Geht es nach dem 51-jährigen Angeklagten, dann war das Geschehen in jener Nacht am 29. September 2007 ein einziger Blackout. „Ich kann mich an den Verfall nicht erinnern“, lässt er das Würzburger Jugendschöffengericht wissen.
Ein damals 16-jähriger Jugendlicher, der in der fraglichen Nacht zum Opfer des Angeklagten geworden war, hat den „Vorfall“ allerdings nicht vergessen. Das zumindest sagen seine Mutter und eine Bekannte als Zeugen vor Gericht aus. Dem jungen Mann wird eine Vernehmung erspart, dafür verliest der Vorsitzende eine seinerzeit bei der Polizei gemachte Aussage.
Fast nackt vor der Tür
Danach hilft der Jugendliche damals in der Kitzinger Siedlung einer Nachbarin als Babysitter aus. Kurz vor drei Uhr nachts klopft es an der Wohnung, in der er mit dem schlafenden Kind allein ist. Weil er denkt, es sei die Nachbarin, die aus der Disco zurückkommt, öffnet er die Tür. Doch da steht der Angeklagte, der ein Haus weiter wohnt – fast nackt und nur mit einem T-Shirt bekleidet. Er stürmt an dem Jugendlichen vorbei und wirft sich auf die Couch im Wohnzimmer. Schon bald dämmert dem 16-Jährigen, dass sich der betrunkene Mann wohl in der Tür geirrt hat. Als er das dem Angeklagten sagt, wird der aggressiv und schlägt um sich. Der Mann fällt zu Boden, der Jugendliche will ihm aufhelfen.
Was dann geschieht, ist Gegenstand der Anklage. Der ungebetene Besucher zieht den Kopf des Jungen zu sich und schiebt ihm gewaltsam die Zunge in den Mund. Dann drückt er den Kopf des körperlich unterlegenen 16-Jährigen abwärts und zwingt ihn zum Oralverkehr. Erst nach endlosen Sekunden kann sich der Junge befreien und ins Bad flüchten. Von dort aus alarmiert er die Nachbarin per SMS, die sofort heimkommt. Gemeinsam mit einem Bekannten bringt sie den Mann unter Kontrolle und ruft die Polizei.
Der 16-Jährige weint und zittert am ganzen Körper. „Er hat die ganze Zeit nur zu Boden geschaut“, berichtet die Nachbarin. Er muss sich in psychiatrische Behandlung begeben, noch heute hat er Angst vor dem Angeklagten.
Mehr als drei Promille
Der jedoch ist nach den Worten seines Verteidigers eigentlich ein sympathischer Kerl. Immer wieder verweist der Anwalt auf den hohen Alkoholpegel von weit über drei Promille, den sein Mandant im Blut hatte: „Da weiß man nicht, was man tut und kann sich hinterher an nichts erinnern.“ Allerdings nützt dem Angeklagten eine Flucht ins Dunkel des verlorenen Gedächtnisses wenig: Nach dem Vorfall wurde bei ihm ein Abstrich am Penis gemacht. Darin fanden sich DNA-Spuren des Jugendlichen.
Brisanz erhält die Tat durch einen Verdacht, den der Staatsanwalt äußert: Die Sex-Attacke habe eigentlich nicht dem 16-Jährigen, sondern der damals zwölfjährigen Stieftochter des Angeklagten gegolten. Während der Vergewaltigung hat der Angeklagte laut Aussage des Jugendlichen mehrfach den Namen seiner Tochter ausgesprochen und habe gesagt: „Ich will ein Kind mit dir.“ In seinem Alkoholdunst habe der Angeklagte das Opfer lediglich mit seiner Tochter verwechselt, so der Staatsanwalt. Dafür spreche auch, dass das Wohnzimmer an der Stelle liege, wo in der Wohnung des Angeklagten das Kinderzimmer ist. Ein Verdacht, der freilich nicht zu beweisen ist.
Psychiater: Es war Vollrausch
Nachdem ein psychiatrischer Gutachter dem Angeklagten bescheinigt, völlig betrunken gewesen zu sein, beantragt der Staatsanwalt eine Verurteilung wegen vorsätzlichen Vollrauschs, der freilich auch kein Freibrief für eine schwere Straftat ist. Denn der eigentliche Tatvorwurf lautet auf sexuelle Nötigung – sprich Vergewaltigung. Der Staatsanwalt fordert drei Jahre ohne Bewährung und verweist dabei auf die Gewalt, die der Angeklagte ausgeübt habe. Der Verteidiger sieht lediglich eine fahrlässige Tat und eine „einmalige Entgleisung“. Zehn Monate mit Bewährung seien ausreichend.
Das Schöffengericht sucht schließlich den Mittelweg: zwei Jahre auf Bewährung, dazu eine Ausgleichszahlung von 2000 Euro an das Opfer. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig: Der Staatsanwalt behielt sich die Prüfung eines Rechtsmittels ausdrücklich vor.