Samstagabend, Viertel nach Acht in der Stadtbücherei. Vereinzelt stöbern noch einige Besucher durch Bücher und DVDs. Das Hauptaugenmerk liegt jedoch auf dem, was sich im Lesecafé abspielt. Vor einer kleinen Bühne sitzen rund 100 Zuschauer, etwa noch einmal so viele stehen in einer Traube dahinter und schauen gebannt auf die Bühne, auf der sich gerade, passend zu Würzburg, ein Mantel-und-Schwert-Film nach dem Vorbild der drei Musketiere abspielt. Eine Schwimmnudel dient als Fechtdegen, genauso wie als Trompete. Der König trägt ein kariertes Hemd als Umhang, dazu eine samtene Krone auf dem Kopf – das ist Improtheater. Nur anhand einiger Begriffe, die sie sich vom Publikum geholt haben, lassen die Würzburger Gruppe „Die Kaktussen“ und ihre Gäste nun einen 30-minütigen Film entstehen.
Danach gibt es spontan noch eine Musicalstunde. Dass Gesangseinlagen meist sehr gut beim Publikum ankommen, wissen die Akteure schon von ihrem Schlagerspecial am späten Nachmittag, als es zum Beispiel ein französisches Liebeslied an Anette, oder einen Rock'n'Roll-Song über Nudeln, gepaart mit Tanzeinlagen gab.
Zu absurd, das gibt es beim Improvisationstheater schließlich nicht. Deswegen reisen die Kaktussen und ihre Gäste auch inspiriert durch Reiseführer und Bildbände, mit dem Touristenticket Inter Rail über ein Restaurant auf dem Mount Everest bis nach Venedig.
Als Zuschauer glaubt man kaum, dass sich die Spieler am Samstagabend schon in der 23. Stunde ihres Non-Stopp-Marathons befinden, so energiegeladen springen sie umher. Wenn man jedoch einen Blick neben die Bühne wirft, sieht man doch die Anstrengung und einige erschöpfte Gesichter. Lena Försch, Spielerin der Gruppe, bestätigt diesen Eindruck. Sie sei unglaublich müde und habe das Gefühl, sich auf nichts mehr konzentrieren zu können. Sobald sie auf der Bühne stehe, sagt sie, sei jedoch alles wieder in Ordnung, das gäbe einen Energieschub. Dass alle Anstrengungen sich gelohnt haben, ist sie sich sicher.
„Sobald ich auf der Bühne stehe, ist alles wieder in Ordnung. Das gibt mir einen Energieschub. “
Lena Försch, Mitglied der Improgruppe „Die Kaktussen“
Das Publikum gibt ihr recht. Neben vielen, die ein oder zwei Stunden dem Theater als kurzweiliges Vergnügen beiwohnen, gibt es auch hart gesottene Fans, die viele Stunden in der Stadtbücherei verbracht haben. Zwei Besucher sind sogar aus Wiesbaden angereist und haben es sich die kompletten 28 Stunden auf den Sofas in der ersten Reihe gemütlich gemacht.
Auch Katja Ruprecht aus Würzburg und ihr achtjähriger Sohn Benedikt zählen zu den treuen Zuschauern. Insgesamt über zwölf Stunden haben sie im Lesecafé der Stadtbücherei verbracht. Der Mutter gefällt vor allem das individuelle jeder Szene, Benedikt ist mindestens ebenso begeistert. Er sei schon früh aufgestanden, um gleich wieder in die Bücherei zu kommen, erzählt sie. Mit leuchtenden Augen sitzt er in der ersten Reihe und schaut den Improspielern zu, die sich wegen der ausländischen Gäste die meiste Zeit in einem Mix aus Deutsch und Englisch unterhalten.
Mit einigen Dankesworten leiteten die Spieler und Anja Flicker die letzten Stunden des Marathons ein. Die Leiterin der Stadtbücherei findet, dass der Marathon eine großartige Idee ist, die nur die vielen Mitarbeiter des Hauses möglich gemacht haben, die bereit waren, zusätzlich und auch in der Nacht unentgeltlich zu arbeiten. Auch Lena Försch freut sich gemeinsam mit ihrer Gruppe darauf, nun noch mal „richtig los zu spielen“ und dann „einfach nur ins Bett zu fallen und lange zu schlafen“.