Greser & Lenz sind der Witz in der FAZ. Seit 25 Jahren zeichnet die Frankfurter Allgemeine Zeitung tagespolitische Karikaturen. Sie bringen dabei Kleinbürgerwelt und politische Großwetterlage absurd zusammen, blicken in deutsche Wohnzimmer und Wirtshäuser und ins bundesrepublikanische Gedankengut. Und so liebevoll heimelig ihre Zeichnungen auch wirken - nie sind sie harmlos! Stattdessen gerne ein wenig böse. Und entlarvend.
fürDass aus dem Angebot, dass sie einst vom konservativen Blatt bekamen, tatsächlich ein Vierteljahrhundert Witze-Arbeit wird? Hätten sie 1996 nicht gedacht. 25 Jahre später leben und arbeiten Greser und Lenz in einem Jugendstilhaus in Aschaffenburg noch immer zusammen, in getrennten Wohnungen und einem gemeinsamen Atelier. Dort studieren und diskutieren sie täglich aktuelle Themen, skizzieren, probieren – und dann wird für die FAZ die ausgewählte Karikatur gezeichnet. Nach alter Schule mit Tusche, Feder und Aquarellfarben auf Papier.

Wie hält man es 25 Jahren zeichnend Seite an Seite miteinander aus? Gibt's Streitfälle? Und wie ist das mit der politischen Korrektheit? Ein Anruf in der Witzewerkstatt. Am Telefon ist erst mal Achim Greser. Heribert Lenz arbeitet gerade noch an einer Zeichnung über das Ende des Verbrennungsmotors.
Herr Greser, was war Ihre erste gemeinsame Zeichnung?
Achim Greser: Wir haben uns ja an der FH in Würzburg über die gemeinsame Begeisterung für das 1979 gegründete Satiremagazin Titanic kennengelernt und versucht, selbst in diesem Sinne zu arbeiten, also komische Geschichten ausdenken und zeichnerisch festhalten. Wir haben uns dazu mit zwei anderen Kollegen zusammengehockt in den schönen Wirtshäusern von Würzburg und braingestormt, auch wenn es diesen Begriff damals noch gar nicht gab. Eine Nebenleidenschaft, die natürlich leicht begründbar in das grafische Gesamtprogramm des Studiums gepasst hat, obwohl sie eigentlich dort nicht vorgesehen war. Es gab ja damals eine Trennung in diejenigen, die schnell das Studium erledigen wollten, um schnell einen fetten, hochdotierten Job in der Werbeindustrie zu kriegen . . .
. . . und denjenigen, die aus Spaß komisches Zeug gemacht haben?
Greser: Die Werbeindustrie war damals sehr lukrativ, aber das hat uns nicht so gejuckt. Wir waren eher künstlerisch unterwegs und wollten halt unseren Kram machen. Das ist auch gelungen.
Komisch-künstlerisch unterwegs – und auch politisch?
Greser: Der Zeitgeist, in den wir hineingeraten sind, war links. Die Grünen sind im selben Jahr wie Titanic gegründet worden, wir sind auch nach Bonn gereist zu Demonstrationen gegen die Pershing-II-Stationierung und gegen die Atomkraft. Wir haben den ganzen Stiefel da brav mitgemacht. Das war insofern ganz gut, weil wir beide eher aus konservativen, kleinbürgerlichen Verhältnissen kamen. Das war ein Kontrastprogramm, eine richtige Geistesauffrischung! Auch zum Geist, der damals in Würzburg vorherrschte.
Von dieser Herkunft zehren Sie offensichtlich noch heute, oder? Wenn man so das Personal Ihrer Zeichnungen anschaut . . . . Sie müssen viel Verständnis und Kenntnis haben über Kleinbürger und Otto und Erna Normalverbraucher.
Greser: Auf jeden Fall! Und das ist auch nichts, was wir leugnen wollten, diese Herkunft. Wir sind da nicht im Streit von daheim aufgebrochen, ganz im Gegenteil. Unsere neuen politischen Erfahrungen haben den liebenden Blick auf die Sittenverhältnisse, auf diese Milieus nicht getrübt. Bis heute nicht. Wäre ja noch schöner.

Für die Titanic zu zeichnen – und dann zugleich für die FAZ. Wie schafft man das?
Greser: Ja, das war sensationell! Als es 1996 losging bei der FAZ gab es Wetten von Titanic-Kollegen, die sagten, das geht keine sechs Wochen gut, dann seid ihr da wieder rausgeschmissen. Dieses Engagement bei der FAZ wäre zu Zeiten des Kalten Krieges, vor der Wende natürlich nicht denkbar gewesen. Die FAZ war auf der einen Seite des Schützengrabens, die Titanic auf der anderen. Erst nachdem sie auf der Siegerseite im großen weltpolitischen Kampf zwischen links und rechts, zwischen Kommunismus und Kapitalismus, stand, konnte sie sich generös zeigen und hat uns die Chance gegeben.
Aber beworben haben Sie sich da nicht, oder?
Greser: Nee, nee. Es gab vorher ein paar komische Zeichnungen im Feuilleton, zu Literatur und Literaturbetrieb. Darauf ist einer der Herausgeber, der für den Politteil verantwortlich war, aufmerksam geworden. Das war Herr Johann Georg Reißmüller, ein sehr mächtiger und sehr konservativer, man kann glaub‘ ich mit Recht sagen reaktionärer Mann. Der galt allgemein als Kommunistenfresser, was er gerne mit dem Hinweis, er sei nicht Kommunistenfresser, sondern Kommunistenesser retournierte. Einer, der immer Brass hatte gegen alles Linke. Ausgerechnet der hatte einen ziemlich abgefahrenen Humor oder eine Begeisterung für den schrägen Blick auf die Welt. Und er rief den verantwortlichen Literaturredakteur, der die Zeichnungen betreut hat, an und fragte: Sagen Sie mal, warum finde ich das lustig?
Warum?
Greser: Ja, eine schöne Frage. Jedenfalls war das für uns die Chance, den langgehegten Wunsch umzusetzen und unsere kleine Firma zu gründen. Seit der ersten Zeichnung haben wir als Greser & Lenz signiert und sind als Duo aufgetreten.

Die allererste Zeichnung damals im April 1996: Thema BSE, mit schönem Kuhfladen. Wie kann man sich das vorstellen - zu zweit zu zeichnen?
Greser: Das ist ja nix Neues. Denken Sie an die alten Meister, an Rubens, an die Tiepolos. Das geht durchaus, dass man sich in einer Werkstatt stilistisch verabredet und gleichberechtigt kooperiert, ohne dass es dem Betrachter auffällt.
Sie wissen bei den Karikaturen von vor 20 Jahren noch, wer gezeichnet hat?
Greser: Klar.
Woher kommen die Ideen?
Greser: Die Aufgabenstellung ist klar: die öffentliche Debatte zu gesellschaftlichen, politischen Themen, zu Skandalen, Katastrophen täglich verfolgen und mit unseren Mitteln der komischen Grafik darauf reagieren. Warum das dann immer so ausgeht, wie es ausgeht, hängt vielleicht damit zusammen, dass wir einen in der Kindheit oder Jugend erworbenen Dachschaden haben. Kann schon sein.

Wie oft streiten Sie beiden sich? Sind Sie überhaupt mal nicht einer Meinung?
Greser: Das ist schon ziemlich kongruent. Manchmal gibt es Zweifelsfälle oder bleiben Sachen liegen. Aber das Grundgefühl für Qualität, für den guten Witz, das deckt sich schon sehr.
Einer fängt die Zeichnung an, der andere zeichnet weiter?
Greser: Nein, nie. Wenn einer mal an einem Blatt dran ist, dann zieht er es auch durch. Was das Personal oder die Hintergrundausstattung betrifft, hat jeder sein eigenes Bilder-Archiv im Kopf.
Aber apropos guter Witz. Was ist ein guter Witz?
Greser: Tja, wenn man das so wüsst‘ . . . Schwer zu sagen. Es gibt keine definitive Erklärung für Witz und Humor.

Aber die FAZ findet nicht immer alles von Ihnen witzig, oder? Wurde viel abgelehnt in den 25 Jahren?
Greser: Das kommt immer wieder mal vor. Es gibt eine Sammlung abgelehnter Zeichnungen, aber es gab nie eine politische Zensur. Alles, was so untenrum stattfindet beim Menschen, sah man früher nicht so gerne. Da gab es Anstandsregeln . . . Aber man muss schon sagen: Da hat sich viel verändert! Es ist ein unglaublich vertrauensvolles Verhältnis und die FAZ ist wirklich großzügig. Da herrscht ein großer freier Geist.
Gibt es für Sie beide irgendwelche Tabus? No-Go-Themen?
Greser: Nein, gibt es nicht. Deshalb gibt es ja auch diesen Giftschrank bei der FAZ.
Was die öffentliche Debatte betrifft, die „Halbwertszeit“ von Themen – wie nehmen Sie die Schnelllebigkeit wahr?
Greser: Das ist tatsächlich mittlerweile ein Kriterium geworden für die Arbeit. Wenn man schon ahnt, dass die Sache übermorgen schon von einer anderen Angelegenheit eingeholt sein wird, braucht man gar nicht mehr rangehen. Das Gebot der Zeitung ist: möglichst aktuell zu sein, d.h. in der heutigen Zeit den Abstand zu den digitalen Nachrichtenkanälen möglichst kurz halten. Aber es gibt ja dankenswerterweise Themen, die nicht so schnell verschwinden.

Klimapolitik . . .
Greser: Ja, wobei da wieder das Problem ist: Wenn man mal eine schöne Lösung gefunden hat, bildet man sich ein, dass das Thema damit für einen erledigt ist. Von wegen. Varianten zu finden, macht es anstrengend.

Wer von Ihnen beiden ist böser?
Greser: Och, weiß ich nicht. Der Heribert.
Heribert Lenz lacht laut.
Greser: Gut, das wird erst beim Jüngsten Gericht entschieden.
Standardfrage für Komiker und Karikaturisten in diesem Sommer: Werden Sie Angela Merkel vermissen? Sie kommen ohne die Kanzlerin zurecht, oder?
Greser: Ja, das ist eher die Ausnahme, dass wir das politische Personal ins Bild setzen. Wir sind auch alt genug jetzt, dass wir uns von diesem Idealismus von Karikaturisten in jüngeren Jahren, die Welt retten zu wollen und erlösen zu können, gelöst haben.

Oh, da kündigen Sie jetzt aber keine Rente an? Sie zeichnen schon noch weiter?
Greser: Es hat ja kein Karikaturist jemals einen Krieg verhindert, auch wenn er Hunderte von Zeichnungen dagegen gemacht hat. Es hat ja kein Karikaturist überhaupt jemals etwas erreicht an Veränderung, ob positiv oder negativ, durch seine Kritik. Was will ich sagen? Das Führungspersonal dieser Republik ist uns ziemlich wurscht, solange sich kein autokratischer Narr an die Spitze setzt.
Klingt ein wenig sehr nüchtern. Sie haben mal gesagt: Die Karikatur ist in Gefahr. Wie ist die Lage? Wie sind die Zukunftsaussichten?
Greser: Unser Jubiläumsband ist ja eine Chronik des letzten Vierteljahrhunderts, eine Chronik der Ereignisse sowie ein heiteres Unterhaltungsangebot, das man querlesen kann. Und es ist aber möglicherweise auch eine Sammlung von Dingen und Angelegenheit, über die man – jedenfalls in unserer Lebensspanne – lange sehr unschuldig lachen konnte.
Die Unschuldigkeit ist verloren?
Greser: Der Ausgang ist offen. Es gibt ja momentan einen Transformationsprozess im Zuge der identitätspolitischen Bewegung, des Minderheitenschutzes . . . Alles neue Verabredungen, die scharf kontrolliert werden von Stellvertreter-Wächtern und Wärtern, die dann einzelne Begriffe ganz verbieten wollen. Wenn man einen Witz über jemanden macht, liegt der Diskriminierungsvorwurf sofort da. Das ist für uns tödlich. Wie ein Bäcker mit Mehlallergie, der ist beruflich auch am Arsch.
Stellvertreter-Wächter? Wärter über das Sagbare?
Heribert Lenz: In letzter Zeit tauchen neue moralische Führer auf, die ausmachen wollen, wo die Grenzen sind, was geht. Im Moment werden sie zurückgesetzt - das ist ein Riesenfehler. Es ist besser, wenn man heiter und mit Witz und manchmal auch verbal etwas grober miteinander umgeht. Wenn man immer versucht, dass alles sehr, sehr achtsam ist, und man bei jedem Wort aufpassen muss, da wird nur eine lieblose Sterilität daraus.

Also dann liebevoll! Haben Sie beide ein Lieblingsthema, bei dem Ihnen immer was einfällt, gerne was zeichnen?
Greser: Hast Du ein Lieblingsthema?
Lenz: Religion macht mir Spaß.
Greser: Das liegt auch daran, dass wir beide Ministranten waren und vor allem dass die das größte Erregungspotential hat. Als Beschwerdegrund gilt dann, dass die religiösen Gefühle verletzt seien. Deren Existenz ist schwer zu belegen. Ist die echt oder eine Schutzbehauptung, um eine kritische Diskussion zu unterbinden? Gott sei Dank wird bei uns vor den Gerichten in der Regel die Meinungs- und Kunstfreiheit höher bewertet als der strenge Schutz von Religiosität, wir leben schließlich in keinem Gottesstaat. Im Übrigen werden unsere ästhetischen Gefühle auch dauernd verletzt angesichts der architektonischen und werbewirtschaftlichen Darbietungen in unseren Innenstädten, samt der Aufzüge der darin herumirrenden Menschen. Wo sollen wir uns darüber beschweren? Grundsätzlich haben wir uns den subversiven, vorwitzigen Bubenspaß bewahrt, nämlich vorzugsweise uns die Leute vorzuknöpfen, die sich erwartbar ärgern werden über unsere Witze.

Noch mal der Versuch . . . was ist für Sie ein guter Witz?
Lenz: Der gute Witz ist der, der mich überrascht! Naheliegendes wird so oft gemacht.
Das Zeichnerduo Greser & LenzAchim Greser, geboren 1961 in Lohr am Main, und Heribert Lenz, geboren 1958 in Schweinfurt, lernten sich im Studium für Graphik- und Kommunikationsdesign in Würzburg kennen. In den 1980er Jahren gingen sie nach Frankfurt zum Satiremagazin Titanic. Als freie Mitarbeiter erst für die Gebrauchsgrafiken zuständig, fiel schnell ihr komisches Talent auf. Bundesweit bekannt wurde das Duo durch „Genschman“, seine Comicserie über Hans-Dietrich Genscher als Superman, und „Die roten Strolche“ über Rudolf Scharpings SPD. 1996 nahmen die beiden Unterfranken das Angebot der konservativen Frankfurter Allgemeinen Zeitung an, dort tagespolitische Karikaturen zu publizieren. 2007 druckte die FAZ dann erstmals eine Zeichnung auf Seite eins: Angela Merkel im Schlitten neben dem Weihnachtsmann – „Ich reise nur noch mit Ihnen. Ihre CO2-Bilanz ist sagenhaft.“2004 und 2018 gewannen Greser & Lenz den Deutschen Karikaturenpreis, außerdem 2015 den Ludwig-Emil-Grimm-Preis für Karikatur und 2016 den Karikaturpreis der deutschen Anwaltschaft. Zum 25-jährigen Jubiläum des Zeichner-Duos ist im Caricatura Museum Frankfurt bis 21. November eine große Ausstellung zu sehen: täglich außer montags 11 bis 18 Uhr, Weckmarkt 17, Tel.: (069) 212 301 61,www.caricatura-museum.de Und im Verlag Antje Kunstmann ist gerade der mächtige Jubiläumsband erschienen: „SCHLIMM! Ein Vierteljahrhundert Witze für Deutschland“, 705 Seiten, 48 Euro. nat