Wie berichtet, setzte sich der 42-jährige Al Ghusain bei der geheimen Wahl mit 40 : 7 Stimmen gegen die als Favoritin gehandelte Dr. Hannelore Vogt durch. "Der Stadtrat hat die Bücherei-Chefin geohrfeigt", kommentiert Berthold Kremmler, der Vorsitzende des Dachverbands freier Kulturträger, das Ergebnis. "Selbst wenn sie sich 30 Minuten schlecht präsentiert hat, kann man zwölf Jahre gute Arbeit nicht einfach wegstreichen." Kremmler bezweifelt, dass die Stadträte eine spontane Gewissensentscheidung getroffen haben.
"Noch am Morgen vor der Wahl hätte ich auf den Sieg von Hanne Vogt gewettet", sagt hingegen CSU-Fraktionschefin Ursula Weschta. Der "brillante Auftritt" von Muchtar Al Ghusain habe die große Mehrheit aber ganz einfach beeindruckt.
Kann es aber wirklich sein, dass eine einzige Präsentation in geheimer Sitzung ausreicht, um eine so weit reichende Personalentscheidung zu treffen. "Warum denn nicht?", fragt
Offen in die Sitzung
Weschta rhetorisch. Man habe sich anhand der Bewerbungsunterlagen Grundinformationen geholt, sei ansonsten aber "bewusst offen" in die entscheidende Sitzung gegangen. "Früher hat man uns bei Abstimmungen vorgeworfen, wir seien aus parteipolitischen Gründen von vorneherein festgelegt. Jetzt sind wir's nicht, und es soll auch nicht richtig sein", wundert sich Weschta. Die Vorstellung, man hätte etwa im Kulturbeirat über die Eignung der Bewerber diskutiert, behage ihr gar nicht, gibt sie zu.
Ganz anders Kremmler. Der Beirat sei sehr wohl das richtige Gremium, schließlich sitzen dort Vertreter der Kulturszene und Stadträte zusammen. So aber sei man zu keiner Zeit in die Entscheidungsfindung eingebunden gewesen. Kremmler hätte erwartet, dass eine öffentliche Diskussion mit den Kandidaten stattfindet.
Auch SPD-Fraktionschef Hans Werner Loew sieht keine Notwendigkeit, die Kulturszene oder interessierte Bürger bei der Besetzung des Postens mitreden zu lassen. Gleichwohl hätte er sich "vorstellen" können, räumt Loew rückblickend ein, die Kandidaten vor der Wahl in öffentlicher Stadtratssitzung anzuhören.
Dies verbiete der Gesetzgeber, sagt Oberbürgermeisterin Dr. Pia Beckmann und verweist auf die Gemeindeordnung, die bei Personalangelegenheiten grundsätzlich Geheimhaltung vorschreibe. Es hätte aber nichts dagegen gesprochen, dass die Fraktionen, "die alle Zugang zu den Bewerbungsunterlagen hatten", die Kandidaten - "deren Einverständnis vorausgesetzt" - zu öffentlichen Veranstaltungen einladen. Warum haben sie es nicht getan? Weschta: "Kein Bedarf. Das gab's in Würzburg noch nie."
Beispiel Ingolstadt
Wie fruchtbar öffentliche Diskussionen vor einer Kulturreferenten-Wahl sein können, darin erinnert sich Wolfgang Jung. 1994 war der Journalist mit dem Würzburger Gabriel Engert unterwegs, als der sich (mit Erfolg) um den Job in Ingolstadt bewarb. Jung: "Es gab einen Wahlkampf der Kandidaten, mehrere Debatten mit Stadträten, mit Kulturschaffenden. Es ging um Personen und Inhalte. Es herrschte Aufbruchstimmung, Kultur war in aller Munde."