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Kino für die Ohren

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    Fast wie früher: Hörspiele haben noch immer viele Fans – trotz multimedialer Konkurrenz.
    Fast wie früher: Hörspiele haben noch immer viele Fans – trotz multimedialer Konkurrenz. Foto: Fotos: Daniel Biscan, DPA, Imago

    Die Geschichte wird gut ausgehen. Das tut sie immer. Dennoch folgen Tausende Zuschauer gebannt dem Geschehen auf der Bühne. Werden Justus, Peter und Bob es schaffen, das Geheimnis um das seltsame Orchester zu lüften? Sprecher Oliver Rohrbeck, alias Justus Jonas, der erste Detektiv der drei Fragezeichen, zieht eine imaginäre Visitenkarte des Detektiv-Trios aus der Tasche. Darauf haben die 6000 Zuschauer des Live-Hörspiels in der Stuttgarter Porsche-Arena gewartet: Die drei Fragezeichen werden sich des mysteriösen Falles annehmen. Spontan bricht das Publikum, vom Grundschulkind bis zum Rentner, in kollektiven Jubel aus.

    Vom Kinderzimmer auf die Bühne

    Verständlicherweise. Wer da auf der Bühne steht, ist ja auch nicht irgendwer. Es sind „Die drei Fragezeichen“, die in Deutschland erfolgreichsten Künstler aller Zeiten – zumindest, wenn es nach den nackten Zahlen geht. Knapp 50 Millionen Mal gingen die Hörspiel-Abenteuer des Detektiv-Trios über die Ladentheke.

    Zum Vergleich: Unter den Musikern hat laut dem Bundesverband der deutschen Musikindustrie Herbert Grönemeyer mit knapp 18 Millionen Platten die meisten Tonträger in Deutschland verkauft, gefolgt vom Briten Phil Collins mit 14,3 Millionen und Peter Maffay mit 14,1 Millionen verkauften Platten. Und die Beatles? Selbst die können mit 7,6 Millionen verkauften Einheiten in Deutschland nur vom Erfolg der Junior-Detektive träumen.

    Das Live-Hörspiel „Phonophobia – Sinfonie der Angst“ ist die vierte Geschichte der drei Fragezeichen, die es auf die großen Bühnen der Republik geschafft hat. Rund 240 000 Menschen wollten bei 35 Shows sehen, wie die Sprecher hinter Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews aussehen. Wie sie miteinander agieren. Wie die Geräusche gemacht werden. Schlicht, wie ein Hörspiel zum Leben erweckt wird. Mit 20 000 Besuchern beim Auftritt auf der Berliner Waldbühne sicherte sich die Produktion des Labels Europa den Titel des größten Live-Hörspiels der Welt.

    Jetzt kommt das Kult-Hörspiel erstmals auch nach Würzburg. Am Montag, 26. Februar, stellt Oliver Rohrbeck alias Justus Jonas in der Posthalle die neue Folge "Im Bann des Drachen" vor. Und nicht nur das: Bei der Record Release Party ist auch das Publikum gefragt. Eine Woche bevor die neue Folge in den Handel kommt, können Freiwillige aus dem Publikum zusammen mit Rohrbeck das Hörspiel auf der Bühne zum Leben erwecken. Wer den Sprecher des ersten Detektivs kennen lernen möchte, kann im Anschluss die Autogrammstunde besuchen.

    Seit 1979 gibt es die Abenteuer der drei Fragezeichen als Hörspiel. 38 Jahre später gelten die Geschichten um die ewig Jugendlichen aus der fiktiven Küstenstadt Rocky Beach als die erfolgreichste Hörspielserie der Welt. Dafür wurden sie mit mehr als 100 Goldenen Schallplatten ausgezeichnet. Wobei: Im Falle der drei Fragezeichen wäre eine Kassette passender. Denn der kompakte Magnetband-Tonträger verhalf der Detektivserie zu ihrem Durchbruch und Kultstatus.

    Doch nicht nur ihnen. Benjamin Blümchen, TKKG, Bibi Blocksberg, Hui Buh und Pumuckl – sie sind aus den deutschen Kinderzimmern der 1980er Jahre nicht wegzudenken. „Es gab in diesem Zeitraum in Deutschland kein anderes Medium, das Kinder und Jugendliche mit ins Zimmer nehmen konnten, als die Kassette und damit das Hörspiel“, erklärt Pia Fruth, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medienwissenschaft der Uni Tübingen. Dieser Umstand machte die Musikkassette, kurz MC, zum Leitmedium einer ganzen Generation.

    Auch 30 Jahre später, im Zeitalter von Internet, Virtual Reality und Smartphones, haben die Helden der Kindheit nicht ausgedient. Nach einer Flaute zu Beginn der 1990er Jahre, in der nur noch für wenige Serien wie Die drei Fragezeichen oder Benjamin Blümchen neue Folgen produziert wurden, zog das Interesse zur Jahrtausendwende wieder deutlich an. Die Hörspiel-Jagd auf deutschen Flohmärkten wurde für die Händler zum lukrativen Geschäft, bis der Markt quasi leergefegt war. Darauf reagierten die Hörspiel-Labels – und nahmen die Produktion wieder verstärkt auf. „Der jährliche Absatz von Hörspielen aller Anbieter in Deutschland variiert zwischen zehn und zwölf Millionen Stück“, erklärt ein Sprecher von Sony Music Family Entertainment, zu der das Hörspiel-Label Europa seit 2004 gehört. Der Bundesverband deutscher Musikindustrie zählte 15,5 Millionen verkaufte Produkte im Segment „Kinderprodukte“ im Jahr 2016.

    Kinderkram? Von wegen.

    Die Kinder von damals sind, zumindest bei alten Serien wie die drei Fragezeichen oder TKKG, noch immer die Hörer von heute. „Kult-Serien werden von fast jeder Altersgruppe konsumiert. Die obere Grenze liegt derzeit bei etwa 50 Jahren“, so der Sony-Sprecher. Auch beim Label Kiddinx, das Erfolgsserien wie Benjamin Blümchen und Bibi Blocksberg produziert, weiß man um die älteren Hörer. „Wir haben eine große Zielgruppe weiblicher Nutzerinnen ab 18 Jahren, die gern unsere Bibi-Blocksberg-Hörspiele hören“, erklärt ein Kiddinx-Sprecher. Insgesamt sei die Hörerschaft jedoch deutlich jünger, die Zielgruppe der drei großen Hörspiellabels Europa, Kiddinx und Karussell ist die der Drei- bis 14-Jährigen. Die Kinder von damals kaufen auch Hörspiele für die Kinder von heute.

    Hörspiele bringen Umsatz

    Vor allem in Deutschland erfreut sich das Medium Hörspiel anhaltender Beliebtheit. In der Jahresstatistik des Bundesverbands der deutschen Musikindustrie ist die Sparte Kinderprodukte, unter welche die Mehrheit der Hörspielserien fällt, nach den Umsätzen der internationalen Popmusik die am stärksten wachsende. 2015 wurden in der Branche 118 Millionen Euro verdient. 2016 konnte der Gewinn um knapp 17 Prozent auf 138 Millionen Euro gesteigert werden.

    Knapp neun Prozent der Gesamtumsätze der deutschen Musikindustrie werden mit den Kinderprodukten gemacht. Vor allem die zunehmende Popularität von Streaming-Diensten spielt den Hörspiel-Produzenten in die Hände. Ob Spotify, Deezer oder iTunes – viele Hörspiele kann man inzwischen bequem unterwegs auf dem Handy hören.

    Die Hörspielnation Deutschland hat jedoch nicht nur eine liebevolle Beziehung zu den Geschichten, sondern auch zu den Trägermedien. Sowohl Europa als auch Kiddinx vertreiben ihre absatzstärksten Kult-Serien noch auf Kassette. „Hörspielfans, die die Serien seit ihrer Kindheit auf Kassetten gesammelt haben, möchten das auch heute noch fortführen“, erklärt der Kiddinx-Sprecher. Aus diesem Grund habe man eine eigene MC-Produktionsstraße.

    Geschichten auch noch auf Magnetband

    Und auch bei Europa kann man die beliebtesten Geschichten noch auf Magnetband bekommen. „Diese Formate werden vorrangig für Fans mit Sammelleidenschaft angeboten“, erklärt man bei Europa. Der Anteil von MC gegenüber CD liege beim Flaggschiff Drei Fragezeichen zwar unter zehn Prozent. Im Jahr 2015 entsprach das laut Europa 80 000 Stück. Doch wolle man, „solange Magnetbänder hergestellt werden“, auch Kassetten anbieten.

    Weshalb Hörspiele trotz multimedialer Konkurrenzprodukte nach wie vor gefragt sind, hat mehrere Gründe. „Bei den Erwachsenen ist es in der Regel Entspannung und Erinnerung“, erklärt Medienwissenschaftlerin Fruth. Erwachsene, die heute Kinderhörspiele hören, haben sie bereits in ihrer Jugend gehört. Das Hören eines Hörspiels aus Kindertagen ist wie eine Zeitreise. Während die Abenteuer früher aufregend waren, hören viele ältere Fans die drei Fragezeichen heute zum Einschlafen. Die Sprecher Oliver Rohrbeck, Jens Wawrczeck und Andreas Fröhlich leihen dem Detektiv-Trio ihre Stimmen seit Folge eins. Der vertraute Klang schafft Wohlfühlatmosphäre. Jede Folge verläuft nach dem gleichen Schema. „Dieses vertraute und verlässliche Muster, nach denen die Geschichten aufgebaut sind, schafft Entspannung“, sagt Fruth.

    Vertrautheit schafft Sicherheit

    Bei Kindern dienen Hörspiele zwar ebenfalls zur Entspannung, in erster Linie aber zur Unterhaltung. Dass die Serien ursprünglich für eine junge Hörerschaft konzipiert sind, lässt sich am Aufbau erkennen. „Alle Serien haben stereotypische Muster und Wiederkennungsmerkmale, vor allem auch durch die Sprecher“, sagt Fruth. Es seien in der Regel immer die gleichen Charaktere, die auftreten. Wer eine Folge einer bestimmten Serie einlegt, hat daran auf Erfahrungen beruhende Erwartungen. „Zum Beispiel beginnt jede Bibi-und-Tina-Folge mit einem Wettreiten zur alten Eiche. Das schafft Sicherheit und bringt Ruhe.“

    Zwar gehören im 21. Jahrhundert auch Fernsehen und Internet zur kindlichen Lebenswelt. Jedoch ziehen viele Eltern das Hörspiel dem Film vor. Zum einen, weil sie selbst als Kinder Hörspiele gehört haben. Zum anderen, weil Hörmedien als kindgerechter wahrgenommen werden. „Je mehr Kanäle ich habe, desto mehr muss mein Gehirn arbeiten, um die Reize zu verarbeiten. Je weniger Kanäle ich habe, desto mehr Raum ist für die eigene Fantasie. Das Hören ist also weniger anstrengend und ermöglicht so die aktivere Teilnahme“, erklärt Fruth. Produkte wie die Toniebox, ein würfelförmiges Abspielgerät, das Kinder durch Aufstecken einer Figur, in der ein Chip mit einer Hörspieldatei integriert ist, aktivieren können, ersetzen den Kassettenrekorder der 80er Jahre.

    Und sie belegen die Zukunftsfähigkeit des Mediums Hörspiel. Sowohl Europa als auch Kiddinx vermelden stabile Umsätze mit leichtem Wachstum, vor allem aufgrund der Streaming-Dienste und MP3-Downloads. Das Internet ermöglicht es zudem, alte Serien, bei denen sich die Produktion physischer Tonträger nicht lohnt, neu und kostengünstig aufzulegen. So erfahren vergessen geglaubte Serien eine Renaissance.

    In der Porsche-Arena wurde das Rätsel um das seltsame Orchester natürlich zuverlässig gelöst. Am Ende beendet der für die drei Fragezeichen obligatorische Abschlusslacher das Live-Hörspielerlebnis für die 6000 Fans, die beseelt die Arena verlassen und vielleicht schon zum Einschlafen die nächste Folge ihrer Hörspiel-Lieblinge einlegen.

    „Je weniger Kanäle ich habe, desto mehr Raum ist für die eigene Fantasie.“

    Pia Fruth, Medienwissenschaftlerin

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