D er November nervt!" Dieses Statement bekam einer mei- ner Freunde zu hören, als er mich neulich auf mein missmutiges Ge- sicht ansprach. Doch kaum ausge- sprochen, überkamen mich erste Zweifel an dem, was ich gerade so unmotiviert in meinen Dreitagebart genuschelt hatte. Kann mich ein Monat nerven? Natürlich nicht.
Schuld an meiner schlechten Laune waren der Regen, die Dunkelheit und die Kälte. Oder doch nicht? Regen und Dunkelheit haben mir den ganzen Oktober über nichts ausgemacht. Und letzten Winter wurde ich ständig belächelt, weil ich bei Minusgraden im T-Shirt um- her gerannt bin; die Kälte war es also auch nicht, die mir aufs Gemüt schlug. Je mehr ich also nach- dachte, desto klarer wurde es mir: Ich hatte keinerlei Grund, ver- stimmt zu sein.
P lötzlich merkte ich, wie sich ein Lächeln auf meinem Gesicht breit machte. Das störte mich, denn schließlich passte dieses alberne Grinsen so gar nicht zu meiner schlechten Laune! Nachdem ich eine Weile dagegen angekämpft hatte, kapitulierte ich letztlich vor dem übermächtigen Gegrinse und der mit ihm verbundenen, viel zu euphorischen Stimmung. Ich musste es mir eingestehen: ich war trotz November gut gelaunt!
Aber warum war ich vorher so fest davon überzeugt, den November nicht ausstehen zu können? Wahr- scheinlich, weil so viele Leute sagen "Dieser November ist schon ein garstiger Monat!", oder "Dieses Sau- wetter macht einen ganz kirre!". Was wohl am meisten bei mir haf- ten blieb, war eine Aussage, dass der November stets die größte Selbst- mordrate des Jahres haben soll. Keine Ahnung, ob das stimmt. Aber ich hatte wohl deshalb den elften Monat so selbstverständlich als de- pressiv und melancholisch abgetan.
D och nachdem ich alle diese Vorurteile gegenüber 30 un- schuldigen Kalendertagen über Bord geworfen hatte, fing ich an, die Welt um mich herum ein wei- teres Mal, und diesmal in einem völlig anderen Licht wahrzuneh- men. Ganz plötzlich ging ich nicht mehr an nervigen "Bälgern" vorbei, sondern an Kindern, die ganz ein- fach riesigen Spaß daran hatten, lauthals quiekend von Pfütze zu Pfütze zu springen. Die zwei laut- hals streitenden Frackträger auf der anderen Straßenseite interessierten mich plötzlich viel weniger als das turtelnde Pärchen zu meiner Lin- ken. Und vor lauter Faszination, die das Pfeifen des Windes und das Rauschen der Blätter in mir aus- lösten, vergaß ich sogar die nassen Löcher, die in meinen Schuhsohlen klafften.
S
eit ich diesen und vielen ande-
ren unbedeutenden, aber für
mich eindrucksvollen Wahrneh-
mungen erlegen war, würde ich
mich am liebsten selbst dafür ohr-
feigen, mir von irgend so einem da-
hergelaufenen Monat so mir nichts,
dir nichts die Laune verderben zu
lassen. Ich bin davon überzeugt,
dass es nicht der November ist, der
Menschen depressiv macht. Wenn
überhaupt, machen die Menschen
den November depressiv!
¤ Jan Urbon ist Kollegiat am Schön-
born-Gymnasium Würzburg.