Wer am Sonntag die Heilig-Geist-Kirche in der Dürrbachau betrat, zog am Eingang seine Schuhe aus. In Strümpfen und mit großen weißen Tüchern bedeckt, verteilten sich die Gläubigen der äthiopisch-orthodoxen Tewahdo-Gemeinde St. Marqos in dem runden Kirchengebäude: die Frauen rechts, die Männer links. Eine Wand aus roten Vorhängen, auf die goldene Kreuze gestickt sind, verdeckte den Altarraum. „Dahinter befindet sich unsere Bundeslade, eine Nachbildung des Originals“, erklärt Abay Kiros, der Schriftführer der Gemeinde und zuständig für die Kommunikation. „Erst diese Bundeslade hat unsere Gemeinde zur Kirche gemacht.“
Das war vor sieben Jahren. Geflüchtete aus Äthiopien und Eritrea feierten ihre Gottesdienste damals noch im Fahrradkeller der Gemeinschaftsunterkunft. Durch das Engagement einer Helferin und das Entgegenkommen der Pfarrei Heilig-Geist fanden die Gläubigen einen angemesseneren Ort: die Krypta der Kirche. Hier treffen sie sich nun jeden Sonntag.
Für das Patroziniumsfest, das einmal jährlich stattfindet, kamen die zahlreichen Familien schon um sechs Uhr morgens zusammen. Mehrstündige Gottesdienste sind nach der orthodoxen Liturgie keine Seltenheit – doch die Feier ihres Patrons, des heiligen Markus, beging die junge Gemeinde besonders feierlich. Bis nach zwölf Uhr mittags beteten, sangen und klatschten sie. Verschiedene Gruppen und Chöre traten auf. Außerdem waren Gäste aus der Stadtverwaltung sowie anderer Kirchen geladen.
Traditionen weitergeben
„Wir versuchen, mit der Stadt und den Kirchen in Würzburg eng zusammenzuarbeiten“, sagt Abay Kiros. Die Gemeinde sei sehr glücklich darüber, hier einen Ort gefunden zu haben, an dem sie ihren Traditionen ohne Probleme nachgehen und diese an ihre Kinder weitergeben könne. Eine Frau, deren weißes Gewand mit bunten Webstreifen verziert ist, nickt und sagt: „Das ist der einzige Ort, an dem wir alle zusammenkommen können. Es ist für uns ein Zuhause.
“ Tezera Tulu, der stellvertretende Vorsitzende der Kirchengemeinde ergänzt: „Als ich noch in meiner Heimat Äthiopien war, habe ich mir gedacht: Sollte ich einmal ins Ausland gehen müssen, möchte ich dort eine Kirche finden. Dieser Wunsch hat sich erfüllt.“
Als Höhepunkt des Gottesdienstes wurde die Bundeslade hinter den Vorhängen hervorgeholt und feierlich dreimal um die Kirche getragen. Junge Männer rollten Teppiche aus, Frauen und Kinder sangen, tanzten und klatschten in dem Zug, der die prachtvoll geschmückte Bundeslade unter Schirmen aus Brokatstoff begleitete. Andere schlugen die Trommel oder Glöckchen. Nur der Priester darf den für die Gläubigen heiligen Gegenstand tragen – eine Aufgabe, die Gebremariam Mulualem Mekonen zukam.
„Der Mensch kann überall auf der Welt sein“, sagt er später, „aber er sollte stets seinen Glauben praktizieren und bewahren.“ Seine Pflicht als Priester und Kirchenvorsitzender der Gemeinde sei, den Menschen die Liebe Gottes und den christlichen Glauben zu lehren, damit sie sich in Achtung und Würde begegnen und sich an ihre Heimat erinnern, sagt er.
Froh, den Glauben hier leben zu können
Auch Mulualem Mekonen ist aus Äthiopien geflohen, ebenso wie Abay Kiros, der vor knapp sieben Jahren nach Würzburg gekommen ist, um dem Regime in Äthiopien zu entgehen. „Meine leibliche Familie ist dort, aber meine geistliche Familie habe ich hier gefunden“, sagt er. „Der Glaube ist für uns wichtiger Bestandteil unseres Alltagslebens.“ Dass sie in Würzburg ihren Glauben leben könnten wie sie das in unserer Heimat taten, bedeute ihnen allen sehr viel. „Das kann man gar nicht in Worte fassen, es macht uns dankbar und froh“, sagt Kiros.
Hinzu kommt der Umstand, dass die Würzburger Heilig-Geist-Kirche einer ganz bestimmten Kirche sehr ähnlich sieht, deren Abbild hier einige auf ihren Gewändern tragen: St. Maria von Zion in der äthiopischen Stadt Aksum. Nach äthiopisch-orthodoxem Glauben wird darin die echte Bundeslade aufbewahrt.