Lange galt die „Identitäre Bewegung“ als virtuelles Phänomen – sowohl inhaltlich als auch von der Größe und Bedeutung waren die Identitären kaum fassbar. Immer mehr macht die neurechte Gruppierung, die seit Anfang des Jahres vom bayerischen Verfassungsschutz beobachtet wird, nun mit Plakataktionen, Veranstaltungen und Demonstrationen auf sich aufmerksam. Vermehrt auch in Würzburg, speziell an der Universität.
Grund genug für die Hochschulgruppe der Jungsozialisten, dem Phänomen in einer Podiumsdiskussion nachzuspüren. Die Gäste: Politikwissenschaftlerin Tanja Wolf von der Uni Würzburg, SPD-Landtagsabgeordneter Georg Rosenthal und Thomas Witzgall, der für die Initiative „Endstation rechts“ die rechte Szene in Bayern beobachtet. Etwa 180 Zuhörer, größtenteils Studierende, waren gekommen.
„Blut- und Boden“-Ideologie
Die „Identitäre Bewegung Deutschland“ (IBD) tritt im Internet mit professionell gestalteten Webseiten, heroischen Videos und kreativen Aktionen auf. Das Erscheinungsbild: betont modern.
Das Weltbild, das dabei transportiert wird, ist für Georg Rosenthal hingegen ein altbekanntes. Mit einer umfangreichen schriftlichen Anfrage im Bayerischen Landtag förderte er im September einige Erkenntnisse zutage: „Ihre vornehmliche Aufgabe sieht die IBD in der Verteidigung und Bewahrung von ,Heimat, Freiheit, Tradition‘“, schreibt das bayerische Innenministerium in seiner Antwort auf Rosenthals Anfrage. Eine „ethnopluralistische Vorstellung von an bestimmte Territorien gebundene Völkern entspricht der rechtsextremistischen ,Blut und Boden‘-Ideologie.“
Verbreitung via Facebook
Hier weist Tanja Wolf jedoch auf einen Unterschied hin: Der Rasse-Begriff werde bei der IBD durch einen Kultur-Begriff ersetzt. Die IBD ist laut Wolf eine Bewegung, die die rechte Szene intellektualisiere, die subtiler und moderner agiere. „Zum Beispiel mit Flashmobs, Tanz- und Plakataktionen“, sagt Wolf. Diese Aktionen werden gefilmt und vor allem auf Facebook verbreitet. Dort existieren Unterseiten für eine Vielzahl von lokalen IBD-Gruppen. Diese teilen die Videos und Fotos der anderen Gruppen. „So schaffen es die Identitären, mit wenigen Leuten – oft nur zwei bis fünf Personen – online eine sehr große Reichweite zu generieren“, sagt Wolf.
Thomas Witzgall sieht darin den Versuch, „größer zu scheinen als man tatsächlich ist“. Das macht es für Beobachter der Szene und für das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz äußerst schwierig, einzuschätzen wie groß die Zahl der Aktivisten tatsächlich ist. Als gesichert gilt nur, dass die Aktionen häufiger werden, auch in Unterfranken: Zwischen März 2015 und Juni 2016 verzeichnet der Verfassungsschutz 17 Aktionen in Würzburg, Aschaffenburg, Schweinfurt, Schwebheim, Motten und Alzenau.
Eine Person, die eng mit der Identitären Bewegung in ganz Bayern verbunden ist, ist laut Witzgall der ehemalige Wügida-Kopf Simon Kaupert. Schon bei einer Wügida-Demo hatte Kaupert den Leiter der IBD, Nils Altmieks, als Redner geladen. Mittlerweile sei Kaupert „offizieller Mitarbeiter“ bei „Ein Prozent“, einer Organisation der Neuen Rechten, die der IBD eng verbunden ist. „Es sind immer wieder dieselben Namen, die in der rechten Szene und auch bei den Identitären auftauchen“, sagt Rosenthal. Dabei seien viele Bekannte aus mittlerweile verbotenen Organen.
Verbindungen zur AfD
Aber auch die unterfränkische AfD scheint den Aktionen der Identitären durchaus offen gegenüberzustehen – obwohl es offiziell einen Unvereinbarkeitsbeschluss gibt. Wie Witzgall berichtet, seien „Würzburger AfDler“ bei großen IB-Demonstrationen in Freilassing vor Ort gewesen. Laut dem bayerischen Innenministerium sei dort – mit Ausnahme von der Partei „Die Rechte“ – „das gesamte Spektrum der bayerischen rechtsextremistischen Szene vertreten“ gewesen.
Sammlungsbecken für Rechte
„Die AfD und die IB bauen am gleichen Haus“, sagt Witzgall. So zeigt sich auch ein Vorstandsmitglied der AfD Main-Spessart / Miltenberg auf Facebook öffentlich mit dem IB-Logo. Einen digitalen Daumen nach oben bekommt er dafür unter anderem von Nadja Stafl, stellvertretende Vorsitzende der AfD Unterfranken, und Richard Graupner, AfD-Stadtrat in Schweinfurt.
Aber wie gefährlich sind die Identitären tatsächlich? Für Tanja Wolf ist das moderne, subtile und hippe Auftreten der IB ein entscheidender Punkt: „Die Sympathisanten der IB sind im Schnitt sehr jung und es scheinen auch mehr Frauen angesprochen zu werden.“ Das gebe der rechten Szene die Möglichkeit, neues Wählerpotenzial heranzuzüchten.
Würzburgs Altoberbürgermeister Georg Rosenthal sieht in der Bewegung in erster Linie noch ein „Sammlungsbecken“ für verschiedenste rechte Gesinnungen. Somit sind für ihn die Inhalte nichts neues. „Das Neue sind die neuen Kleider“, so der Abgeordnete.