Er hat beim Fechten Titel und Medaillen gesammelt wie kaum ein anderer. Für den Sieg über seine Depression hat Matthias Behr, Leiter der Olympiastützpunktes Tauberbischofsheim, keine Medaille bekommen. Ein harter Kampf war es trotzdem.
Frage: Herr Behr, können Sie inzwischen sagen, was zu Ihrer Depression geführt hat?
Matthias Behr: Zu einer Depression führt für mich immer eine Addition von einzelnen Punkten. Ich bin mit bestimmten Themen immer sehr sensibel umgegangen. Der frühe Unfalltod meines Vaters. Der schreckliche Unfall 1982 in Rom, als meine abgebrochene Florett-Klinge meinen Kollegen und Freund, den sowjetischen Olympiasieger Vladimir Smirnov, tödlich verletzte. Noch heute zermartere ich mir den Kopf deswegen. Dann der Psychokrieg und der Bruch mit Bundestrainer Emil Beck. Das alles konnte ich zeitweise verdrängen. Aber natürlich verschwindet nichts davon. Die Erinnerungen und Gedanken dazu bleiben.
Welche Jahre waren die schlimmsten?
Behr: Ich war mehr als ein Jahr nicht am Arbeitsplatz. Es ging einfach nicht mehr. Ich war total antriebslos und hatte ganz schnell zehn Kilogramm abgenommen. Als es mir zu Beginn der Depression ganz schlecht ging, bin ich um 8 Uhr ins Büro gekommen, habe zum Fenster hinaus geschaut und gehofft, dass der Tag bald rum ist. Wenn ein Anruf kam, ist es mir schwer gefallen, zu antworten und gleichzeitig noch aufzupassen, dass der andere von meinem Problem nichts mitbekommt. Normalerweise hatte ich immer die Bürotüre auf. Jetzt habe ich sie zugemacht. Ganz schlimm für mich als großer Musikfreund: Ich habe plötzlich keine Musik mehr hören wollen. Das alles haben die Kollegen natürlich gemerkt und auch mal gefragt: „Ist was, geht's Dir gut?“ Dann habe ich gesagt, nein, alles in Ordnung. Ich hatte auch Suizidgedanken. Im März 2002 stand ich auf einer Autobahnbrücke und wollte springen. Abgehalten hat mich der Gedanke, dass ich andere Menschen nicht in Gefahr bringen wollte.
Was hat Ihnen aus dieser Not heraus geholfen?
Behr: Meine Familie und mein Arzt. Ich hätte es ohne Familie nicht geschafft. Meine großen Kinder Dominik und Natascha, heute 35 und 31 Jahre, sind damals fast täglich mit mir spazieren gegangen. Ich hab immer nur dagesessen und gesagt: „Ich kann nichts machen.“ Ganz wichtig war in dieser Zeit meine Frau Zita Funkenhauser. Sie hatte immer Verständnis für mich. Und sie hat mich angetrieben, mich ermuntert, zum Arzt zu gehen. Ich war zehn Jahre in Würzburg in Behandlung, am Anfang fast täglich, dann dreimal die Woche, dann einmal. Als ich medikamentös gut eingestellt war, konnte ich – am Anfang nur stundenweise – zurück an meinen Arbeitsplatz.
Was für Tipps würden Sie jemandem geben, der einen Weg aus seiner Depression sucht?
Behr: Bei Depressionen gibt es nur eins: Sich in die professionellen Hände eines Arztes begeben. Sonst kommt man aus der Nummer nicht raus. Und man sollte sich seinem Umfeld öffnen. Wenn ich heute in meiner Familie oder meinem Freundeskreis jemanden sehe, dem es schlecht geht, dann nehme ich ihn und gehe mit ihm zum Arzt.
Was haben Sie in Ihrem Leben geändert, als Sie sich wieder gesund und stark gefühlt haben?
Behr: Ich bin noch nicht ganz so weit, aber ich arbeite daran, einen Teil meines Perfektionsdranges zu reduzieren und öfter mal einfach fünf gerade sein zu lassen. Das möchte ich schaffen. Da arbeitet auch meine Frau dran. Wir versuchen, ein bisschen mehr an uns zu denken und schöne Dinge zu unternehmen. Etwas zu erleben, auch auszuruhen. Viel Kraft geben mir auch meine vier Kinder. Meine Krankheit hat mir gezeigt, was wirklich wichtig ist. Oft verwendet man Energie für Dinge, die es nicht wert sind. Eigentlich muss ich mich immer wieder fragen, was bringt es mir? Und dann bestimmte Sachen weg lassen. Das möchte ich können. Einfach öfter Nein sagen und an mich denken.
Seit Sie gesund sind, gehen Sie immer wieder mit dem Thema an die Öffentlichkeit. Warum?
Behr: Für mich ist Depression eine Volkskrankheit. Als prominenter Sportler und als jemand, der in der Öffentlichkeit steht, kann man vielen Menschen damit helfen, wenn man von seiner eigenen Erkrankung spricht. Schwäche zu zeigen, ist für mich nichts Schlimmes. Ich habe bei der Vergabe dieser Krankheit nicht hier gerufen, es hat mich einfach getroffen. Ich hatte das Glück, da wieder rauszukommen. Deswegen möchte ich anderen Menschen helfen, denen der Umgang mit dem Thema Depression schwer fällt.
Nimmt man von einem sehr erfolgreichen, prominenten Sportler lieber einen Rat an?
Behr: Ja, das ist ein Punkt. Der andere ist das positive Feedback, das ich für den offenen Umgang mit dem Thema Depression bekomme. Die Leute sagen: „Ach, Du hast das auch? Das hätte ich nie gedacht.“ Ich bekomme immer wieder Anrufe und Reaktionen von Menschen, die sagen: „Du hast mir sehr geholfen, mit dem was Du sagst.“
Ist die Depression noch mal wieder gekommen?
Behr: Ja. Ich hatte einen Rückfall. Vielleicht war ich da zu sicher, dass ich alles überstanden habe. Eigentliche Ursache war aber wohl die unregelmäßige Einnahme der Tabletten. Ich dachte halt, dass es wieder ohne Medikamente geht. Aber ich war damals sicher nicht ganz im tiefen Loch. Ich bin sofort zu meinem Arzt gefahren. Meine Medikamentenmenge wurde dann erst mal wieder erhöht. Das hat geholfen. Ganz wichtig war auch mein innerer Wille: „Matthias, Du kommst da raus!“