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WÜRZBURG: „Im Südsudan braucht man viel Geduld“

WÜRZBURG

„Im Südsudan braucht man viel Geduld“

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    Viele Kinder unter fünf Jahren sterben an Unterernährung im Südsudan.
    Viele Kinder unter fünf Jahren sterben an Unterernährung im Südsudan. Foto: Foto: JUH/Fernando Gutiérrez

    Die Gewalt im Südsudan ist wieder eskaliert und rückt das Land in den Fokus der Weltöffentlichkeit. Allein in den ersten Julitagen wurden in der Hauptstadt Juba mehr als 270 Menschen getötet. Die Bundesregierung ließ deutsche Staatsbürger ausfliegen. Es gilt eine Reisewarnung.

    Manfred Emmerling, gebürtiger Würzburger, hat sieben Monate im Südsudan für die Johanniter-Auslandshilfe gearbeitet. Der 41-jährige internationale Katastrophenhelfer hat dort von Oktober 2015 bis April 2016 die Logistik der humanitären Projekte im Landesbüro von Juba und den drei Feldbüros aufgebaut und koordiniert. Nach seinem Einsatz sprachen wir mit ihm in Würzburg.

    Bürgerkrieg, Hungersnöte... Was verschlägt einen ehemaligen Würzburger in den Südsudan?

    Manfred Emmerling: Ich war schon immer ein Weltenbummler im Bereich der Humanitären Hilfe. Doch meine Familie hat sich dieses Mal natürlich Sorgen gemacht. Ich konnte sie beruhigen. Wir wissen hier viel zu wenig über das Land.

    An welches Erlebnis denken Sie gerade?

    Emmerling: Einmal habe ich ein Dorf besucht, in dem die Familien Hühner von uns bekommen hatten. Sie haben aus Dankbarkeit einen „Hennentanz“ aufgeführt. Dafür haben sie Hühnerbewegungen und Hühnerlaute imitiert. Es wurde getanzt, gefeiert und wir wurden eingeladen. Sie leben in bescheidenen Hütten, aber sind glücklich und zufrieden. Sie teilen noch das Wenige, das sie haben. Wenn man diese Dankbarkeit spürt und plötzlich dieses Lachen hört, in einem Land, in dem die Lebensumstände doch so schwierig sind... das hat mich berührt.

    Wie sehen die Lebensumstände aus?

    Emmerling: Der Südsudan ist etwa doppelt so groß wie Deutschland und hat 10 Millionen Einwohner. Man schätzt, 70 Prozent der Bevölkerung sind Analphabeten und 40 Prozent leiden an Hunger. Die Sterblichkeitsrate bei Kindern unter fünf Jahren ist sehr hoch.

    Sie sagen, 40 Prozent der Menschen leiden an Hunger. Wem helfen Sie zuerst?

    Emmerling: Mit einem speziellen Armband untersuchen wir den Ernährungszustand der Kinder. Das Band misst den Umfang des Unterarms. Bei Kleinkindern lässt sich damit leicht der Grad der Unterernährung erkennen. Erwachsene haben größere Knochen, da ist der Wert nicht mehr so aussagekräftig. Das Band hat die Farbskala grün, gelb, rot. Rot ist ein Zeichen für akute, gelb für ernste Mangelernährung. Falls das Kind zu schwach ist, um selbst zu essen, wird es über eine Magensonde ernährt. Schwer unterernährte Kinder behandeln wir mit therapeutischer Aufbaunahrung.

    Was ist das für Nahrung?

    Emmerling: Da gibt es Energiekekse und eine Erdnusspaste, die Nährstoffe wie Fette, Eiweiße, Vitamine und Mineralien enthält. Leicht unterernährte Kinder unterstützen wir mit zusätzlichen Nahrungsmitteln wie Mehl, Öl und Zucker. Wir päppeln sie auf.

    Wie erklären Sie, was Sie vorhaben?

    Emmerling: Erst müssen wir die Dorfbevölkerung für unser Vorhaben gewinnen. Das läuft über den Dorfvorsteher. Wenn er überzeugt ist, findet eine Versammlung statt, zu der die Dorfbewohner eingeladen werden. Dort werden alle vermessen: ihr Gewicht, ihre Körpergröße, ihr Unterarmumfang.

    In welcher Sprache verständigen Sie sich?

    Emmerling: Die Landessprache ist Englisch. Je nach Region sprechen die Menschen auch Arabisch und unterschiedliche Dialekte.

    Nehmen wir an, die Kinder eines Dorfes werden einmal aufgepäppelt. Wie verhindern Sie, dass dieselben Kinder ein Jahr später verhungern?

    Emmerling: Parallel zur akuten Hilfe bieten wir Hygieneschulungen an. Unterernährung bei Kindern hat oft nicht nur mit zu wenig Essen zu tun. Häufig trinken die Kinder unreines Wasser. Sie bekommen Durchfall, erbrechen und verlieren an Gewicht. Wir trainieren die Eltern, dass sie vor und nach der Essenszubereitung ihre Hände waschen, Lebensmittel und Wasser abdecken.

    Hände waschen allein reicht aus?

    Emmerling: Nein, wir arbeiten daran, dass sich die Menschen selbst versorgen. Wir schenken den Familien Hühner und Ziegen. Wir zeigen, wie die Tiere gehalten und gepflegt werden. Von den Ziegen bekommen sie Milch, von den Hühnern die Eier. Dadurch haben sie ganz andere Lebensgrundlagen als vorher. All das führt dazu, dass weniger Kinder sterben.

    Von was haben sich die Familien vorher ernährt?

    Emmerling: Sie leben von dem, was sie selbst anbauen oder in der Natur finden. Die Arbeitslosigkeit ist extrem hoch. Auch Produkte auf dem Markt zu kaufen, ist schwierig. Die Inflation lag teilweise über 300 Prozent. Dazu kommt die ständig aufkeimende Gewalt...

    Sie leisten Hilfe zur Selbsthilfe?

    Emmerling: Ja. Entweder die Familien nutzen die Produkte, die wir ihnen geben, für sich selbst oder sie verkaufen sie auf dem Markt und bezahlen davon das Schulgeld ihrer Kinder. Wir zeigen ihnen, wie man Lebensmittel veredelt, dass man Eier kochen und damit einen höheren Preis erzielen kann. Oder wir organisieren eine Gemeinschaft, die ein Feld bewirtschaftet. Sie erhalten die Samen, das Knowhow und die Gerätschaften und arbeiten eigenverantwortlich. Das geht nicht von heute auf morgen, sondern braucht Zeit.

    Arbeiten die Johanniter allein?

    Emmerling: Nein, wir arbeiten mit Maltesern, Tierärzte ohne Grenzen, kirchlichen und privaten Einrichtungen zusammen.

    Wer finanziert ihre Arbeit?

    Emmerling: Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung fördert große Projekte. Aber wir sind auch dringend auf Spenden angewiesen.

    Hatten Sie als Logistiker mit den Familien zu tun?

    Emmerling: Wenig, meine Kollegen waren vor Ort. Ich war für alles zuständig, was für die Projekte gebraucht wird: Ich habe die therapeutische Zusatznahrung und das Material, das in unseren Gesundheitsstationen und Büros benötigt wird, beschafft, den Transport organisiert, die Verteilung unterstützt und dafür gesorgt, dass Geländewagen und Motorräder bereit stehen, mit denen meine Kollegen die entlegenen Dörfer erreichen können. Ich habe Stromaggregate funktionsbereit und Gebäude in Schuss gehalten.

    In einem Bürgerkriegsland, in dem sich die Sicherheits- und Versorgungslage täglich ändern kann, keine leichte Aufgabe...

    Emmerling: In den sieben Monaten im Südsudan habe ich immer wieder von Überfällen und Schießereien gehört. Die Gefahr war immer präsent. Doch vor einigen Wochen sind die Kämpfe richtig ausgebrochen. Zu dem Zeitpunkt war ich schon in Deutschland.

    Können die Johanniter den Menschen vor Ort jetzt überhaupt noch helfen?

    Emmerling: Unsere einheimischen Mitarbeiter arbeiten weiter, wenn auch eingeschränkt. Das Schwierige ist, dass man sich im Moment nicht mehr sicher und frei bewegen kann. Unsere Mitarbeiter müssen jedes Mal, wenn sie in die Dörfer rausfahren, äußerst vorsichtig sein. Es kostet Zeit und ist arbeitsintensiver, etwas voranzutreiben.

    Mit welchen Schwierigkeiten mussten Sie bei Ihrer Arbeit im Südsudan noch fertig werden?

    Emmerling: Es gibt im Südsudan keine Infrastruktur, wie wir sie kennen, kein Stromnetz und kein Wasserleitungssystem. Die Straßen sind desolat, wenn man sie überhaupt Straßen nennen möchte. Es gibt nur in Juba geteerte Straßen, im restlichen Land sind es Schneisen, die in den Busch geschlagen werden. In jeder Regenzeit ziehen Lkws die Straßen mehr in Mitleidenschaft. Für eine Strecke von 100 Kilometern braucht man fünf bis acht Stunden. Wenn es regnet, ist es manchmal unmöglich, überhaupt durchzufahren.

    Welches war der größte Unterschied zwischen Ihrem Arbeitsplatz in Berlin und im Südsudan?

    Emmerling: Im Südsudan hat es fast 40 Grad im Schatten. Und die Menschen agieren anders, als man es hier gewohnt ist.

    Zum Beispiel?

    Emmerling: Das Verständnis von Zeit ist ein anderes. Im Südsudan braucht man viel Geduld. Absprachen werden nicht immer eingehalten. Man darf sich von Rückschlägen nicht unterkriegen lassen. Wenn etwas nicht geklappt hat, muss man es einfach noch einmal probieren. Steter Tropfen höhlt den Stein.

    Wie sah Ihr Arbeitsalltag aus?

    Emmerling: Ich habe von unserem Landesbüro in Juba aus alle Feldbüros betreut. Die Erdnusspaste musste ich aus Europa, die Medikamente aus Kenia beschaffen. Außerdem war ich dafür zuständig, dass die Büros mit Wasser, Strom und Internet versorgt werden. Es muss ja alles rund um die Uhr laufen.

    Welche war Ihre größte Herausforderung?

    Emmerling: Es war der Umzug eines unserer Feldbüros. Ein Büro umzuziehen ist ja schon in Deutschland eine Herausforderung. Im Südsudan ist das eine ganz andere Hausnummer. Ich glaube, mein nächster Umzug hier in Deutschland wird ganz easy.

    Ist für Sie die Arbeit in Afrika nun beendet?

    Emmerling: Nein, ich betreue jetzt das Projekt von Berlin aus weiter.

    Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?

    Emmerling: Würzburg, Berlin, ein bisschen pendeln. Mal schauen, wohin es mich als nächstes verschlägt...

    Im Südsudan, der am 9. Juli 2011 seine Unabhängigkeit erlangte, begann 2013 ein Bürgerkrieg. Anhänger des zu den Dinka gehörenden Präsidenten Salva Kiir kämpfen gegen seinen Rivalen und einstigen Stellvertreter, Riek Machar von der Volksgruppe der Nuer. Bei dem Jahre dauernden Machtkampf starben Zehntausende Menschen, rund 2,5 Millionen weitere sind nach Angaben der Vereinten Nationen auf der Flucht. Im Juli waren die blutigen Kämpfe wieder aufgeflammt. Die Versorgungslage im Südsudan ist dramatisch: Es fehlt an Nahrungsmitteln, sauberem Wasser und medizinischer Versorgung. Seit 2012 kümmern sich die Johanniter vor allem um unterernährte Mütter und Kinder und sorgen für eine bessere medizinische Versorgung. Derzeit sind 193 Mitarbeiter im Land aktiv. In den vergangenen Jahren wurden mehr als 50 000 Kinder zwischen sechs Monaten und fünf Jahren auf Unterernährung untersucht und bei Bedarf mit Zusatznahrung behandelt. Zahlreiche Gesundheitsstationen wurden ausgestattet, saniert und betrieben. Aktuell unterhalten die Johanniter in Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsministerium in der Provinz Western Equatoria 24 Stationen (für rund 70 000 Bewohner). Die Erstversorgung eines Kindes kostet im ersten Lebensjahr rund 20 Euro (Impfung, Wurmkur, Kontrolle, Malariavorbeugung), eine Geburt in einer Gesundheitsstation 80 Euro, Aufbaunahrung für ein unterernährtes Kind in den ersten fünf Monaten 100 Euro. Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft, Stichwort "Südsudan", IBAN DE94 3702 0500 0433 0433 00, BIC BFSWDE33XXX.

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