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WÜRZBURG: Letzter Gong für Freakshow-Festival

WÜRZBURG

Letzter Gong für Freakshow-Festival

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    Freakshow Live: Seit 1994 veranstaltet Charly Heidenreich in Würzburg Konzerte und Festivals mit Rockmusik der anspruchsvollen Art.
    Freakshow Live: Seit 1994 veranstaltet Charly Heidenreich in Würzburg Konzerte und Festivals mit Rockmusik der anspruchsvollen Art. Foto: Foto: Privat

    Wer sich mit Charly Heidenreich über Rockmusik unterhält, sollte Zeit haben. Viel Zeit. Denn der gebürtige Coburger, der seit 1975 in Würzburg lebt, weiß viel über außergewöhnliche Rockmusik und er kennt viele Menschen in der sogenannten progressiven Musikszene. Und er erzählt auch gerne davon. Dann kann man tiefe Einblicke gewinnen, viel Außergewöhnliches und Neues erfahren. Heidenreich, der eigentlich Karl-Heinz heißt, den aber in der Szene alle nur Charly nennen, veranstaltet auch Konzerte und Festivals mit Rockmusik jenseits des Mainstream an der Schnittstelle zu Jazz und Klassik. Sein vorerst letztes Festival findet am Samstag, 1. Oktober, ab 13 Uhr im Kulturhaus Cairo in der Burkarder Straße statt.

    Bevor Charly Heidenreich im Sommer 1994 sein erstes Konzert mit der schwedischen Gruppe „Anekdoten“ in Würzburg veranstaltete, hatte er sich in den 1980er und 90er Jahren in der Würzburger Musikszene bereits einen Namen als DJ gemacht. Doch seine Leidenschaft für die Rockmusik begann schon viel früher. So wie viele seiner Altersgenossen, Heidenreich ist 58 Jahre alt, erlebte er in den frühen 1970er Jahren wie aus den Beat- und Pop-Wurzeln zahlreiche andere Pflänzchen wuchsen. Folk-Rock, Blues-Rock, Jazz-Rock, Funk-Rock, Progressive oder Klassik-Rock – alles war möglich und alles wurde ausprobiert.

    Wer sich dafür interessierte, konnte diese Musik damals auch im Radio hören, was heute gar nicht mehr vorstellbar ist. Und viele begannen Platten zu sammeln. Auch Charly Heidenreich. „Es ging mit einer ganz kleinen Sammlung los, die ich immer wieder gegen andere Scheiben eintauschte“, blickt er zurück. Dann gab's eine Bafög-Nachzahlung und die Sammlung wuchs. Heidenreichs musikalischer Geschmack wurde spezieller und Musik bedeutete ihm immer mehr.

    In Würzburg Chance genutzt

    Nachdem er ein Jahr in seiner Heimatstadt Coburg als DJ in einer Diskothek „unsägliche Grässlichkeiten“ aufgelegt hatte, nutzte er in Würzburg die Chance, in der „Pille“ und im „Caveau“ an der Löwenbrücke andere, nämlich „seine“ Musik, den Menschen näher zu bringen. Das ging nur eine Zeitlang gut. Während die Gäste begannen, sich an zwanzigminütige Stücke mit langen Instrumentalteilen zu gewöhnen, fanden die Geschäftsführer diese Idee gar nicht gut und hatten Angst, Heidenreichs Musik könnte die falschen Gäste anlocken. So begann eine kleine Odyssee durch die Würzburger Musikkneipen. Zauberberg und Rockpalast waren weitere Stationen.

    Eine neue Chance war der private Rundfunksender Radio W 1, wo Heidenreich ab 1990 schließlich seine eigene Sendung „Freak Show“ hatte. Dort präsentierte er Rockmusik, die man sonst nicht zu hören bekam. Da konnte ein einziges Stück auch schon mal 45 Minuten dauern. Doch 1992 kam das Ende für W 1 und Heidenreich veranstaltete im AKW zu seinem 40. Geburtstag das erste „Freakshow Idiot Dancing“: „Die Leute bewegten sich da zu Musik, zu der man sich eigentlich gar nicht bewegen kann“ erinnert er sich grinsend. Die Musik kam natürlich von Heidenreich, der inzwischen in der Szene einen Namen hatte und ständig auf obskure Aufnahmen aus den 70ern stieß, die früher in Deutschland nie erhältlich waren. Diese CDs bestellte er erst für sich selbst, fand aber bei seinen DJ-Auftritten auch immer wieder neue Kunden dafür. 1995 war dann Schluss im AKW, dort wurde die „Freakshow“ zugunsten eines Techno-Abends gestrichen.

    Vorher aber hatte Charly Heidenreich einmal eine Platte der schwedischen „Anekdoten“ gespielt, die beim Publikum bestens ankam. Es gab viele Nachfragen und auch den Wunsch, die Band mal live zu hören. Die kannte hier außer Charly's „Eingeweihten“ niemand, doch er nahm Kontakt zur Band auf. Es fügte sich, dass Würzburg auf dem Weg der Schweden zu einem Festival in Kalabrien lag. Man einigte sich und an einem heißen Sommertag spielte die Band im rappelvollen AKW. Damit war die Reihe „Freakshow in Concert“ geboren. Bis heute gab es in dieser Serie etwa 200 Konzerte schätzt Heidenreich. Im AKW, im Bechtolsheimer Hof, im Rockpalast bzw. Soundpark Ost oder im Immerhin – überall fanden Freakshow-Konzerte mit teils völlig unbekannten Bands, aber auch Szenegrößen statt – Hauptsache die musikalische Qualität stimmte.

    2001 gab es dann das erste Freakshow-Festival, bei dem sich ein Fan der französischen Gruppe „Magma“ finanziell engagierte, um diese Kultband nach Würzburg zu holen. Dazu wurden noch ein paar weitere Bands gebucht und fertig war das erste Festival – damals als Benefiz-Veranstaltung für das finanziell darnieder liegende Mainfranken Theater, dem man anschließend 5000 Euro spenden konnte.

    Wichtig waren bei diesem und den späteren Festivals zwei Aspekte: Zum einen sollten junge Menschen an die etwas andere Rockmusik herangeführt werden, weshalb es für sie immer Freitickets gab. Zum anderen sollten die engen Verbindungen von Rockmusik mit Klassik, Jazz und osteuropäischen Musikern aufgezeigt werden. Inzwischen gab es auch öffentliche Fördergelder, doch auch die reichten nie aus, um kostendeckend zu arbeiten. Die Freakshow Festivals waren trotz höchstkarätiger Musiker ein Minderheiten-Programm geblieben.

    Unermüdlicher Einsatz

    Aber warum tut man sich so etwas Jahr für Jahr an? Charly Heidenreich ist ein eben ein Überzeugungstäter. „Das ist das Don-Quijotte-Prinzip“, sagt er. „Die Konzerte und Festivals sind für Besucher wie Weihnachten. Und die Musiker empfinden es genauso. Da vergisst man halt den Sinn für das Rationale“, begründet Charly seinen unermüdlichen Einsatz. „Es ist dieses große Aha-Erlebnis bei magischen musikalischen Momenten“, das ihn immer weitermachen lässt: „Ich wollte das selbst nicht vermissen und es den anderen nicht nehmen.“

    Und jetzt soll also endgültig Schluss sein? Nach etwa 200 Konzerten und neun Festivals? Vorerst schon, sagt Heidenreich, der beim Festival im März dieses Jahr erstmals resignierte. Da präsentierte er drei unbekannte Bands, rechnete aber doch mit mehr Neugier bei den Fans, aber es wurden nur 42 Festival- und 30 Tagestickets verkauft. „Das war frustrierend, demotivierend und hat mich total geschockt.“, blickt er zurück.

    Am 1. Oktober wird es unter dem Motto „The Final Countdown“ noch einmal im Kulturhaus Cairo ein Festival mit vier Bands geben. Dann werden auch „Anekdoten“ nochmal mit von der Partie sein. Aus Frankreich kommen „Aquaserge“ und „Jean Louis“, aus der Schweiz „Anton & the Headcleaners“. „Dann war's das“, zieht Heidenreich einen verbalen Schlussstrich. Obwohl seine Abschiedsankündigung in der Szene für Aufsehen sorgte, konkrete Hilfsangebote sind bislang nicht gekommen.

    Ein Hintertürchen lässt sich Heidenreich allerdings noch offen: „Vielleicht gönne ich mir zu meinem 60. Geburtstag im Jahr 2013 nochmal was“. Und die Reihe der Freakshow-Einzelkonzerte werde auf jeden Fall fortgesetzt, genauso wie die Freakshow-Parties. Ganz verschwinden wird er also nicht „der Charly“. Schließlich muss er noch viele Menschen von seiner Musik zu überzeugen.

    Die Bands des letzten Festivals

    Anekdoten (Schweden): Die Band mit der 1994 alles anfing. Die Musiker um die Cellistin und Keyboarderin Anna Sofi Dahlberg starteten mit Prog-Rock a la King Crimson und spielen heute eher Modern Art Rock. Aquaserge (Frankreich): Sie selbst nennen Kraut-Rock-legenden wie Faust und Neu! als Einflüsse, berufen sich aber auch auf Frank Zappa und Soft Machine. Heraus kommt dabei ein schräger und spaciger Jazzrock. Anton & the Headcleaners (Schweiz): Die Band um den studierten Gitarristen Anton Brüschweiler pendelt zwischen Urban Crossover, Free-Funk, Trash-Rock, Drum'n Bass und Avantgarde. Jean Lous (Frankreich): Ein neues, hochenergetisches Jazzcore-Trio mit Schlagzeug, Bass und Sopransaxophon. Ständig an der Grenze zum musikalischen Wahnsinn. Magma-Einflüsse werden nicht verleugnet.

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