Die zweite Familie, der eine eigene Reihe von Videos gewidmet wird, ist die von Otto Seidel. Der Angestellte der Universitäts-Augenklinik führte jahrzehntelang Tagebuch und so lassen sich seine Erlebnisse, die fast ein ganzes Jahrhundert widerspiegeln, genau rekonstruieren.
Als Josef Neckermann, der spätere Versandhaus-König, 1990 seine Memoiren veröffentlichte, nahm er ein Bild auf, auf dem sowohl er als auch Hans Ruschkewitz in den zwanziger Jahren zu sehen sind. Ein Jahrzehnt später sollten sich die Wege der Familien Ruschkewitz und Neckermann erneut kreuzen. Für 50 000 Mark übernahm Neckermann 1935 im Rahmen der „Arisierung“ das Warenhaus sowie das angeschlossene Niedrigpreisgeschäft „Merkur“ in der Eichhornstraße.
Die jeweils etwa vier bis fünf Minuten langen Videos mit Geschichten zu den Familien Ruschkewitz und Seidel sind mit historischen Fotos bebildert. Sie beginnen vor dem Ersten Weltkrieg. In den ersten beiden Filmen ist davon die Rede, wie die vier Ruschkewitz-Söhne mit ihrer Kinderfrau das Glacis durchzogen. Otto Seidel berichtet von seinem Militärdienst und dem Dienstantritt in der Augenklinik.
Zwei Videos behandeln den Ersten Weltkrieg: Max Ruschkewitz, Sohn des Warenhausbesitzers, meldet sich freiwillig an die Front und wird schwer verwundet; 1930 stirbt er an den Spätfolgen der Verletzung. Auch Otto Seidel kehrt verwundet in die Heimat zurück.
Nach dem Krieg herrscht Chaos in Deutschland. In Würzburg wird im April 1919 eine kommunistische Räterepublik ausgerufen; Otto Seidel beschreibt die Straßenkämpfe, bei denen mehrere Menschen sterben. Fritz Ruschkewitz, Bruder von Max, meldet sich zum Freikorps Würzburg, das die Spartakisten-Herrschaft in München brechen soll.
Hitler putscht in München
Im Mittelpunkt der beiden neuesten Videos stehen die Zwanziger Jahre: die Freundschaft zwischen Hans Ruschkewitz und Josef Neckermann und die galoppierenden Inflation, die Otto Seidel schwer trifft. In München putscht Adolf Hitler, und auch in Würzburg versammeln sich seine Anhänger, wie Seidel in seinem Tagebuch notiert.
Die Videos sind auf der Geschichtsseite der Main-Post im Internet
www.mainpost.de/geschichte
in der Rubrik „Filme“ zu finden. Die Ruschkewitz-Filme laufen auch auf „YouTube“:
www.youtube.com
(Suchbegriff: „Ruschkewitz“).
Auf
www.twitter.com
berichtet Roland Flade (Nutzername: @RolandFlade) von seinen aktuellen Forschungen.
Im Oktober erscheint sein neues Buch, das den Titel „Zukunft, die aus Trümmern wuchs. 1944 bis 1960: Würzburger erleben Krieg, Zerstörung, Wiederaufbau und Wirtschaftswunder“ tragen wird.
Der Band enthält zahlreiche unveröffentlichte Farbfotos aus den Vierziger und Fünfziger Jahren. Es geht unter anderem um die Erlebnisse Würzburger Kriegsgefangener in Russland und Frankreich sowie um die neu erwachende Lebensfreude in den Fünfzigern.