Die „Kinder- und Hausmärchen“ der Gebrüder Grimm sind in Japan so bekannt wie Schloss Neuschwanstein, Rothenburg oder Würzburger Frankenwein. Nur wenige Jahre nach der Öffnung des Landes – 1887 – erschien die erste japanische Ausgabe dieses deutschen Exportschlagers. Seitdem haben die Grimmschen Märchengestalten dort Buchillustratoren, aber auch plastische Künstler, Zeichentrickfilmer und zuletzt Manga-Zeichner inspiriert.
Durch Vermittlung der Kasseler Brüder-Grimm-Gesellschaft sind nun im Siebold-Museum Märchen-Interpretationen zweier Künstler aus Tokio zu sehen: Die Malerin und Graphikern Megumi Asakura, die professionell Buch- und Zeitschriftenillustrationen sowie Plakate gestaltet, fängt in kleinformatigen Aquarellen den Zauber der bekannten Märchenfiguren ein. Inspiriert durch Einflüsse der Animé, der japanischen Zeichentrickkultur, aber auch japanische Grafiktechniken schuf sie einfühlsame Szenen, die Erwachsene und Kinder in gleicher Weise ansprechen.
Voller Witz und Esprit stecken die fantasievollen Skulpturen des „Metallkünstlers“ Ken Nakazato, der sich raffinierte Mechaniken und überraschende Effekte einfallen ließ: So klappt ein winziges Messerchen den bronzegelb schimmernden Apfel aus dem Schneewittchen-Märchen in zwei Hälften auf, in denen als Kerngehäuse ein Riechfläschchen mit Apfelschnaps erscheint! Durch Druck auf ein verborgenes Knöpfchen öffnet der „Froschkönig“ den golden Ball der Prinzessin, den er dem Betrachter entgegenstreckt.
Noch raffinierter sind die „Bremer Stadtmusikanten“: Wer am Schwanz der Katze zieht, schaltet ein Radio ein – den gewünschten Sender wählt man anschließend mit dem Schweif des Hundes! Witzige kleine Skizzen erläutern den Besuchern, die die humorvollen Kreationen natürlich nicht anfassen können, die ausgefeilten mechanischen Einfälle des Künstlers. Aber auch ohnedies sind die liebevoll gestalteten Skulpturen einfach nur schön anzuschauen.
Die farbigen Aquarelle Megumi Asakuras wurden bewusst etwas tiefer aufgehängt, um Kindern wie Erwachsenen die Möglichkeit zu geben, auf den kleinformatigen Kunstwerken auf Entdeckungsreise zu gehen: Schon bei der Eröffnung am vergangenen Sonntag konnte man Großeltern und Enkel gemeinsam eifrig diskutieren sehen!
Ergänzt werden diese Originalwerke durch eine Auswahl japanischer Grimm-Bilderbücher aus den letzten zwanzig Jahren, die der Geschäftsführer der Brüder-Grimm-Gesellschaft, Bernhard Lauer aus seiner Privatsammlung zur Verfügung gestellt hat: Das Spektrum reicht dabei von fotografierten Szenen aus Ikebana-Figürchen über knubbelig-knollige Animégestalten bis hin zu eher abstrakten Darstellungen – auch einige Mangas sind zu sehen, die sich eher an ein erwachsenes Publikum richten.
Ein bemerkenswertes Detail: 1862 traf Jakob Grimm Vertreter einer japanischen Handelsdelegation, die damals durch Europa reiste. Weitere Hintergründe zur Geschichte der Grimmschen Märchen in Japan sind in einem Vortrag zu erfahren, den Bernhard Lauer für den 6. Januar im Siebold-Museum angekündigt hat. Außerdem werden ein japanischer Märchen-Malkurs und eine Märchenerzählstunde für Kinder angeboten.
Die Ausstellung im Siebold-Palais in der Frankfurter Straße 87 ist noch bis zum 5. Februar täglich außer montags von 14.30 Uhr bis 17.30 Uhr zu sehen. Am ersten und zweiten Weihnachtsfeiertag ist das Museum geöffnet, aber an Heiligabend, Silvester und Neujahr geschlossen.