Ein Ort mit Licht- und Schattenseiten – wer im Internet die JVA Würzburg sucht, liest Lob und Tadel, Dankbarkeit und Erleichterung, auch Kommentare voller Wut und Hass. So verständlich das für eine Justizvollzugsanstalt sein mag, so erstaunlich scheint es beim ersten Betrachten, dass hier, in dieser eigenartigen Parallelwelt, viel mehr für Inhaftierte getan wird, um sie auf ein Leben nach der Haft vorzubereiten, als es im ersten Moment den Anschein haben mag. Zu dieser Vorbereitung auf eine Rückkehr in die Gesellschaft gehört auch die Schuldnerberatung.
Einmal pro Woche kommt mit Nadia Fiedler eine Beraterin, die sich ausschließlich mit der Problematik der Verschuldung der Inhaftierten befasst. Die Juristin ist bei der Christophorusgesellschaft angestellt. Letztere bietet kostenlose Schuldnerberatung im Gefängnis an. Seit zwei Jahren berät Fiedler, teils abwechselnd mit ihrer Kollegin Navina De, die schon seit über vier Jahren in der JVA tätig ist.
Freundlich, aber bestimmt
Was sie ihren gefangenen Klienten zu sagen hat, sagt sie freundlich, aber bestimmt. Sie müssen selbst die Initiative ergreifen, um von ihren Schulden weg zu kommen. Das heißt: Sie müssen ihre Absicht kundtun, müssen bereitwillig alles offenlegen, was mit ihrer finanziellen Situation zu tun hat, die Gefangenen selbst müssen zum Beispiel die Schufa (Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung) und weitere Auskunfteien anschreiben, um Auskunft über sich selbst zu erhalten.
Nadia Fiedler ist es, die sich auf ihr Gegenüber einstellt und Wege aufzeigt, die er zur Entschuldung gehen kann. Die Bewertung des Klienten seitens der Auskunfteien kann sie bei den Verhandlungen mit dessen Gläubigern einbringen, ebenso wie die Tatsache, dass er einsitzt.
Es gibt Spielregeln
„Dann wissen die Gläubiger, dass für die nächste Zeit wirklich nichts zu holen ist.“ Ziel ist der teilweise Erlass der Schulden oder in anderen Fällen wenigstens die Stundung, damit sich Zinsen und Zinseszinsen nicht immer noch mehr anhäufen. Ziel ist im Idealfall die außergerichtliche Schadensregulierung oder, falls dies nicht möglich ist, die Insolvenz.
Bei einer Privatinsolvenz, die auch Inhaftierten als Ausweg zur Schuldenregulierung offen steht, hat der Klient sechs Jahre lang pfändbare Beträge abzuführen, sowie Auskunfts- und Mitwirkungspflichten zu erfüllen. Und pfändbare Beträge können durchaus auch in der JVA anfallen, denn die Inhaftierten sollen im Knast arbeiten, so weit Arbeit vorhanden ist: entweder intern (zum Beispiel in der Küche, im Lager oder bei internen Firmen), oder im Auftrag verschiedener externer Firmen. Der Verdienst ist minimal, trotzdem kann sich im Laufe der Monate und Jahre eine kleine vierstellige Summe bilden.
Diese Spielregeln den Gefangenen zu erklären, ist wichtig, denn auch wenn die Motivation anfangs bei den meisten sehr hoch ist, kann diese im Lauf des Beratungsprozesses durchaus schwinden. Wer aber auf Briefe des Insolvenzverwalters oder des Gerichts nicht antwortet, gefährdet seine Restschuldbefreiung, die das Ziel des Verfahrens ist.
Restschuldbefreiung
Durch die Restschuldbefreiung ist der Klient nach sechs Jahren schuldenfrei, ausgenommen sind allerdings Schulden aus unerlaubter Handlung wie Körperverletzung oder Sachbeschädigung, und aus Geldstrafen und Geldbußen.
Zinsen und Zinseszinsen – eben die sieht der Gefangene F. (Name der Redaktion bekannt), knapp 40, als sein Problem an. Als Subunternehmer eines anderen hatte er Kurierdienste übernommen und seine eigene kleine Firma betrieben. Sein Auftraggeber zahlte jedoch nicht und bis er realisierte, dass da offenbar kein einziger Euro kommen würde, hatte er schon ordentlich Schulden.
Dann heuerte er als Kraftfahrer bei der nächsten Firma an, aber auch hier sei er nicht bezahlt worden, berichtet er. Sein Auftraggeber habe statt dessen die Firma geschlossen und Insolvenz angemeldet. F. ging auch hier leer aus. Weil er Unternehmer war, gab es nun kein Arbeitslosengeld. Mit vielen Unterlagen kann er seine Geschichte dokumentieren.
Immer mehr Schulden
Privat sei er auch betrogen worden, klagt er. Immer mehr Schulden seien zusammengekommen, immer mehr Zinsen standen an, bis heute ist er über 100 000 Euro schuldig.
Was die Beraterin ihm sagt, saugt er auf wie ein Schwamm, er hat sich einen Ordner angelegt, in dem er ganz genau festhält, was zu tun und was erledigt ist, und einen Überblick über seine Finanzen hat er jetzt auch. Bevor er eingebuchtet wurde, war das anders. Seine Verschuldung sei eine massive psychische Belastung gewesen, immer mehr Briefe seien gekommen, die er nicht mehr öffnen mochte.
Leben unter der Brücke
Allmählich gab er alles auf, er verlor die Wohnung, schlief im Auto, irgendwann unter der Brücke, dann klaute er. Und landete im Knast. Hier hat Nadia Fiedler mit ihm seine Situation erörtert, mögliche Lösungswege besprochen und letztendlich mit ihm den Insolvenzantrag eingereicht.
Die Beraterin bietet jedem, der sie braucht, ihre Informationen an. Dies ist nur möglich aufgrund der großen Unterstützung, die sie seitens der JVA erfährt. „Ohne die intensive und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Anstaltsleitung, dem Sozialdienst und den uniformierten Beamten wäre die Beratungsarbeit nur schwer möglich“, sagt sie.
Ein 50-jähriger Gefangener sitzt aufgrund seines Drogenhandels in Untersuchungshaft. Für seine Verfehlungen zählt er viele Gründe auf – wobei Nadia Fiedler nie danach fragt. Sie hat Respekt vor jedem – dazu gehört auch Zurückhaltung. Aber die Männer wollen oft reden, wenn sie mit ihr alleine im Beratungsraum sitzen und hier Zeit und Ruhe dafür finden.
So sagt jetzt der 50-Jährige, er habe mit niemandem über seine Probleme gesprochen, sei aber immer gereizter gewesen. Als sein Vater ernsthaft krank wurde, schmiss der Außenhandelskaufmann seinen Abteilungsleiter-Job in Nürnberg hin und betreute seinen Vater in Würzburg.
Private Belastungen
Der Vater war zwei Jahre Pflegefall und vier Monate im Hospiz, bevor er starb. Das warf den 50-Jährigen aus der Bahn. Er nahm Drogen, vorwiegend Ecstasy. Seine Sorgen und Gefühle verriet er seiner schwer kranken Mutter nicht, um sie nicht zu belasten, sagt er heute. Bald fing er an, mit Drogen zu handeln. Als die Polizei ihn fasste, sei das wie im Krimi gewesen. Er sei vier Jahre beobachtet worden, behauptet er – dann erfolgte der Zugriff ganz schnell.
Der frühere Kaufmann hat weniger als 10 000 Euro Schulden. Er ist auch nicht auf eine Privatinsolvenz aus, sondern will mit der Schuldenberaterin Möglichkeiten durchdenken, welche Beträge er auf welche Art verändern kann.
Wichtig sei für diesen Klienten, so Nadia Fiedler, „dass er Ruhe hat und nicht ständig belastende Briefe zum Beispiel von Inkassounternehmen kommen!“ Und der Klient selbst: „Ich find' es toll, dass man überhaupt eine Anlaufstelle hat und so auch aus dem Knast heraus etwas tun kann.“
Was bewegt Nadia Fiedler, diesen Job zu machen? „Ich will, dass den jetzigen Gefangenen der Start ins Leben wieder gelingt“, sagt sie. Getragen von einem christlichen Menschenbild will sie erreichen, dass die Inhaftierten später nicht erneut kriminell werden. Angst habe sie dabei noch nie gehabt.
Justizvollzugsanstalt Im Gewerbegebiet Würzburg-Ost am Friedrich-Bergius-Ring befinden sich seit 1997 die Justizvollzugsanstalt Würzburg (JVA Würzburg) und die Jugendarrestanstalt (JAA) von Würzburg. Das Gelände der JVA/JAA hat eine Größe von 17 Hektar und ist von einer sechs Meter hohen und 1,1 Kilometer langen Mauer mit vier Wachtürmen umzogen. Die Anstalt bietet über 600 Haftplätze und untergliedert sich in fünf Unterkunftsgebäude, verschiedene Werkhallen, Verwaltungstrakt, eine Krankenabteilung und eine psychiatrische Abteilung. Hinzu kommt eine große Sportanlage innerhalb der Mauer. Belegung: In der JVA werden Männer und Frauen aus dem Landgerichtsbezirk Würzburg (bei Frauen: Würzburg und Schweinfurt) untergebracht – 476 Männer und 96 Frauen (Stand: Anfang Februar). Etwa 20 sind in der JAA, im Verhältnis 3:1 junge Männer und Frauen. Die Unterbringung erfolgt in Einzelhafträumen (400) und in Gemeinschaftshafträumen mit zwei bis vier Betten. Angestellte: In der JVA arbeiten über 250 Bedienstete, davon 153 Bedienstete des allgemeinen Vollzugsdienstes, 17 Handwerksmeister im Werkdienst, 34 Bedienstete im Krankenpflegedienst, 15 Verwaltungsleute, und 30 Fachdienste (Ärzte, Sozialpädagogen, Psychologen, Pfarrer, Pädagogen und Juristen). Leiter der JVA ist Robert Hutter, sein Stellvertreter Florian Zecha.