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WÜRZBURG: Jugendbildung: Was am Pflaster rassistisch ist

WÜRZBURG

Jugendbildung: Was am Pflaster rassistisch ist

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    Junge Menschen lassen sich in der Jugendbildungsstätte Unterfranken zum „Coach für rassismuskritische Arbeit“ ausbilden. In Übungen wird zum Beispiel gezeigt, wie die Reaktion auf das Gegenüber von der Hautfarbe beeinflusst wird.
    Junge Menschen lassen sich in der Jugendbildungsstätte Unterfranken zum „Coach für rassismuskritische Arbeit“ ausbilden. In Übungen wird zum Beispiel gezeigt, wie die Reaktion auf das Gegenüber von der Hautfarbe beeinflusst wird. Foto: Foto: Pat Christ

    Auf den beiden großformatigen Porträts ist ein und derselbe junge Mann zu sehen. Allerdings wurden die Bilder am Computer verändert: Auf einem Foto hat der Mann eine sehr dunkle, auf dem anderen helle Haut. Eine minimale Differenz. Aber sie kann im Alltag für gewaltige Unterschiede sorgen – das zumindest entdecken zwölf Männer und Frauen, die sich in der Jugendbildungsstätte Unterfranken (jubi) zum „Coach für rassismuskritische Arbeit“ ausbilden lassen.

    Vor zehn Jahren hat die Jugendbildungsstätte die deutschlandweit einmalige Ausbildung kreiert, die sich damals noch „Coach für interkulturelle Jugendarbeit“ nannte. 160 Menschen, die meisten davon aus Unterfranken, aber auch aus anderen Teilen Deutschlands, haben die Ausbildung inzwischen durchlaufen. In fortlaufenden Modulen, insgesamt 60 Stunden, beschäftigten sie sich mit Zivilcourage und Rassismus, gesellschaftlichen Normen und Werten und nicht zuletzt mit dem Kulturbegriff. Am Ende sind sie „Coaches für rassismuskritische Arbeit“.

    Es war so auch die Auseinandersetzung mit der Frage, was eigentlich „Kultur“ oder „interkulturell“ meint, die zu der Namensänderung des Projektes führte. Denn dabei wurde klar, dass es diskriminierend beziehungsweise rassistisch ist, wenn Menschen allein nach ihrem kulturellen Hintergrund definiert, sortiert oder gar separiert werden. Wer kann zum Beispiel wissen, ob der junge Mann mit dunkler Hautfarbe in einem fremden Land geboren wurde? Vielleicht lebt seine Familie schon in zweiter Generation in Deutschland. Warum ihn immer wieder fragen: „Woher kommst du denn?“

    Die Gruppe, die sich in der Jugendbildungsstätte mit solchen Fragen befasst, ist außergewöhnlich zusammengesetzt: Etliche Teilnehmer haben einen Migrations-, sechs einen Fluchthintergrund. Die Minderheit stammt von einer deutschen Mutter und einem deutschen Vater ab. Rassismus ist etwas, was viele der Seminarteilnehmer am eigenen Leib erlebt haben.

    Zum Beispiel Ahmad Jawed Habib, der 2012 vor den Taliban aus Afghanistan nach Deutschland floh. Inzwischen lebt der 36-Jährige in Rheinland-Pfalz, wo er in einer Einrichtung für unbegleitete junge Flüchtlinge arbeitet. „Als ich in meine neue Wohnung zog, habe ich mich eine ganze Woche lang darum bemüht, mit meinem Nachbar in Kontakt zu kommen“, erzählt er. Habib grüßte den Mann, wann immer er ihn sah, und hoffte, dass sich eines Tages ein Gespräch ergeben würde. Doch der Mann hat bis auf den heutigen Tag kein einziges Mal zurückgegrüßt.

    Im Gegensatz zu Habib hat Lusine Harutyunyan aus Armenien im Alltag noch keine negativen Erfahrungen aufgrund ihrer Herkunft gemacht. „Dafür jedoch mit den Behörden“, meint die 40-Jährige, die seit zwei Jahren in Würzburg wohnt, sich für den Expertenpool „Fluchtperspektive“ engagiert und vor kurzem erfahren hat, dass sie in Deutschland kein Asyl erhalten wird. Das ist für sie bitter, denn sie sieht keine Perspektive in ihrem Heimatland, „weil mein Mann dort große politische Probleme hat“.

    Obwohl sie weiß, dass sie womöglich gehen muss, will Lusine Harutyunyan die Coach-Ausbildung durchlaufen. Was sie hier lernt, sei faszinierend. „So tief habe ich noch niemals über Rassismus nachgedacht“, bekennt sie.

    Die Nachfrage nach der Ausbildung steigt angesichts des Erstarkens rechter Einstellungen, berichtet Manuela Dillenz, Bildungsreferentin in der Jugendbildungsstätte. Vor allem Menschen, die in der sozialen oder pädagogischen Arbeit tätig sind, möchten mehr über Rassismus wissen. Darüber, wie er entsteht und wie ihm vorgebeugt werden kann.

    Einen festen Zeitrahmen für die Ausbildung gibt es nicht, auch Menschen, die stark eingespannt sind, können den Kurs und die verschiedenen Module absolvieren. Dillenz: „Es gibt Studierende, die erst nach vier Jahren alle Module absolviert haben.“

    Spannend ist die Ausbildung, weil sie permanent für Aha-Effekte sorgt. In vielen Alltagssituationen, entdecken die Teilnehmer, verstecken sich rassistische Haltungen. „Habt ihr schon mal darüber nachgedacht, warum das Pflaster, das wir aus der Apotheke holen, genau die Farbe hat, die wir kennen?“, fragt Trainer Oliver Berger in die Runde. Nein, daran hat noch niemand einen Gedanken verschwendet. Aber es stimmt, die herkömmlichen Pflaster sind so eingefärbt, dass sie auf heller Haut kaum sichtbar sind. Auf dunkler Haut hingegen stechen sie hervor: „Weshalb erste Produzenten dazu übergingen, transparente Pflaster herzustellen.“

    „So tief habe ich noch niemals über Rassismus nachgedacht.“

    Lusine Harutyunyan, Kursteilnehmerin

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