- Was ist das für ein Stück? "Wozzeck" ist eine 1925 uraufgeführte Oper von Alban Berg (1885-1935) nach dem Dramafragment "Woyzeck" von Georg Büchner. Das Werk gilt wegen seiner einzigartigen Tonsprache, die harmonische und atonale Elemente verschmilzt, als Meilenstein der Musikgeschichte.
- Worum geht es? Der arme Soldat Wozzeck wird von allen nur gegängelt und gequält. Er lässt alles über sich ergehen, um weiterhin seine Geliebte Marie und ihr gemeinsames Kind ernähren zu können. Als er von einem Seitensprung Maries erfährt, bringt er sie um.
- Wie ist es umgesetzt? Regisseurin Sigrid Herzog zeigt weder Wozzeck noch Marie als Opfer. Sie deutet das Stück nicht als sozialkritische, sondern als menschliche Parabel. Die Grausamkeiten des Doktors und der Mitsoldaten geschehen nicht aus Sadismus, sondern aus Gleichgültigkeit, Langeweile oder Geltungssucht.
Es ist eine eigenartig saubere Welt, eine Spielzeugwelt, in der dieser "Wozzeck" spielt. Der Bühnenboden glänzt wie eine polierte Tischplatte. Marie lebt in einem stilisierten Puppenhaus, der Tambourmajor steht auf seiner rollenden Plattform wie ein überdimensionaler Zinnsoldat. Und der Hauptmann ist so kugelrund, dass man jeden Moment damit rechnet, ihn wie einen Luftballon aufsteigen zu sehen.

Heißt das, die Figuren werden von Kinderhand geführt? Will sagen: mit kindlicher Grausamkeit? Sigrid Herzogs Inszenierung der Alban-Berg-Oper für das Würzburger Mainfranken Theater, die am Sonntag Premiere in der Blauen Halle feierte, bietet keine einfachen Deutungen an. Wie ja überhaupt vieles rätselhaft ist an diesem Stück, das weder Trost noch Hoffnung kennt.
Die eigentlichen Grausamkeiten geschehen nicht aus Sadismus, sondern aus Gleichgültigkeit
In dieser gar nicht mal unwirtlich sterilen Welt, geschaffen von Harald Thor (Bühne), Tanja Hofmann (Kostümbild) und Stefan Bolliger (Licht), macht sich jedenfalls niemand die Hände schmutzig, während er den armen Soldaten Wozzeck quält und demütigt. Denn die eigentlichen Grausamkeiten sind nicht körperlicher Natur. Sie geschehen nicht aus Sadismus, sondern aus Gleichgültigkeit. Das entschuldigt nichts. Im Gegenteil.
Für seine Umgebung ist Wozzeck als Individuum, geschweige denn fühlendes Wesen gar nicht vorhanden. Kein Wunder, gebärden sich doch alle anderen selbst als überzeichnete Abziehbilder: Mathew Habib ist ein überkandidelt neurotischer Hauptmann, Brad Cooper ein dümmlich eitler Tambourmajor. Und Alexander Kiechle als Doktor wirkt in Anzug und weißen Sneakern wie das personifizierte Neokonservative.

Einzig Marie nimmt Wozzeck als Person wahr, zumindest in den Momenten, in denen sie nicht mit sich selbst beschäftigt ist. Das macht ihren Verrat auch so vernichtend. Der charismatische schwedische Bariton Kosma Ranuer Kroon vertraut seine Titelfigur ganz der unfassbar vielschichtigen Musik an - er wird ohne viel Mimik oder Gestik, dafür mit großer Präsenz und prägnanter Stimme, zur bannenden Projektionsfläche für die Klang gewordenen Emotionen Wozzecks.

Die Marie der isländischen Sopranistin Kristin E Mantyla funktioniert interessanterweise genau umgekehrt. Was vielleicht erklärt, warum die beiden als Paar nie eine Chance hatten. Mantylas Marie ist eine - wenn auch verhängnisvoll - handelnde Person, kein Opfer. Sie singt, als entstehe ihre Partie erst im Moment - sensibel, spontan und mutig.
Calessos letzte Musiktheaterproduktion
Was Wozzeck und Marie schließlich entzweit, ist das, was sie eigentlich gemeinsam haben: eine übersteigerte Wahrnehmung der Gemeinheiten ihrer tumben Umgebung bei vollkommener eigener Machtlosigkeit. Zum Schluss gerät Wozzeck selbst in den Strudel der gleichgültigen Grausamkeit, Marie hingegen nicht. Und das ist ihr Verderben.

Der scheidende Generalmusikdirektor Enrico Calesso lenkt in seiner letzten Musiktheaterproduktion für das Mainfranken Theater das Orchester im vollgepackten Graben ebenso wie Chor und Solisten umsichtig und präzise durch die immens schwere Partitur. Auch wenn die Blaue Halle an der einen oder anderen Stelle an ihre akustischen Grenzen stößt, das Sprechende, das Gestische, das Lyrische wie das emotional unmittelbar Zupackende der Musik ist dennoch vom ersten Ton an da.
Alban Bergs "Wozzeck" ist ein Stück, das bei jedem neuen Erleben neue Aspekte preisgibt. Und mit seinen nur knapp 100 pausenlosen Minuten ist es auch ein Stück, das sich für den wiederholten Besuch sehr gut eignet.
Weitere Vorstellungen: 12., 15., 21. Februar, 5. März, 3., 5., 27. April. Karten: Tel. (0931) 3908-124, www.mainfrankentheater.de