Die Sitzfläche schwimmt vor Blut, schwarze Spinnen krabbeln darin. Auf dem Stuhl befinden sich lauter massakrierte Puppen. „Solche Kunst wird von uns nicht unbedingt erwartet“, sagt Stefan Leins, Leiter der Künstlergruppe „Alte Waschküch“ im St. Josefs-Stift Eisingen, Menschen mit geistigem Handicap, so die Erwartung, malen bunte, bizarre Bilder, die durch ihren Fantasiereichtum faszinieren – aber alles in allem eher harmlos sind. Doch in Eisingen entstehen auch andere, schockierende Werke.
Thomas Pupkulis heißt der Künstler, der den grausam-makabren Puppenstuhl kreierte. Während der zweijährigen Schaffensphase stand ihm Maltherapeut Leins zur Seite. „Bei uns darf jeder seine Gefühle ausleben“, sagt der Atelierleiter. Das können übermütige, freudige und glücksvolle, aber eben auch dunkle, angstbesetzte oder aggressive Emotionen sein.
Zur Ausstellung allerdings kommt meist das, was beim Betrachter positive Gefühle auslöst. Georg Brand gehört seit langem zu den gefragtesten Künstlern. Kürzlich war ein Bild von ihm im Museum am Dom zu sehen. Zwei weitere seiner Werke werden während der Adventszeit im Rahmen des Projekts „Klangspiele“ des Würzburger Klangkünstlers Burkard Schmidl zusammen mit Werken der Eisinger Künstler Stefan Murmann und Edwin Vogel in der Kapelle der Würzburger St. Johanniskirche zu sehen sein.
Überhaupt sind die 24 Künstler der Eisinger Werkstätte oft eingeladen, ihre Werke zu zeigen. 2015 gab es anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Künstlergruppe eine Ausstellung im Museum im Kulturspeicher. Im Foyer der Regierung von Unterfranken wurden die Eisinger Gemälde 2007 gezeigt. Doch auch außerhalb Würzburgs und Unterfrankens waren einzelne Bilder und Objekte schon zu sehen. „Wir stellten in den vergangenen Jahren unter anderem bei der Bundestagsfraktion der Grünen in Berlin, im Bonner Gustav-Stresemann-Institut und im bayerischen Landtag in München aus“, listet Stefan Leins aus.
Die aktuelle Ausstellung in der Johanniskirche ist in zweifacher Hinsicht etwas Besonderes. Neben Werken von Eisinger Künstlern aus der Kunst- sowie aus der Theaterwerkstatt werden Bilder der Künstlergruppe der Würzburger Gemeinschaft Sant' Egidio zu sehen sein. „Wir stehen zueinander nicht in Konkurrenz“, versichert Leins. Die Gruppen unterscheiden sich in puncto Inhalt und Stil deutlich. Vor allem stellen die Eisinger Künstler nicht nur Gemälde aus. In der Johanniskirche werden auch zwei allein durch ihre Größe imponierende Stühle der Künstler Wolfgang Gola und Elena Schlegel zu sehen sein.
Neu ist für die Eisinger außerdem, dass ihre Werke in eine Klanginstallation eingebettet werden. Nähert sich ein Betrachter etwa dem Stuhl von Wolfgang Gola, löst er über einen verborgenen Sensor Klänge aus. Ein Besucher nebenan, der sich soeben vielleicht dem Bild „Die Blume“ von Stefan Murmann nähert, provoziert durch seine Bewegungen ebenfalls Klänge. Auf diese Weise komponieren die Besucher ein Klangkunstwerk.
Nicht jeder Künstler ist in jeder Ausstellung präsent. So wird in der Johanniskirche kein Bild von Frank Freudenberger zu sehen sein. Doch das macht nichts. Der 39-Jährige, der in Greußenheim lebt und täglich in die Eisinger Werkstätten zum Arbeiten geht, malt nicht mit Blick auf Ausstellungen. Sondern er malt für sich.
Sein Spezialgebiet sind „Häuser“. Soeben bringt er die letzten weißen Tupfer auf ein Häuserbild an. Auf dem ersten Blick erscheint das Gemälde nicht sonderlich kompliziert. Beim genaueren Hinsehen fallen schwarze Pfeile über den Wolken auf. Worauf sie wohl verweisen? Wie geht es hinter dem Horizont weiter? Freudenberger lässt den Betrachter nicht länger rätseln: „Zur Insel.“ Und zwar zu jener Insel, von der er, der noch nie auf einer Insel war, heimlich träumt.
Das neue Jahr wird mit einer neuen Herausforderung aufwarten. Das Juliusspital plant für Juni einen Inklusionskongress. Die Philosophin Martha Nussbaum ist dazu eingeladen. „Für den Kongress soll ein Porträtbild von ihr im Georg Brand-Stil entstehen“, verrät Leins. Außerdem soll das Kongressplakat von den Künstlern der Eisinger Werkstätte gestaltet werden. Die ersten Entwürfe hängen schon an der Werkstattwand. Auch Thomas Pupkulis experimentiert mit ersten Skizzen. Für den Kongress will er etwas schaffen, das keinesfalls schockiert.