Bunte Farben, anregende berauschende Gerüche – ein Klostergarten wie aus dem Bilderbuch. Auf gut 600 Quadratmetern breitet sich ein üppiges Blütenmeer aus diversen Heil- und Nutzpflanzen aus. Geschwungene Wege, die mit Schieferplatten belegt sind, ziehen sich durch das Gartengrundstück. An der Mauer rankt die Kapuzinerkresse. Salbei, Lavendel, Ringelblumen, Wermut, Fenchel oder Spitzwegerich – sie alle sind ästhetisch über den Garten verteilt.
Es ist Spätvormittag, die Sonne steht hoch über den Türmen der Klosterkirche St. Michael. Unter einem Baum stehen ein Dutzend junge Leute und drei Erwachsene. Wer nah genug an den Beeten steht, wird von Düften betört, mit jedem Luftzug wehen neue Aromen an einem vorüber. Einfach himmlisch.
Mitten in dieser Blütenpracht bereiten die 13 Schülerinnen und Schüler aus dem P-Seminar des Veitshöchheimer Gymnasiums ein Mittel (Andorn-Latwerge) zu, das bei sehr starkem Husten, allen Krankheiten der Lunge einschließlich Schwindsucht sowie Brustschmerzen und Leberleiden helfen soll. Sie sind fasziniert davon, wie man mit einfachen Pflanzen auch schwere Entzündungen heilen kann. Es müsse nicht immer „die Chemie“ sein, meinen einige von ihnen.
Angeleitet werden die wissbegierigen jungen Frauen und Männer von der Apothekerin Katharina Mantel von der Forschungsgruppe Klostermedizin an der Uni Würzburg. Zunächst haben die Schüler die notwendigen Kräuter aus dem Garten gesammelt, gemahlen und mit Wasser eingekocht. Anschließend haben sie den Sud mit einem sauberen Filtertuch abgeseiht und ihm danach Rotwein und Honig beigemischt, um ihn dann wieder einzukochen. Fertig ist die Adorngrundlage. Zum Schluss haben die Schüler der Mischung die dazu gehörigen Heilpflanzenpulver untergemengt.
Das Rezept, das die Veitshöchheimer Gymnasiasten ausprobiert haben, stammt aus dem Lorscher Arzneibuch. Das Werk ist um das Jahr 795 zur Zeit von Karl dem Großen entstanden und gilt als das älteste erhaltene Buch zur Klostermedizin im deutschsprachigen Raum. Im Laufe des Tages will die Gruppe mithilfe der Apothekerin Mantel eine Salbe und eine Kräuterteemischung herstellen. Die Schüler verdanken ihren Ausflug ins Kloster der Lehrerin Beate Hofstetter, die das P-Seminar der elften Klasse betreut. In diesem haben sie sich mit dem Thema Medizin – von der Antike bis heute auseinandergesetzt. „Mein Anliegen ist, den Schülern unterschiedliche Aspekte der Medizin aufzuzeigen, denn es gibt mehr als die Schulmedizin“, sagt die Lehrerin.
Da trifft es sich gut, dass sich auch die moderne Wissenschaft seit geraumer Zeit für das Heilwissen der Nonnen und Mönche interessiert – so auch im Kloster Oberzell, wo die Würzburger Forschungsgruppe Klostermedizin seit Jahren mit den Schwestern zusammenarbeitet.
Der Garten der Oberzeller Franziskanerinnen besticht durch seine Schönheit. Er sei jedoch nicht nach historischem Vorbild gestaltet worden, erklärt Tobias Niedenthal von der Forschungsgruppe. In der Tat: Anders als in mittelalterlichen Klostergärten gibt es hier keine rechteckigen Beete und die einzelnen Pflanzen stehen auch nicht wohlgeordnet nebeneinander.
Die sogenannte Klostermedizin hatte ihre Blütezeit zwischen dem achten und 13. Jahrhundert. Heute spielt die Pflanzenheilkunde in den Klöstern keine so große Rolle mehr, aber es gibt einige Häuser, in denen die alten Traditionen noch gepflegt werden. Für den promovierten Medizinhistoriker Johannes Gottfried Mayer, der die Forschungsgruppe leitet, ist der Kräutergarten der Franziskanerinnen von Oberzell ein sehr schönes Beispiel für die neue Kräutergartenkultur. Den Garten hat Schwester Leandra Ulsamer in den 1990er Jahren aufgebaut. Zunächst pflanzte sie die Kräuter für den Abendtee ihrer Mitschwerstern an. Neben den vielen kleinen Lavendelbüschen und stattlichen Salbeisträuchern finden sich hier Johanniskraut, Pfefferminze, verschiedene Thymiansorten, Schafgarbe, Baldrian oder Beinwell.
Wer durch die schmalen Wege zwischen den Beeten geht, kommt an Dill und Bohnenkraut, Liebstöckel und Gelbem Enzian sowie Minze und Wegerich vorbei. Und selbstverständlich fehlt die Rose nicht. Heute ist der Kräutergarten mit rund 100 verschiedenen Sorten einer der größten in Deutschland. Davon sind die Veitshöchheimer Gymnasiasten sehr beeindruckt. Die Klosteranlage, die Umgebung und die Atmosphäre sei toll, finden Verena Köpler (Güntersleben), Franziska Mack (Rimpar) und Andreas Schmidt (Veitshöchheim). Der Garten sehe auf den ersten Blick wie ein ganz gewöhnlicher Garten aus. Ob sie zukünftig bei Entzündungen oder Erkältung Kräutermischungen aus dem heimischen Garten anwenden werden? Die Schüler antworten mit breitem Grinsen: „Es wäre überlegenswert!“