brückenkopf zu errichten, um das Vorrücken der Kampfeinheiten zu sichern. Zu der Kommandoeinheit gehörte Frank T. Edwards, der sich später als Geschichtsprofessor am California State College mit einer Untersuchung der Kampfhandlungen beschäftigen sollte. In den 70er Jahren hatte er deshalb in einem Brief an den Ochsenfurter Bürgermeister um Unterstützung gebeten und darin einen genauen Bericht über die Gefechte im Ochsenfurter Forst abgegeben.

    Weil Pioniereinheiten die zwei Tage zuvor gesprengte Mainbrücke noch nicht wieder instand setzen konnten, überquerten in der Nacht gegen 22 Uhr drei Kompanien in Angriffsbooten den Main und drangen in Richtung Norden vor. Als sie am Rand des Forsts auf Gewehrfeuer stießen, zogen sie sich an die Hangkante zurück und warteten auf die Unterstützung leichter Panzer.

    Am 4. April gegen 15 Uhr rückte das US-Bataillon keilförmig gegen den Waldrand vor, um die deutsche Verteidigungslinie südlich von Zeubelried zu brechen, beschreibt Frank T. Edwards. Unterstützt wurden die Angreifer dabei von einer Panzereinheit, die unablässig aus ihren Maschinengewehren in den Wald feuerte. Zwei weitere Kompanien rückten währenddessen, unterstützt von Einheiten der 12. US-Panzerdivision, entlang des Steinbachtals auf Zeubelried vor.

    Was zur gleichen Zeit in dem kleinen Dorf geschah, daran kann sich Anna DeMarco, geborene Schimmer, noch genau erinnern. Von Hohestadt aus richteten die Amerikaner ihre Geschütze auf Zeubelried. Mehrere Granaten schlugen im Dorf ein, eine davon im Hof des Gemeindedieners Georg Meißner ein und riss die Ecke des Hauses weg. Er war zuvor von einem deutschen Hauptmann aufgefordert worden, den Befehl zur Räumung des Dorfes auszuschellen, erzählt Anna DeMarco. Die meisten Dorfbewohner widersetzten sich dem Befehl und hielten sich stattdessen im tiefen Felsenkeller im Anwesen des Bauern Kilian Kleinschrodt versteckt. Essen hatten sie nicht dabei und die wenigen Kerzen wurden bald gelöscht, aus Sorge, der knappe Sauerstoff könnte aufgezehrt werden. Die alten Frauen beteten unablässig den Rosenkranz.

    Dann wurde die ängstliche Menge durch einen lauten Knall aufgeschreckt. Um den amerikanischen Geschützen kein Ziel zu bieten, hatten die deutschen Truppen den Kirchturm gesprengt und dabei die Menge des Sprengstoffs falsch bemessen. Die Explosion brachte nicht nur den Turm, sondern das halbe Kirchenschiff zum Einsturz. Sämtliche Dächer in der Umgebung waren abgedeckt, die Fensterscheiben geborsten.

    Todesangst und Erleichterung gingen miteinander einher, als am 5. April die Kellertür von amerikanischen Soldaten aufgestoßen wurde. Mit einem zweiten Angriff von Erlach aus hatten die US-Truppen die deutschen Stellungen in die Zange genommen und überwältigt. Die meisten deutsche Offizieren waren zu diesem Zeitpunkt bereits geflohen und hatten die einfachen Soldaten ihrem Schicksal überlassen.

    Durch ein Spalier bewaffneter GIs mussten die Menschen nun den Keller verlassen. Die 54-jährige Maria Kämmerer wurde in der folgenden Nacht in ihrem Hof erschossen, nachdem ein Soldat sie aufgefordert hatte, still zu stehen und sie panisch versuchte, sich zu verstecken. Die Frau war auf dem Weg zur Toilette, erinnert sich Anna DeMarco.

    In den folgenden Tagen mussten die Männer und Frauen die deutschen Soldaten, die in den Stellungen um das Dorf gefallen waren, bergen. Mit Karren und Leiterwägen wurden sie ins Dorf gefahren und in einem Massengrab, das man vor der Kirche ausgehoben hatte, bestattet. 34 junge Männer seien es gewesen, sagt Anna DeMarco. 31 von ihnen ruhen noch immer dort. An ihre Namen erinnert die Inschrift in der beim Wiederaufbau der Kirche errichteten Gedenkstätte. Erst Wochen später fand ein Waldaufseher zwei weitere, bereits stark verweste Leichen in einem Gebüsch im Ochsenfurter Forst. Einer der Gefallenen war Werner Bettag. Ein Geschoss hatte seinen Bauch zerfetzt. Der pensionierte Lehrer Manfred Hinkelmann hat seinen Lebenslauf recherchiert.

    Am 13. Januar 1927 war Werner Bettag als Sohn eines Ingenieurs in Nürnberg geboren worden. Dort wuchs er auch auf, zusammen mit seinen Schwestern Helga und Gerda und seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Ernst, dem späteren Gründer der Spielwarenfabrik Big und Vater des weltbekannten Bobby Car.

    Im Sommer 1944 wurde Werner Bettag in den Reichsarbeitsdienst eingezogen und legte wenig später sein Notabitur ab. Sein Wunsch, wie der Vater ein Ingenieurstudium zu beginnen, blieb unerfüllt, nachdem er im Dezember 1944 als Panzergrenadier zur Wehrmacht einberufen wurde.

    „Es war meine Generation, die da verheizt worden ist.“

    Gerda Halbleib

    Nach kurzer Grundausbildung erhielt er den Befehl, an einem Offizierslehrgang in Coburg teilzunehmen. Unter dem Eindruck der heranrückenden amerikanischen Einheiten wurde der Lehrgang Ende März 1945 abgebrochen und die Ausbildungseinheit in eine Kampfeinheit umgewandelt. Die jungen, völlig unerfahrenen Soldaten erhielten den Befehl, den amerikanischen Vormarsch an der Mainlinie zu stoppen.

    Über Werner Bettags weiteres Schicksal blieb seine Familie lange Zeit im Unklaren. Ende Mai 1945 fuhren seine Eltern die amerikanischen Gefangenenlager in Franken ab, um nach ihrem Sohn zu suchen. Erst Wochen später erhielten sie mit seinem Soldbuch die amtliche Mitteilung, dass Werner Bettag am 4. April bei Kämpfen im Ochsenfurter Forst gefallen war und dort begraben liegt. Mit der Stadt Ochsenfurt vereinbarten sie, dass das Grab dort bleiben soll, wo ihr Sohn aufgrund eines aberwitzigen und völlig aussichtslosen Befehls sein Leben verloren hatte.

    Der Vater und später der Bruder von Werner Bettag beauftragen die Ochsenfurter Gärtnerei Mark und danach die Blumenbinderei Bögelein, das Grab zu pflegen. Nachdem die nahen Angehörigen inzwischen verstorben sind, kümmert sich Ludwig Bögelein heute weiterhin unentgeltlich um Werner Bettags letzte Ruhestätte. Die Blumen dafür stiftet Otto Blasczky. Bis in die 80-er Jahre war auch der Stahlhelm Werner Bettags auf einer Steinplatte vor dem Grabmal befestigt. Vermutlich wurde er einem Souvenirjäger zur Beute. Die Steinbank neben dem Grab hatte die Laufgruppe des TV Ochsenfurt, die sich unweit davon regelmäßig zum Training trifft, erneuern lassen.

    Seit kurzem ist auch die Inschrift des Grabsteins wieder gut lesbar. Gerda Halbleib hatte aus Anlass ihres 85. Geburtstags den Stein aufbereiten und die Schrift neu fassen lassen. Werner Bettag war genau so alt wie ein Jugendfreund, der 18-jährig an der Westfront gefallen ist, erzählt Gerda Halbleib. Auch ihr Vater starb als Soldat in Jugoslawien. Ein Grab wurde nie gefunden. Für Gerda Halbleib wurde stattdessen das Grab von Werner Bettag zur Stätte des Gedenkens an die eigenen Freunde und Verwandten. „Es war meine Generation, die da verheizt worden ist“, sagt sie.

    Die Gedenkstätte vor der Zeubelrieder Kirche wurde vor wenigen Monaten ebenfalls restauriert. Die Namen und Geburtsdaten der 31 dort beigesetzten Soldaten sind jetzt wieder deutlich zu lesen. Sieben von ihnen waren erst 17 Jahre alt.

    Gedenkfeier

    Der Arbeitskreis Geschichte aus Ochsenfurt lädt am Samstag, 18. April, um 10.30 Uhr zu einer Gedenkveranstaltung am Grab von Werner Bettag im Ochsenfurter Forst ein. Ein kurzer Spaziergang führt anschließend zu den Spuren der Kämpfe. Einzelne Stellungen, die die deutschen Soldaten gegraben haben, sind noch gut zu erkennen. Zu den Zeugnissen der Ereignisse im April 1945 gehören auch die zahlreichen Granatsplitter und Geschosse, die in alten Bäumen überdauert haben. Eichen und Buchen, die am Rand des Ochsenfurter Forsts wachsen, sind deshalb bis heute nur als Brennholz verwertbar. meg

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden