Zählen kann Hanne Schindler die Fotos ihres Mannes Wolfgang längst nicht mehr. Aber es müssen wohl einige Tausend sein, die der Reichenberger Ehrenbürger und langjährige Main-Post-Mitarbeiter im Laufe seines Lebens machte. Nun haben sie mit unzähligen anderen zeitgeschichtlichen Dokumenten, die Schindler sammelte, im neuen Reichenberger Gemeindearchiv eine zweite Heimat gefunden.
„Wolfgang Schindler war ein lebendes Archiv für Reichenberg.“
Karl Hügelschäffer Bürgermeister
Große und kleine Feste, Jubiläen, Weihnachtsfeiern, Geburtstage und viele andere Ereignisse des Gemeindelebens hielt der Pädagoge, der an der Volksschule Reichenberg 32 Jahre lehrte, in Wort und Bild fest. Über 50 Jahre lang, bis er im August 2006 fast 84-jährig starb. „Wolfgang Schindler war ein lebendes Archiv für Reichenberg, er war immer da und hat alles fest gehalten“, würdigte Bürgermeister Karl Hügelschäffer den reichhaltigen Fundus.
„Mein Mann sammelte alles, was irgendwie mit Reichenberg und den Ortsteilen zu tun hatte und klebte es ein“, sagt Hanne Schindler. Allerdings habe er nur ungern negative Dinge ausgeschnitten und archiviert. Viel, viel Platz habe er für sein Hobby gebraucht. „Wenn er archivierte, bin ich öfter mal weggefahren, weil er dann die ganze Wohnung mit Zeitungsausschnitten belegte“, erzählt sie schmunzelnd.
Für sein Hobby nutzte Schindler die besten Werkzeuge. Dass er im Krieg seine geliebte Leica verlor, sei das Allerschlimmste für ihn gewesen, so seine Frau. Vom ersten Geld kaufte er sich dann eine neue Kamera, natürlich wieder eine Leica. „Die Leicas haben ihn durchs Leben begleitet, das Fotografieren war seine große Leidenschaft“, so Hanne Schindler. Oft sah man Wolfgang Schindler gar mit zwei Kameras: Eine um den Hals und eine im Einsatz.
Über die Schenkung der Schindler'schen Dokumente freut sich Bürgermeister Karl Hügelschäffer: „Es ist schön, wenn man in alten Erinnerungen blättern kann, denn es ist ein Stück Heimat und Identität.“Unzählige Ordner füllen diese Erinnerungen. Einen weiten Weg in das neue Archiv hatten sie allerdings nicht: Sie mussten nur aus der Wohnung im ersten Stock des ehemaligen Lehrerwohnhauses in das neue Archiv im Keller umziehen.
„Mein Mann hätte sich darüber riesig gefreut, dass sein Archiv jetzt so professionell untergebracht wird“, meint Hanne Schindler. Mit Liebe habe er alles gesammelt, Reichenberg und die Ortsteile seien seine erweiterte Familie gewesen. Um das Einscannen und Archivieren seiner Fotos kümmert sich nun der Reichenberger Hobbyhistoriker Ulrich Rüthel, ebenfalls Pädagoge und seit diesem Schuljahr in Pension.
Doch noch ist das neue Archiv nicht das, was es mal werden soll. Vieles ist noch im Argen, vieles unsortiert, vieles war im Bauhof oder in Fuchsstadt ausgelagert, vernachlässigt und extremen Temperaturschwankungen ausgesetzt. In den vergangenen zwei Jahren wurden die räumlichen Voraussetzungen geschaffen und mit der Volkskundlerin Susanne Lang ist die Gemeinde auf einem guten Weg. „Nach modernsten Gesichtspunkten wird das Archiv nun aufgebaut und im PC archiviert“, erklärt Hügelschäffer.
Seit März 2011 verbringt Lang rund 15 Stunden pro Woche im Reichenberger Archiv. Ein Ende ist noch nicht in Sicht. Denn viele Kisten, die noch in der Wolffskeelhalle lagern, warten ebenfalls darauf geöffnet zu werden. Derzeit bearbeitet Lang gerade den Ortsteil Fuchsstadt. Dabei ist ihr ein altes Dokument, ein Flur- und Lageplan aus dem Jahr 1689, in die Hände gekommen. Ob dies das älteste Schriftstück des Archivs ist, kann sie noch nicht sagen.
Eines steht aber fest: Für manche Schriften ist es höchste Zeit für die sachgemäße Archivierung. Denn viele sind bereits vom Rost befallen, der von Heftklammern herrührt. „Dieser Rost ist sehr aggressiv und zerfrisst die Dokumente“, sagt Hügelschäffer. Doch das größte Problem ist der Schimmel, meint Lang. Oberflächlich könne man ihn zwar entfernen. Dazu müssen die Archivmitarbeiter mit Handschuhen, Mundschutz, Kopfbedeckung und einem Spezialsauger arbeiten. Aber das Ganze hat einen Haken. „Die Schimmelsporen sind im Papier, die kriegt man nicht richtig raus“, sagt Lang. Nach der Spezialbehandlung müssen „angegriffene Objekte“ in einem extra Karton säurearm gelagert werden. „Dann hoffen wir, dass der Schimmel nicht wieder ausblüht“, so die Archivarin.
Und noch etwas fiel Lang bei ihrer Arbeit auf: Von Uengershausen und Lindflur gibt es wenig Material. „Die haben aus lauter Ärger über die Eingemeindung 1978 alles vernichtet“, ergänzt die stellvertretende Bürgermeisterin Judith Tewes.