Der Würzburger Theologe Wunibald Müller ist einerseits enttäuscht von Papst Franziskus. Der Grund sind die vor wenigen Tagen veröffentlichten Richtlinien des Vatikans zur Priesterausbildung bezüglich homosexueller Personen. Positiv findet der langjährige Leiter des Recollectio-Hauses der Abtei Münsterschwarzach aber andererseits die Menschenfreundlichkeit des katholischen Kirchenoberhauptes.
Frage: Es ist geblieben, was bereits 2005 unter Papst Benedikt XVI. schriftlich fixiert wurde: Homosexuelle Männer sind von der Priesterweihe ausgeschlossen. Was haben Sie erwartet?
Wunibald Müller: Ich hätte von Papst Franziskus erwartet, dass er die Überarbeitung der Richtlinien für die Priesterausbildung zum Anlass nimmt, genau diese Passagen zu streichen. Das wäre die logische Konsequenz aus dem gewesen, was man bisher dachte, wie er über homosexuelle Personen denkt. Er hätte damit die Chance gehabt, den vielen schwulen Priestern, die es ja ohnehin schon in der Kirche gibt und unter denen viele segensreich in der Seelsorge arbeiten, zu signalisieren, dass sie in der Kirche willkommen sind.
Papst Franziskus ist also anders als viele denken und nicht so reformfreudig?
Müller: Die neuen Richtlinien des Vatikans stellen die Glaubwürdigkeit von Papst Franziskus, was den Umgang mit homosexuellen Menschen und homosexuellen Priestern betrifft, in Frage. Sein berühmter Satz: ,Wenn einer Gay ist und den Herrn sucht und guten Willen hat – wer bin dann ich, ihn zu verurteilen?‘ wird zur Farce. Wer homosexuellen Männern, die alle Voraussetzungen erfüllen, die auch heterosexuelle Männer erfüllen müssen, um zum Priesteramt zugelassen zu werden, einen solchen Zugang verwehrt, wird diesen Personen nicht gerecht.
Worin wird er homosexuellen Priesteramtskandidaten nicht gerecht?
Müller: Er beurteilt sie, indem er ihnen unterstellt, beziehungsunfähig zu sein und nicht verantwortungsvoll mit ihrer Sexualität umgehen zu können. Er verurteilt sie dazu, eine tief in ihnen verankerte Sehnsucht und Berufung, Priester zu werden, nicht umsetzen und leben zu können. Das aber ist unbarmherzig und kann nach meiner Überzeugung nicht im Sinne Gottes sein.
Wie Sie ja seit Jahren betonen, gibt es viele homosexuelle Priester in der katholischen Kirche. Diese Richtlinien werden wohl nicht so streng befolgt.
Müller: Tatsache ist, dass nach meiner Kenntnis die meisten deutschsprachigen Diözesen sich nicht an die vatikanische Richtlinie gehalten haben und auch in Zukunft sich nicht daran halten werden. Ich begrüße das, finde es aber auch unehrlich. Es fördert die Unglaubwürdigkeit der Kirche.
Wie sollten die deutschen Bischöfe auf die Richtlinien aus Rom reagieren?
Müller: Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Marx, müsste sich klar von der vatikanischen Instruktion, was die Aussagen zu homosexuellen Personen und deren Ausschluss vom Priesteramt betrifft, distanzieren und damit endlich ernst machen, wozu der Papst ja immer wieder ermuntert: die Eigenständigkeit der Ortskirche wahrnehmen. Diese jetzt veröffentlichten Richtlinien könnten ein Anlass sein, endlich einmal als Kirche sich klar zu ihren schwulen Priestern zu bekennen und deren unersetzlichen Einsatz in der Kirche und für die Kirche zu würdigen.
Sie sind eigentlich die ganze Zeit froh über die Wahl von Jorge Bergoglio gewesen. Was gefällt Ihnen am Papst?
Müller: Die Angst, die unter den beiden Vorgängern von Franziskus innerkirchlich das Klima bestimmt hat, hat ein Ende gefunden. Theologen, kirchliche Mitarbeiter können endlich wieder offen darüber sprechen, was sie denken, ohne dafür gemaßregelt zu werden. Zudem hat Franziskus nicht nur seinen Abscheu gegenüber einem klerikalen Verhalten zum Ausdruck gebracht, sondern lebt auch überzeugend vor, wie ein nichtklerikales Verhalten aussieht: Er entscheidet nicht von oben herab, er legt keinen Wert auf Statussymbole, er ist da, um die anderen zu sehen und nicht, um selbst gesehen zu werden.
Das hört sich trotz Ihrer Kritik eher nach einer positiven Einschätzung des Pontifikats von Franziskus an.
Müller: Was mir gefällt ist, dass er in seinem Verhalten die Menschenfreundlichkeit Gottes verkörpert. Seit er Papst ist, kommt die Kirche sympathischer daher.
Wenn er die Kirche mit einem Feldlazarett vergleicht, macht er deutlich: Die Kirche muss die Menschen dort abholen, wo sie sind und zunächst einfach für sie da sein, egal, welcher Religion sie angehören und auch unabhängig davon, ob sie den Normen der Kirche entsprechend leben. Aber Papst Franziskus scheint nicht ganz über seinen Schatten springen zu können.
Nur in Bezug auf die neuen Richtlinien zur Priesterausbildung?
Müller: Ich will es so sagen: Franziskus fordert immer wieder dazu auf: ,Macht Wirbel!‘ Für mich heißt das: ,Lasst den Heiligen Geist wehen!‘ Doch kaum kommt der Heilige Geist, angeregt durch den Papst, in Schwung, wird er im letzten Moment ausgebremst. Der Papst stößt etwas an, doch vor den Konsequenzen, die sich daraus ergeben, scheut er sich.
Was meinen Sie, warum scheut er sich?
Müller: Papst Franziskus will oder kann offensichtlich nicht über seinen eigenen und auch nicht über den Schatten seiner Vorgänger springen. Seine Entscheidung, daran festzuhalten, dass auch künftig homosexuelle Männer nicht zu Priestern geweiht werden dürfen, erweckt sogar den Eindruck, dass ihn deren Schatten sogar einholt.
Wie sollte es nun weitergehen?
Müller: Ich weiß es nicht. Eigentlich müssten jetzt konkrete Schritte unternommen werden, die zeigen, dass er es ernst meint, wenn er sich zum Beispiel dafür ausspricht, dass Frauen an der Leitung in der Kirche beteiligt werden. Tatsache ist: Im Vatikan und auch sonst auf der Führungsebene in der Kirche bleiben die Männer unter sich. Auch die Umverteilung von oben nach unten, also mehr Verantwortung für die Gemeinden, die Diözesen, die Ortskirche und einhergehend damit eine Entmachtung des Vatikans, müsste endlich stattfinden.
Und wenn all das nicht stattfindet?
Müller: Wenn er nicht wagt, den Sprung, zu dem er angesetzt hat, zu Ende zu springen, wird es auch nicht zu den so notwendigen grundsätzlichen Reformen kommen, die unter anderem auch die Lehre der Kirche in Bezug auf die Gestaltung menschlicher Sexualität betreffen. Und wenn er sich nicht von den Fesseln zu lösen vermag, die ihn an seine Vorgänger binden, wird der freie Fall, in dem sich die Kirche befindet, nicht mehr zu stoppen sein.
Was bleibt dann mal von seinem Pontifikat?
Müller: Wir werden ihn, wie das für Papst Johannes XXIII. gilt, als gütigen Papst in Erinnerung behalten.
Und was bleibt, wenn er sich doch noch von den Fesseln löst, die ihn an seine Vorgänger binden?
Müller: Dann bleibt die Hoffnung, dass die Dynamik, die er in Gang gesetzt hat, vollendet, was er begonnen hat.
Zur Person Wunibald Müller, Theologe und Psychotherapeut, leitete von 1991 bis 2016 das Recollectio-Haus der Abtei Münsterschwarzach. Immer wieder meldet er sich kritisch zu Wort. Sein jüngstes Buch hat den Titel: „Warum ich dennoch in der Kirche bleibe“ (Kösel, 17,99 Euro). FOTO: Theresa Müller