Täglich wird die oder der Doofe ausgeguckt, im Jugendzentrum Heuchelhof in Würzburg, wo Mädchen und Jungen begeistert „Durak“ zocken. Übersetzt: „Dummkopf“. Das ist ein traditionelles russisches Kartenspiel und äußerst populär, gerade auch unter jungen Leuten mit entsprechendem Migrationshintergrund. Am Heuchelhof boomt Durak – bis hin zu regelmäßigen Turnieren, die Sozialpädagoge Johannes Diegruber organisiert. Der 62-Jährige erläutert den Spaß an der spielerischen Blödian-Suche.
Frage: Verlierer stehen ziemlich blöde da, kriegen zur Pleite auch noch Hohn, weil sie oder er dann als „Dura“ beziehungsweise „Durak“ verspottet werden. Ist das nicht ein ziemlicher Frust, der zwangsläufig schlechte Laune verbreitet?
JOHANNES DIEGRUBER: Ach nein! Jeder ist ja mal dran, wird Dummkopf, damit gehen die Leute ganz entspannt um. Klar, zwischendurch sind alle richtig ehrgeizig, aber mein Gott, zu wichtig nimmt das niemand. Das ist eben die pure Spielbegeisterung, wie beim bayrischen Schafskopf, da wird mancher auch emotional und haut auf den Tisch, „da hast du's!“, und „jetzt kannst du nimmer!“, aber hinterher ist es auch wieder vorbei.
Ist das dann wirklich vorbei?! Verlierer müssen eine alberne Mütze tragen oder unter den Tisch kriechen und wie ein Hahn krähen. Ziemlich peinlich!
DIEGRUBER: Das machen wir hier nicht, bei Niederlagen soll nicht noch extra nachgetreten werden. Deswegen wandeln wir die Regeln leicht ab: Statt den Verlierer einer Runde oder gar des Tages auszurufen - wie es im Durak sonst üblich ist - , verteilen wir Gutscheine an die besten Teilnehmer. Die können dann ins Kino gehen oder zu einem ausgewählten Döner-Imbiss.
Ansonsten haben wir das aber wohl richtig verstanden: Beim „Durak“ wird eigentlich kein Sieger ermittelt, sondern der totale Loser?
dIEGRUBER: Das ist das Spielprinzip. Sie müssen versuchen, Ihre Karten so schnell wie möglich loszuwerden. Bis am Ende nur noch eine Person etwas auf der Hand hat, der viel zitierte „Durak“.
Beim Dauerbrenner Skat ist neben Glück auch Berechnung dabei. Profis wissen schon nach kurzer Zeit, wie sich die Karten am Tisch verteilen. Gilt das gleichermaßen für Durak?
DIEGRUBER: Ja. Clevere Spieler merken sich, was bereits abgelegt worden ist, und ziehen daraus ihre Schlüsse. Ein gutes Gedächtnis ist der Schlüssel zum Erfolg.
Hierzulande haben wir schon das klassische Skat oder die regionale Alternative Schafskopf. Was spricht demgegenüber für den Ostimport Durak?
DIEGRUBER: Einfache Regeln, die jeder schnell kapiert. Und ein großes Plus: Durak ist äußerst unterhaltsam, weil zwischendurch gerne Pausen gemacht werden, in denen eifrig kommuniziert wird. Entsprechend ist Durak ideal, um mit anderen Menschen Kontakt aufzunehmen.
Verstehen Sie sich – vor dem Hintergrund des schwelenden Konflikts in der Ukraine – womöglich als Brückenbauer? In Ihrem Haus wird das typisch russische Durak gepflegt, während die Öffentlichkeit im Westen zunehmend besorgt ist über die aggressive Politik des Kreml.
DIEGRUBER: Brücken bauen, das ist immer wichtig. Schließlich steht für mich ein Faktum im Vordergrund: gleich, welcher Konflikt die aktuelle Agenda bestimmt, sei es vormals Kosovo und heute die Ukraine, immer sind Menschen betroffen.
Deswegen versuche ich, ins Gespräch zu kommen mit denjenigen, die familiäre Wurzeln in der Ukraine oder in Russland haben. Was nicht leicht ist, weil viele mauern, wahrscheinlich wollen sie davon gar nichts mehr wissen. Abgesehen von dem einen Wunsch, den ich immer wieder höre: „Mein Gott, wann ist endlich Schluss?!“
Hat man Sie noch nicht als Putin-Versteher abgewatscht, weil Sie das russische Durak im Angebot haben?
DIEGRUBER: Nein. Und das Spiel wird gerne angenommen, ausnahmslos. Den Heuchelhof besuchen täglich rund 100 Leute, die aus rund 20 Nationen stammen, von Afghanistan und den USA bis zu Vietnam. Und alle spielen Durak, nicht nur Jugendliche, deren Eltern aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion eingewandert sind. Und falls es gelegentlich an sprachlichen Fähigkeiten mangelt, dann wird eben über das Spiel und dessen Symbolik kommuniziert. Durak ist praktische Völkerverständigung ohne große Worte.
Ihr erstes Durak-Turnier in diesem Jahr hat der junge Eduard Petrenko gewonnen. Überhaupt ist das Jugendzentrum am Heuchelhof eine heimliche Durak-Hochburg.
DIEGRUBER: Kann man ohne Übertreibung sagen.
Was machen Sie richtig und der deutsche Skatbund falsch? Das urdeutsche Kartenspiel gilt als langweilig und uncool, wird von den meisten jungen Leuten schlicht ignoriert. Aber bei Ihnen ist Durak der Renner, obwohl das auch bloß ein Kartenspiel ist und folglich hoffnungslos Old School!
Diegruber: Wir vom Leitungsteam spielen selber gern Durak, und werde ich zu einem Match gefordert, sage ich nie nein, sofern nicht gerade andere Dinge dringend zu erledigen sind. Wir gehen das Thema einfach mit Freude an.
Das Spiel und seine Regeln
Durak ist ein klassisches Ablegespiel. An einem Match können zwei bis sechs Personen teilnehmen; zum Einsatz kommt dabei ein Deck aus 36 Karten. Nach dem Mischen erhält jeder sechs Karten, anschließend wird im Uhrzeigersinn gespielt. Der Spieler, der links vom Kartengeber sitzt, eröffnet die Runde und greift seinen linken Nachbarn an. Eine Attacke beginnt, indem eine oder mehrere Karten der gleichen Wertigkeit ausgespielt werden. Der Verteidiger versucht, die Karten mit einem höherwertigen Blatt der selben Farbe oder mit einem Trumpf zu blocken. Gelingt ihm das, werden die Karten aus dem Spiel genommen, und der bisherige Verteidiger darf nun gegen den Spieler zu seiner Linken vorgehen.
Scheitert die Defensive, muss der Angegriffene die Karten aufnehmen, und der Spieler zu seiner Linken darf die Offensive fortsetzen. Ende des Spiels ist, wenn nur noch ein Spieler Karten auf der Hand hat. Beliebt sind fiese Sanktionen für den betreffenden „Durak“ - zum Beispiel unter den Tisch kriechen und wie ein Hahn krähen zu müssen.