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Würzburg: Künstler, Weltenbummler, Kotzbrocken

Würzburg

Künstler, Weltenbummler, Kotzbrocken

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    Max Dauthendey: Wasserfall von Amboina, Molukken (1914; Städtische Sammlungen im Museum im Kulturspeicher Würzburg).
    Max Dauthendey: Wasserfall von Amboina, Molukken (1914; Städtische Sammlungen im Museum im Kulturspeicher Würzburg). Foto: Andreas Bestle

    Vor sechs Jahren machte die Stadt viel Aufhebens um den Dichter Max Dauthendey, der so überzeugt von sich war, dass er das Denkmal plante, mit dem die Würzburger ihn nach seinem Tod zu ehren hätten.

    Max Dauthendey, geboren 1867, aufgewachsen in der Büttnergasse, starb 1918, erledigt von Heimweh, Rheuma und Malaria, auf Java. Die Würzburger haben ihm kein Denkmal gebaut. Sie gaben einer Schule seinen Namen, einer Straße und einem Saal in der Stadtbücherei, dann vergaßen sie ihn. Nur ein paar Dutzend Liebhaber versammelten sich in der Max-Dauthendey-Gesellschaft, um sein Werk zu hüten die einen, um sich mit seinem Namen zu schmücken die anderen.

    Wiedergeburt in der Tagesschau

    Nicht vergessen hat ihn der Tagesschausprecher Jan Hofer. Im April 2015, am Ende eines langen Winters, begrüßte er in der "Tagesschau" den Frühling mit einem Dauthendey-Gedicht:

    Die Amseln haben Sonne getrunken,
    Aus allen Gärten strahlen die Lieder,
    In allen Herzen nisten die Amseln,
    Und alle Herzen werden zu Gärten
    Und blühen wieder.

    Nun wachsen der Erde die großen Flügel
    Und allen Träumen neues Gefieder,
    Alle Menschen werden wie Vögel
    Und bauen Nester im Blauen.

    Nun sprechen die Bäume in grünem Gedränge
    Und rauschen Gesänge zur hohen Sonne,
    In allen Seelen badet die Sonne,
    Alle Wasser stehen in Flammen,
    Frühling bringt Wasser und Feuer
    Liebend zusammen.

    Hätte Dauthendey das gesehen, dann hätte er wahrscheinlich geschimpft, weil die "Tagesschau" ihn nicht so oft bringe, wie es ihm gebühre. Für die Dauthendey-Gesellschaft war Hofers Rezitation ein Abgesang. Fünf Wochen später löste sie sich auf, im 81. Jahr ihres Bestehens. Unter den 70 Mitgliedern waren zu wenige, deren Dauthendey-Liebe für Vorstandsarbeit reichte.

    Einer wie Rilke, nur nicht so zeitlos

    Er war bekannt mit großen Autoren und Künstlern seiner Zeit, wie George Bernhard Shaw oder Stefan George. Und gut war er. Literaturkenner wie sein Verleger Korfiz Holm nennen Dauthendeys Namen in einem Atemzug mit dem des Zeitgenossen Rainer Maria Rilke. Dauthendeys Werk aber ist, anders als Rilkes, nicht zeitlos. Außerdem hat er dichterische Abstürze hinterlassen wie diesen hier:

    In meiner Stadt regiert der Wein,
    Nach Wein riecht jeder Pflasterstein,

    Keller sind dort wie Katakomben,
    Drin summen Fässer wie die Bomben.

    Wenn man im Keller selig ist,
    Den Leib man wie im Grab vergisst,

    Der Kater reißt dich leicht nach oben,
    Zum Kirchendache hocherhoben,

    Und meine kleine Vaterstadt,
    Unzählig viele Kirchen hat.

    Zweifel an seinem Können hat er offenbar nicht. Im März 1918 dichtet er auf Java, vom Fieber geschüttelt, „Das Lied vom inneren Auge“. Seiner Frau Annie beschreibt er das Poem in einem Brief als "das größte gedankliche Lied, das seit langer Zeit für die Menschheit geschrieben wurde". Es sei "wie eine Fortsetzung von dort, wo Christus aufgehört hat zu sprechen".

    Sein Lied hat die Menschheit nicht berührt.

    Jetzt kommt ans Licht, was nie ans Licht kommen sollte

    Viele tote Berühmtheiten, die nicht in Mord und Totschlag verwickelt waren, hat Würzburg nicht: mutmaßlich Walter von der Vogelweide, gewiss Tilman Riemenschneider, Balthasar Neumann und Leonhard Frank – dann wird es knapp. Das Rathaus wollte es sich 2017 nicht leisten, Dauthendeys 150. Geburtstag am 25. Juli zu vergessen. Sibylle Linke, die damalige Kulturamtsleiterin, erinnerte sich seiner und suchte den Rat des Antiquars Daniel Osthoff, der 20 Jahre lang im Vorstand der Dauthendey-Gesellschaft war.

    Max Dauthendey (1867-1918).
    Max Dauthendey (1867-1918). Foto: Stadtarchiv Würzburg

    Osthoff hatte Ideen. Herauskamen Veranstaltungen und Ausstellungen, die ans Licht brachten, was maßgebliche Dauthendey-Fans jahrzehntelang verborgen gehalten hatten: Der Jubilar war in allem sein eigenes Gegenteil: ein hochbegabter, großartig und grausig reimender, von Heim- und Fernweh geplagter liebenswürdiger Kotzbrocken, nicht der größte unter den Künstlern der Stadt, aber einer der interessantesten.

    Ein Bohème, der das Geld anderer Leute mit vollen Händen ausgibt

    Wäre er sparsam gewesen, hätte er wohl von seiner Kunst leben können, vom Verkauf seiner Bücher (etwa "Die acht Gesichter am Biwasee", "Der Geist meines Vaters") und Gedichte ("Schwarze Sonne Phallus", "Weltspuk") und von den Tantiemen für seine Theaterstücke ("Die Heidin Geilane"). Aber er war ein Lebemann, ein Bohème, der das Geld anderer Leute mit vollen Händen ausgab. Das Geld für Weltreisen und kostspieligen Lebensstil besorgten seine Frau Annie, die Würzburger Bildhauerin Gertraud Rostosky, seine Freunde, Gönner und Verleger.

    Er haderte: "Ich bin immer nur wütend, wenn ich seh, dass ich der Welt so wenig wert bin, dass sich nicht ein goldener Zufall einstellt, der meine Taschen anfüllt. Ich komm mir überhaupt stündlich, wo ich was annehm, wie ein Lump vor und weiß doch gar nit, wie ichs anders machen soll."

    Annie Dauthendey macht alles mit

    Während der Dichter viele Monate lang die Welt bereist, organisiert seine Frau in Würzburg Geld für den kostspieligen Gatten. Annie Dauthendey, Spross der wohlhabenden schwedischen Kaufmannsfamilie Johanson, heiratet ihn 1896 und lebt mit ihm, bevor sie nach Würzburg kommen, in Paris. Sie begleitet ihn auf Reisen nach Sizilien und Mexiko, wo er sich niederlassen und eine Künstlerkolonie gründen will, aber mit Land und Leuten nicht klarkommt. Annie Dauthendey macht alles mit. Ihm scheint ihre Hingabe so selbstverständlich zu sein, dass er sie nicht mit Aufrichtigkeit vergilt. Fünf Wochen vor seinem Tod schreibt er ihr, er sei ihr immer treu gewesen. Da hat er wohl gelogen. Dauthendey-Kenner vermuten, dass er auch mit anderen Frauen zusammen war, so mit seiner Nothelferin und langjährigen Künstler-Freundin Rostosky.

    So widersprüchlich Dauthendey war, so widersprüchlich war auch das Wirken der Gesellschaft, die sich nach ihm nannte. Ihre Mitglieder nahmen ihm lange, was ihn ausmachte: die Ecken und Kanten. Die Historikerin Sybille Grübel vom Stadtarchiv Würzburg berichtet, die Gesellschaft habe nur Unverfängliches von und über ihn veröffentlicht. Osthoff, der Dauthendeys Briefe vor 25 Jahren zum ersten Mal vollständig publizierte, bestätigt: Ganze Passagen, homoerotische zum Beispiel, hätten die Dauthendey-Verwalter aus ihren Publikationen gestrichen, ohne Hinweis darauf, dass es sie gibt.

    Dauthendey in der Gewalt von Nazis

    Sie begeisterten sich für den Dichter, dem zu Würzburg Texte einfielen wie dieser: "Nur hier kommt geheimes Licht" – er meinte Ultraviolett – "den Menschen so nah wie selten wieder auf einem Punkt der Erde." Das Würzburger Licht komme ihm "immer vor wie aus einem Jubel geboren". Diese Stadt lasse die Liebe leicht entstehen, sie mache "die Liebessehnsucht schwerwiegend und die Lebensinbrunst tief".

    Zwei Gesellschaftsvorsitzende fallen besonders auf: die Schriftsteller Wilhelm von Scholz und Hermann Gerstner. Scholz stand auf der Gottbegnadeten-Liste, mit der die Nazis ihre wichtigsten Künstler ehrten. Beide hatten die vermeintliche Herrlichkeit Hitlers und des Nationalsozialismus besungen und sich nie davon distanziert. Osthoff sagt, sie hätten in den 1950er- bis 1970er-Jahren Dauthendeys Reputation genutzt für eigene Zwecke. Sie hätten versucht, ihre Nazi-Vergangenheit zu verwischen und sie hätten aus der Dauthendey-Gesellschaft einen Verein gemacht, der sich vor allem um die Förderung "fünftklassiger" regionaler Dichter kümmerte.

    So taten sie ihrem Ruf Gutes und Dauthendeys Angedenken Schlechtes.

    Er hatte aber auch einen schwierigen Charakter

    Der Dichter hatte aber auch einen schwierigen Charakter. Sein Verleger Korfiz Holm vom Verlag Albert-Langen (später Langen-Müller) schilderte ihn zwar als "wohlgesittet, feinnervig, von empfindlichem Gemüt und (…) von ungemeiner Rücksicht auf andere", erzählte aber auch, dass Dauthendey explosiv auf leiseste Kritik reagierte. Und die Selbstverständlichkeit, mit der die Dauthendeys Leuten Geld für sein Weltenbummeln abschwatzten, erbitterte selbst engste Freunde wie Gertraud Rostosky.

    Sie schrieb, "dass die gewissenlose Ausbeutung der Menschen, von denen sie Geld erpressten, den schrecklichsten moralischen Schaden anrichtet".

    Der Matte, Zerschlagene, will endlich heim

    Eine Weltreise hat er vollendet, von der zweiten kam er nicht mehr heim. Er blieb auf Java, damals Niederländisch-Indien, hängen, wegen des Ersten Weltkriegs. Schwerkrank und erschöpft, sehnte er sich nach Deutschland, für das er in den Krieg ziehen wollte, und verzehrte sich in Sehnsucht nach seiner Frau. Wenige Wochen vor seinem Tod am 29. August 1918 schrieb er:

    "Ich fühle mich heute Nachmittag so beklommen – wieder sehr beklommen. Ich leide so sehr an Sehnsucht und Heimweh, ich möchte in den Garten stürzen, mich auf die Erde werfen, das Gras raufen und schreien, schreien. Ich bin so gequält von meinem Herzleid. Es ist so quälend, so niederschlagend. Ich bin matt, zerschlagen und habe wie ein Durstender nur einen Gedanken, immer nur den einen Gedanken; meinen Herzdurst zu stillen. Ich bin ganz zerschlagen von dem unstillbaren Drang: Heim, heim zu Annie, endlich zu Annie!"

    Annie Dauthendey starb in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 im Feuersturm von Dresden.

    Würzburg liest ein Buch 2023Dieser Beitrag über Max Dauthendey von Wolfgang Jung ist die leicht überarbeitete Fassung eines Artikels, der am 1. Juli 2017 in der Main-Post erschienen ist. Die Redaktion veröffentlicht den Artikel noch einmal aus Anlass der Veranstaltungsreihe "Würzburg liest ein Buch", in deren Mittelpunkt in diesem Jahr die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Elisabeth Dauthendey (1854-1943) steht, die ältere Halbschwester Max Dauthendeys. Der zentrale Aktionszeitraum der Leseaktion ist Freitag, 16. Juni, bis Sonntag, 25. Juni 2023, doch auch davor und danach werden Veranstaltungen in Würzburg und der Region zu Elisabeth Dauthendey  stattfinden. Zur Aktion ist bereits ein Begleitband erschienen: "Elisabeth Dauthendey: Das Weib denkt. Essays, Novellen, Gedichte und Märchen einer frühen Frauenrechtlerin" (Verlag Königshausen & Neumann, 16 Euro). Alle Infos zur Aktion und Veranstaltungstermine unter www.wuerzburg-liest.de.(tsc)

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