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WÜRZBURG: Jazzrock aus der Taucherglocke

WÜRZBURG

Jazzrock aus der Taucherglocke

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    Der in Eibelstadt bei Würzburg lebende Komponist und Klangkünstler Burkard Schmidl hat im Laufe seiner musikalischen Karriere schon viel erlebt. Aber nun durfte der 61-Jährige noch einmal eine ganz besondere Erfahrung machen. Denn Studioaufnahmen, die der Tasteninstrumentalist im Jahr 1980 mit seinen Kollegen Norbert Dömling (Bass) und Marlon Klein (Schlagzeug) machte, sind jetzt, 37 Jahre später, erstmals auf einem Tonträger veröffentlicht worden. Für einen Weltrekord reicht das nicht ganz, denn beispielsweise haben die Eagles kürzlich Liveaufnahmen veröffentlicht, die ganze 41 Jahre in den Archiven geschlummert haben.

    Ein Karton mit alten Kassetten

    Dass die CD mit dem Titel „In the Diving Bell“ (deutsch: In der Taucherglocke) überhaupt doch noch auftauchte, ist eigentlich einem Zufall geschuldet, berichtet Burkard Schmidl. Er habe zu Hause noch ein paar Kisten mit alten Kassetten aufgehoben und vor ein paar Jahren einmal darin gekramt, erzählt der Keyboard-Spezialist. Dabei stieß er auf die Aufnahmen des Trios „Dr. Aftershave“, die vom 19. bis 22. August 1980 im Stuttgarter Studio Zuckerfabrik entstanden sind. Beim Anhören war er erstaunt über die Qualität – sowohl musikalisch als auch aufnahmetechnisch.

    Im Laufe der Jahrzehnte waren sie bei allen drei Beteiligten mehr oder weniger aus der Erinnerung verschwunden, doch Schmidl erkannte schnell, dass es sich um interessantes und spannendes Material handelte.

    Drummer hatte das Mastertape

    Also nahm er zu seinen beiden Kollegen von damals Kontakt auf und berichtete über seine Entdeckung. Dabei stellte sich heraus, dass Drummer Marlon Klein das Masterband der Aufnahmesession besaß. Die Überraschung war bei allen Beteiligten groß und man trat mit dem deutschen Plattenlabel Garden of Delight in Kontakt, das auf Neu- oder Wiederveröffentlichungen deutscher Rockmusik aus den 70er- und 80er-Jahren spezialisiert ist. Dort wurden bereits die früheren Beastly-Platten auf CD neu veröffentlicht. Und Ende 2017 nun auch die beinahe vergessenen „Dr. Aftershave“-Stücke.

    Wurzeln bei „Missus Beastly“

    Dr. Aftershave sind im Grunde die deutsche Kraut- und Jazzrocklegende Missus Beastly, auch wenn die drei Musiker nie alle gleichzeitig in der Band spielten. Der aus Würzburg stammende Norbert Dömling war ab 1974 Mitglied von Missus Beastly, nachdem sich die Urbesetzung der Band aufgelöst hatte. Schmidl stieß als 19-Jähriger zur Band und wurde gleich zu ihrem Hauptkomponisten, der die weitaus meisten Songs für die beiden bekanntesten Beastly-Platten „Space Guerilla“ (1978) und „Dr. Aftershave and the Mixed Pickles“ (1976) schrieb. Drummer Marlon Klein trommelte in der letzten Bandphase bis zum endgültigen Ende der Band Anfang der 80er Jahre. In dieser Besetzung nahm die Band keine Platte mehr unter dem Namen „Missus Beastly“ auf. Allerdings fanden zwischendurch die Aufnahmen für die jetzt veröffentlichte „neue“ CD statt, die auch noch als Vinylplatte veröffentlicht werden wird.

    Virtuoser Jazz-Rock

    Was bietet nun die Musik aus der Taucherglocke? Zu hören ist ambitionierter Jazzrock von – trotz ihrer jungen Jahre – sehr versierten Musikern, die ihre Instrumente virtuos beherrschen. Chick Coreas frühe Return To Forever und Joe Zawinuls Weather Report können als Referenzpunkte dienen. Komplexe Kompositionen, virtuose und rasante Klavier- und Synthesizer-Passagen von Burkard Schmidl, elegante und pulsierende Basslinien von Norbert Dömling sowie Marlon Kleins flexibles und variables Schlagzeugspiel bestimmen die neun Kompositionen, die zwischen eineinhalb und acht Minuten lang sind. Mal geht es in den Stücken locker-flockig („Ferrets Run“, „Spiral Tape“), mal eher sphärisch („Resurrection Agents“, „In the Diving Bell“) zu Werke. „The Real Shave“ basiert auf einem an Miles Davis erinnernden Funky-Groove und „Jazzy James“ besticht durch die ausgefeilte Interaktion aller drei Akteure. Und in „Mysterious Pyramids“ werden spätere World-Musik-Projekte einzelner „Aftershave“-Musiker angedeutet. Das ist zeitloser Jazzrock, der überhaupt nicht krautig-ausufernd und damit antiquiert klingt.

    Schön, dass diese Taucherglocke noch aus den Untiefen des Archivs ans Tageslicht gehoben wurde. Um die Geschichte rund zu machen, würde man diese Stücke gerne auch mal auf der Konzertbühne hören.

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