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REGION WÜRZBURG: Kritik an Gesundheitsamt: Psychisch Kranken nicht untersucht

REGION WÜRZBURG

Kritik an Gesundheitsamt: Psychisch Kranken nicht untersucht

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    War der Angehörige von Hubert B. eine Gefahr für sich oder andere? Darüber waren Gesundheitsamt und Hubert B. unterschiedlicher Ansicht. Das Amt ordnete keine Zwangsunterbringung in der Psychiatrie an. Inzwischen ist der Kranke freiwillig im Bezirkskrankenhaus in Lohr, wo auch unser Foto entstand.
    War der Angehörige von Hubert B. eine Gefahr für sich oder andere? Darüber waren Gesundheitsamt und Hubert B. unterschiedlicher Ansicht. Das Amt ordnete keine Zwangsunterbringung in der Psychiatrie an. Inzwischen ist der Kranke freiwillig im Bezirkskrankenhaus in Lohr, wo auch unser Foto entstand. Foto: Foto: Daniel Peter

    Die Frage scheint gerade vor dem Hintergrund von Amokläufen und gewalttätigen Einzeltätern aktueller denn je: Wie schützt sich die Gesellschaft vor einer möglichen Gefahr, die von psychisch Kranken ausgehen kann? Wie wird diese erkannt, ehe Schlimmes passiert? Wie reagieren Behörden oder Polizei?

    Auslöser für diese Recherche ist Hubert B. (Name ist der Redaktion bekannt) aus dem Landkreis Würzburg, der sich an die Redaktion gewandt hat, weil er das Vorgehen des Gesundheitsamtes Würzburg kritisiert. B. hat einen psychisch kranken Angehörigen, der vor einiger Zeit verwirrt war und randalierte. Das Gesundheitsamt glaubte nicht, dass der Mann sich oder andere gefährden könnte und sah deshalb keinen Grund ihn in eine Klinik einzuweisen. Inzwischen ist der Angehörige in der geschlossenen Abteilung des Bezirkskrankenhauses Lohr untergebracht.

    „Das war eine akute Notlage, aber das Gesundheitsamt hat nicht reagiert.“ Hubert B. lebt mit dem psychisch kranken Angehörigen Tür an Tür. Dieser leidet unter einen bipolaren Störung, mit der er zurecht kommt, wenn er seine Medikamente nimmt und keinen Alkohol trinkt.

    Wohnung zertrümmert

    An einem Sonntag kam er nicht klar. „Er zertrümmerte seine Wohnung, lief nackt im Garten herum und bedrohte mich“, schildert B. die Situation. „Vermutlich hatte er getrunken. Ich hatte Angst, dass er sich etwas antun könnte oder vielleicht das Haus anzündet.“

    Medizinische Studien zeigen, dass Menschen mit Psychosen etwa drei bis viermal häufiger Gewaltdelikte begehen als Gesunde. Aber: Nicht die Grunderkrankung scheint für Gewaltausbrüche verantwortlich zu sein, sondern der mit dieser einhergehende Drogen- und Alkoholkonsum. Die erhöhte Aggressionsrate ist vergleichbar mit der von Drogenkonsumenten ohne Psychose, schreiben englische und schwedische Mediziner in einer 2009 publizierten Untersuchung.

    B.. holte die Polizei, doch diese erklärte, sie habe nicht genügend Handhabe, um den Verwirrten ohne das Einschalten der Kreisverwaltungsbehörde gegen dessen Willen in ein Krankenhaus zu bringen. B. solle am Montag das Ordnungsamt des Landkreises und das Gesundheitsamt informieren, damit die eine Einweisung anordnen.

    Am Montag spitzte sich die Sache weiter zu. Der Angehörige räumte Teile seiner Einrichtung in den Garten, dachte sich einen angeblichen Einbruch in seine Wohnung aus, zerstörte Kleider, Unterlagen und Möbel und schrieb am Abend einen Abschiedsbrief.

    Noch in der Nacht faxte der verzweifelte B. einen Bericht mit allem, was passiert war an das Ordnungsamt. Dienstag früh fuhr er zum Gesundheitsamt und bat darum, dass sich ein Arzt sofort seinen Verwandten anschaut. „Mir wurde versprochen, dass das am nächsten Tag passiert. Und auch, dass der Arzt unangekündigt auftaucht, weil mein Angehöriger ihn in diesem Zustand sonst nicht rein lässt. “

    Doch der Amtsarzt kam nicht. Statt dessen kam einige Tage später ein Brief an den Kranken: Er sollte sich im Gesundheitsamt melden.

    Nach Aktenlage entschieden

    Michael Horlemann, Leiter des Geschäftsbereich „Jugend, Soziales und Gesundheit“ im Landratsamt erklärt das so: Der Amtsarzt habe „nach Aktenlage entschieden“, dass er den Betroffenen nicht besucht, sondern ins Amt einbestellt, da er „keine akute Selbstgefährdung im Sinne von Suizidalität und Fremdgefährlichkeit annahm“. Auch Polizeibeamte hätten dies so gesehen.

    Diese Aussage empört B. „Mein Angehöriger war schon bestimmt zehn Mal – teils freiwillig, teils gegen seinen Willen – eingewiesen. Jedes Mal aufgrund von Situationen wie dieser. Und jedes Mal war er nach der medizinischen Therapie wieder normal.“ Dies müsste in den Akten des Landratsamtes stehen. Ihm gegenüber hätte die Polizei den akuten Wahnzustand bestätigt.

    Dr. Johann Löw, Leiter des Gesundheitsamtes, äußert sich zum Fall aus Datenschutzgründen nicht. Auf Anfrage der Redaktion erklärt er den normalen Ablauf einer Unterbringung. „Meistens rufen Angehörige die Polizei, wenn sie Familienangehörige mit psychischen Problemen haben, die plötzlich eine Gefahr oder suizidal werden. Teilt die Polizei diese Einschätzung, informiert sie das Ordnungsamt. Wenn sie eine akute Gefährdung sieht, nimmt sie die Person in Gewahrsam.“

    Anschließend würden die Ordnungsbehörden entscheiden, ob eine Begutachtung durch den rechtlich und medizinisch dafür ausgebildeten Amtsarzt erforderlich ist. Erkennt dieser eine Gefährdung und kann diese nicht durch weniger einschneidende Mittel abgewendet werden, veranlasst das Ordnungsamt die Unterbringung in ein psychiatrisches Krankenhaus.

    Dass das Gesundheitsamt sich in diesem Fall nicht beeilt hat, diese medizinischen Untersuchungen vorzunehmen, sieht das Landratsamt nicht als Versäumnis. B. fühlt sich dagegen von der Behörde im Stich gelassen.

    „Ich hatte keine Angst, dass mein Angehöriger zum Amokläufer wird“, stellt er klar. Wichtig ist ihm auch, zu sagen, dass er sich normalerweise gut mit ihm versteht. „Aber in dieser Ausnahmesituation hatte ich Angst, mich ihm zu nähern.“ Denn in einer ähnlichen Situation sei der Mann gewalttätig geworden. Auch, dass der Kranke in einem „wahnhaften“ Zustand im Auto unterwegs war, habe ihm Sorgen gemacht. B. versteht nicht, warum das Gesundheitsamt diese Sorgen nicht geteilt hat.

    Freiwillig nach Lohr

    Der Hausarzt jedenfalls wollte den Mann sofort von der Polizei ins Bezirkskrankenhaus Lohr bringen lassen. Nach dem Gespräch mit dem Mediziner hat sich der Kranke aber sogar freiwillig darauf eingelassen. Die Diagnose lautet laut B. „schizophrene Psychose“.

    Gesetzliche Grundlage Das Bayerische „Gesetz über die Unterbringung psychisch Kranker und deren Betreuung“ regelt die Unterbringung psychisch kranker oder gestörter Menschen, die keine Straftat begangen haben und nicht unter Betreuung stehe. Diese Menschen können gegen ihren Willen in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht werden, wenn sie „in erheblichem Maß die öffentliche Sicherheit oder Ordnung“ oder sich selbst gefährden und diese Gefährdung nicht durch anderen Hilfen abgewendet werden kann.

    Lesen Sie zum Thema auch das Interview: Eine der schwierigsten Abwägungen Angeordnet wird die Unterbringung normalerweise über die Kreisverwaltungsbehörde und setzt ein Gutachten des Gesundheitsamtes voraus. Eine „sofortige vorläufige Unterbringung“ kann auch ohne Anordnung von der Polizei vorgenommen werden. Dann muss bis 12 Uhr des folgenden Tages das Gericht eingeschaltet werden.

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