Die Diakonie Bayern stellt bei ihrer Frühjahrssammlung vom 12. bis 18. März die Hilfe für Kinder in den Mittelpunkt. Unter dem Motto „Erziehung ist (k)ein Kinderspiel“ werden Spenden für die insgesamt 23 diakonischen Erziehungsberatungsstellen des Sozialverbandes gesammelt. Für wen die Beratung gedacht ist, wer sich wann an die Einrichtungen wenden kann, sagt Heidemarie Kaul, Diplom-Sozialpädagogin und stellvertretende Leiterin des Evangelischen Beratungszentrums (EBZ) der Würzburger Diakonie: „Es geht jedenfalls nicht immer nur um Defizite!“
Frage: Fast alle Eltern kennen das: Ärger bei Hausaufgaben, extrem bockige oder ängstliche Kinder, mies gelaunte Teenager – sind das denn schon Gründe, eine Erziehungsberatungsstelle aufzusuchen?
Heidemarie Kaul: Es ist dann sinnvoll, zur Erziehungsberatung zu gehen, wenn man als Eltern nicht weiterkommt, wenn man brennende Fragen hat. Es gibt keinen objektiven Gradmesser, wann Eltern überfordert sind oder Hilfe benötigen – das ist ganz individuell. Normalerweise kommen Eltern dann, wenn sie den Eindruck haben, ihre Kinder verhielten sich nicht ganz „normgemäß“, zum Beispiel wenn sie nicht sauber werden. Manchmal bekommen Eltern auch Hinweise aus der Schule oder dem Kindergarten, dass etwas „nicht stimmt“. Weshalb auch immer man sich bei uns meldet, ist eines ganz wichtig zu begreifen: Es ist keine Schande, sich beraten zu lassen oder sich Hilfe zu holen. Vielmehr ist es ein Ausdruck elterlicher Kompetenz, bei Fachleuten nachzufragen, wenn man selber nicht mehr weiter weiß.
Welche Rolle spielen die gesellschaftlichen Maßstäbe bei dieser Beurteilung, wann Kinder und Eltern Hilfe brauchen? Die Zahl an Kindern mit AHDS und anderen Diagnosen hat ja deutlich zugenommen ...
Kaul: Zum einen: Es gibt Kinder, die wirklich auffällig sind, ADHS oder andere Probleme haben und Hilfe benötigen – in solchen Fällen brauchen meistens auch die Eltern Unterstützung. Aber es ist zum anderen schon auch so, dass der Druck auf Kinder und Familien enorm ist. Zum Beispiel weil beide Eltern arbeiten müssen, und wenig Zeit für ihre Kinder haben und die Tage strukturiert sein müssen, damit die Dinge funktionieren. Da bleibt wenig Spielraum für Individualität. Oder es kommen Eltern, die besorgt sind, weil ihr Erstklässler nach drei Monaten Schule immer noch Probleme beim Lesen hat, während angeblich in der Nachbarschaft alle Fünfjährigen fehlerfrei lesen. Da nehmen wir bei der Beratung Druck raus und relativieren. Weil Eltern immer das Beste für ihre Kinder wollen, drängen sie natürlich auf gute schulische Leistungen und machen sich Sorgen, wenn es „schief“ läuft.
Erziehungsberatung ist demnach nicht selten auch Elternberatung und Familientherapie?
Kaul: Ja. Oft sitzen Eltern bei uns, die völlig ratlos sind, weil ihr Kind sich zurückzieht, aggressiv ist, bei den schulischen Leistungen abstürzt. Und wenn man dann ein bisschen an der Oberfläche „kratzt“, sieht man recht schnell, dass die Kinder nur die Symptomträger sind. Oft stellt sich dann heraus: In der Familie herrscht ein enormer Druck, zum Beispiel weil sich die Eltern jeden Abend streiten, kurz vor einer Trennung stehen oder in einer Trennung stecken. Die Kinder als schwächste Glieder einer Familie reagieren dann auf diese Situation. Daher spielt neben der Erziehungs- auch die Paar- und Trennungsberatung in unseren Einrichtungen eine große Rolle. Foto: Kaul, epd