Salat, Bohnen und Erdbeeren, die von oben nach unten wachsen? Ist vielleicht die Perspektive verrutscht oder das Bild verdreht? Nein! An der Versuchswand der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) in Veitshöchheim wächst seit kurzem Gemüse im wahrsten Sinne des Wortes in die Höhe – und zwar nicht aus dem Boden nach oben, sondern an der Wand entlang. Mit dem Pilotprojekt „Gemüsefassade“ soll die Praxistauglichkeit, der bereits für Fassadenbegrünung eingesetzten Systemlösungen, auch für den Gemüseanbau getestet werden. Die vier Versuchswände mit jeweils rund sechs Quadratmetern Anbaufläche sollen dabei über einen Zeitraum von zwei Jahren auf Praxistauglichkeit getestet werden, teilt die Landesanalstadt mit.
An einer über 20 Meter langen Wand auf dem LWG-Campus in Veitshöchheim wurden für den Versuch vier unterschiedliche Systemlösungen, unterteilt in vier Einzeltestflächen, für die Begrünung von Fassaden installiert. „Die Anlagen werden bereits erfolgreich bei der Fassadenbegrünung mit Stauden und Zierpflanzen eingesetzt. „Unser Ziel ist es jedoch, die Systeme auch auf die Praxistauglichkeit im Gemüseanbau zu erproben“, erläutert Florian Demling.
Der Bachelor of Science für Gartenbau aus dem Sachgebiet Bau und Vegetationstechnik des LWG-Fachbereiches Landespflege leitet den Versuch der Gemüsefassade, der im Rahmen des Forschungsprojektes zur „Nahrungsmittelproduktion auf überbauten Flächen im Siedlungsbereich“ angelegt wurde.
Ziel des bayernweiten Forschungsprojektes ist es, die Möglichkeiten der Dach- und Fassadenbegrünung im Rahmen des „Urban Gardenings“, also dem Anbau von Obst und Gemüsen in Städten, zu untersuchen. Denn wenn der Wohnraum nach oben wächst und die Grünflächen in Städten zu einer zunehmend seltenen Oase werden, muss auch für den städtischen Gärtner eine neue Spielwiese geschaffen werden. Was bietet sich da besser an – oder was bleiben dabei für Alternativen außer Dach und Fassade.
„Die Grundvoraussetzung für unseren Versuchsaufbau ist bei allen vier Systemen gleich“, erläutert Demling. So wurden bereits im Herbst vergangen Jahres die vier technisch unterschiedlich konzipierten Anlagen mittels einer Stahlkonstruktion an der Wand montiert. „Natürlich ist der Standort des Versuchsaufbaues entscheidend für den Versuchsverlauf.
Es wurde daher bewusst eine Wand mit Süd-West-Ausrichtung für die ideale Sonneneinstrahlung sowie die Möglichkeit eines Windschutzes durch umliegende Gebäude gewählt“, so der Versuchsleiter.
Mit einem rezirkulierenden Wasser- und Nährstoffkreiskreislauf wird zudem die kontinuierliche Versorgung der Pflanzen sichergestellt. „Bei Trockenheit nutzen wir unseren halb geschlossenen Kreislauf. Neben der natürlichen Bewässerung durch den Regen kann jede Versuchseinheit bei Bedarf von oben künstlich bewässert werden. Durch die Schwerkraft fließt das Wasser schließlich abwärts, sodass auch die Pflanzen in der letzten Reihe ausreichend versorgt werden. Das überschüssige Wasser tropft dabei nicht nach unten auf den Boden, sondern wird über Rinnen dem Kreislauf wieder zugeführt und für die nächste Bewässerung genutzt“, erläutert Demling. In der Anwachsphase kommt die künstliche Bewässerung rund zwei bis drei Mal am Tag zum Einsatz. Die für die Pflanzen so wichtigen Nährstoffe wie Stickstoff, Kalium, Phosphor, Magnesium und Spurennährstoffe sind dabei im Wasser gelöst. „Damit wir alles im Blick haben, wird die Bewässerung vollautomatisch gesteuert und auch die Nährstoffkonzentration des Wassers gemessen“, so der Versuchsleiter.
Nur dadurch kann der Wasserverbrauch für die Auswertung korrekt erfasst und eine gleichmäßige Düngung aller Pflanzen sichergestellt werden.
In nur wenigen Stunden bekam der Testaufbau durch viele helfende Hände „Leben eingehaucht“. So wurden insgesamt 392 Salatpflanzen (grüner und roter Romana-Salat) und 196 Erdbeerpflanzen gepflanzt sowie 196 Mal Buschbohnen gesät. Aus dem Versuchsaufbau wird somit eine lebendig Wand – die „Living Wall“.
Die Auswahl der Pflanzen wurde dabei bewusst getroffen: Denn Salat, Bohnen und Erdbeeren haben ähnliche Ansprüche an die Düngung und Bewässerung. Auch die Anordnung der Pflanzen folgt einem bestimmten Muster. „Das Einsäen und Bepflanzen der Testflächen erfolgt nicht willkürlich. Im Vorfeld wurde mit einem Pflanzplan die Anordnung jeder einzelnen Pflanze definiert“, so Demling. Denn nur dadurch können gleiche Rahmenbedingungen für den Versuchsablauf geschaffen – und einzelnen Kulturen durch die bloße Anordnung nicht bevorteilt bzw. benachteiligt werden.
„Wir alle sind gespannt, welches System schließlich die Nase vorne hat und vor allem wie die einzelnen Pflanzen gedeihen“, freut sich Florian Demling schon jetzt. Neben den bereits teilweise reif eingesetzten Erdbeerpflanzen werden vor allem die Salaternte Ende Juli und der Ertrag der Buschbohnen Ende August Aufschluss über den Versuchsverlauf geben. „Spannend wird auch die Überwinterung der Erdbeerpflanzen“, so Demling.