Würzburg - Personenkontrolle am Hauptbahnhof. Ein Polizist durchsucht einen 31-jährigen aus der ehemaligen Sowjetunion. Der Heroinsüchtige übergibt dem Beamten eine gebrauchte Einweg-Spritze, deren Spitze mit einer Plastikkappe gesichert ist. "Hast Du noch was dabei, woran ich mich verletzten könnte?", fragt der Polizist. "Nein, Nein", antwortet der Heroinsüchtige, der an der ansteckenden und gefährlichen Leberentzündung Hepatitis C leidet.
Aber seine Angaben sind falsch. In der Tasche, in die der 33-jährige Polizist nun greift, befindet sich eine weitere Spritze. Sie ist gefüllt mit Blut und Heroinresten, ihre Spitze ist nicht gesichert und der Beamte sticht sich damit in den Daumen.
Den Urlaub, den er kurz nach dem Vorfall antrat, konnte er nicht genießen. Zu groß war seine Angst, sich mit dem Hepatitis C- oder mit dem Aids-Virus infiziert zu haben. Inzwischen ist die Inkubationszeit abgelaufen, alle Tests sind ausgewertet. "Ich bin gesund", sagt der Polizist vor dem Würzburger Amtsgericht. Hier ist der Junkie wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt.
Der hagere 31-Jährige wird aus dem Gefängnis vorgeführt, wo er eine neunmonatige Strafe verbüßt. Obwohl er schon seit 17 Jahren in Deutschland lebt und die deutsche Staatsbürgerschaft hat, spricht nur sehr schlecht Deutsch.
Kurz bevor die Polizeikontrolle kam, habe der Junkie sich einen Schuss gesetzt, erklärt sein Verteidiger. Und zwar aus der Spritze, mit der der Beamte sich verletzt hat. "Er war überzeugt, dass er die Spitze mit einer Plastikkappe gesichert hatte".
Der Heroinsüchtige entschuldigt sich bei dem Polizeibeamten. Er sei froh, dass die Testergebnisse negativ seien, sagt er. Der Beamte nimmt die Entschuldigung an. Offensichtlich hat er wenig Interesse daran, dass der Junkie bestraft wird. "Es ist vorbei", sagt er, als die Richterin ihn nach seinen Ängsten in den vergangenen Monaten fragt.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wird das Verfahren eingestellt. Begründung: Der Heroinsüchtige habe nicht vorsätzlich gehandelt. Und eine Bestrafung wegen fahrlässiger Körperverletzung falle wegen der Delikte, derentwegen er zur Zeit in Haft sitze, nicht ins Gewicht".