Rheinland-Pfalz vor Baden-Württemberg und Bayern: Dieses Ranking verrät, wo es die ersten privaten Radio-Sender in Deutschland gab. Durch Gesetze war zwischen 1984 und 1986 der Weg für Lokalradio frei geworden. Die „Stunde Null“ war dann am 8. Mai 1987 auch für Würzburg gekommen: Drei Anbietergemeinschaften gingen auf der gemeinsamen Frequenz 103,0 MHz als „Radio Frankenwarte“ auf Sendung – mit dem nicht ganz unbescheidenen Ziel, in und um Würzburg die Vormachtstellung von Bayern 3 zu brechen. Geprägt war die frühe Zeit des Lokalradios von viel Optimismus und Engagement.
13 Anbieter in den Gruppen „Main-Radio“, „Mainland-Radio“ und „Radio Würzburg 1“ erhielten jeder acht Stunden tägliche Sendezeit. Als am besten gerüstet präsentierte sich die „Neue Welle Würzburg“ in der Gruppe „Main-Radio“ mit Sitz in der Augustinerstraße. Tilman Hampl, von Anfang an Programmleiter, verrät: „Wir haben schon 1985 angefangen und Trockentraining für den Sendestart gemacht. Anfangs waren Jeff van Gelder da und Klaus Finger, der in Bonn eine Nachrichtenagentur geleitet hatte.“ Finger war von den Gesellschaftern zum Geschäftsführer und Studioleiter ernannt worden. Hampl hatte in Nürnberg bereits eine Nachtsendung gemacht und Erfahrung als DJ im Rock-Palast.
Aus in den USA gekauften Jingle-Paketen wurden für Würzburg „Alles Tolle für den Tag“ oder „Kitzingen ist aufgewacht“ produziert. Für die Moderatoren gab es Sprechtraining – auch durch Schauspieler des Stadttheaters. „Wir haben Interviews gemacht, mit Stadträten oder Geschäftsleuten, die Aufnahmen zu sendefähigen Beiträgen zusammengeschnitten. Wir probten auch das Live-Senden von Plätzen in der Stadt. Aber kein Mensch konnte uns hören, weil noch nicht gesendet wurde“, erinnert sich Hampl. In der Augustinerstraße wurde eine Werbeabteilung aufgebaut. Verantwortlich war bei „Mainradio“ Marketingleiter Kurt Schuhmann, der erst 2014 beim Funkhaus in den Radio-Ruhestand ging.
„Wir waren natürlich froh, als es am 8. Mai 1987 endlich losging“, sagt Hampl. Die Musik anfangs: Charts und Mainstream. Ab Juni 1988 mit 24-stündigem Programm spielte man als „Charivari“ hauptsächlich aktuelle deutsche Schlager und Oldies der Vor-Beatles-Zeit. „Für den Hörer war es ein großartiges Gefühl, wenn Namen wie 'Grombühl', 'Heidingsfeld' oder 'Marktheidenfeld' im Radio genannt wurden“, sagt Hampl, der bis 1992 beim Radio blieb und heute eine Werbeagentur in Würzburg hat. „Populär waren wir Moderatoren auch, unsere Namen und Stimmen waren stadtbekannt.“
Ein weiterer Mann der ersten Stunde ist Charlie Rösch, der nach Zwischen-Engagements in Düsseldorf und Berlin heute noch aus dem Funkhaus in der Semmelstraße sendet. Rösch hatte ebenfalls bei der „Neuen Welle“ „gelernt“, wechselte aber zu Radio Gong Mainland (RGM) unter Studioleiter Jürgen Höfle, weil „mir die Konzeption besser gefiel“. Rösch: „Wir haben live vom Weihnachtsmarkt gesendet, und vom Kiliani direkt neben dem Riesenrad, später auch live vom Residenzlauf und natürlich von der Mainfrankenmesse, dazu Live-Reportagen von Fußballspielen in der Region.“ Wichtig waren am Anfang Arno Müller, damals Musikchef von Radio Gong Nürnberg, jetzt Programmdirektor von RTL Berlin, Jürgen Hofius, der für Moderation und Musikredaktion zuständig war, sowie junge Stimmen wie Gudrun Deinzer und Daggi Ulke.
Daggi Ulke hatte sich bei RGM beworben und zwar nie vorher moderiert, verfügte als Musikerin aber über viel Kenntnis und Gespür. Ulke bekam nach Hofius' Weggang auch die „Prime-Time“-Sendung am frühen Nachmittag und wurde bald Musik-Chefin bei RGM. Es gab bei Gong das „Sorgentelefon“ mit Wolfgang Wenzel, eine VIP-Sendung mit Gudrun Deinzer, dazu „Charlies Schnulzenstunde“ und eine Menge kreativer Redakteure wie Bernd Schüll, der heute als Tourbegleiter und Autor auf Mallorca lebt. Und dann Spezialsendungen: Rock, Funk, Soul, das Oldiemobile und Country. Man holte sich die Stars ins Studio in der Semmelstraße 15, unter anderem Udo Lindenberg, Howard Carpendale, Tony Carey, Rebbie Jackson, Gianna Nannini oder Marius Müller-Westernhagen. Am 21. August 1988 dann der Kracher: „Radio Gong Mainland präsentiert Michael Jackson in Würzburg“.
Die Formatumstellung unter Peter Bartsch (heute Radio Arabella München) und dann „Ein Sender, alle Hits“ räumte mit der musikalischen „Fünf-Frucht-Marmelade“ (Rösch) auf. Das Ganze wurde noch professioneller, was den Sender ab Ende der 90er in die komfortableren Regionen der Gewinnzone brachte, mit neuen Moderatoren wie Bertel Bühring und Ben Streubel (heute SWR).
Radio W1 war für viele Hörer bis heute das musikalisch Beste, was die Würzburger Radioszene zu bieten hatte. Der Sender aber kämpfte von Anfang an mit wirtschaftlichen Problemen. Das Studio war in der Münzstraße, im vierten Stock über dem heutigen „Chelsea“, später im Wöhrl-Haus. Im „gläsernen Studio“ im dritten Stock konnte man den Moderatoren zuschauen. Das Programm war schon 1989 kurz davor, eingestellt zu werden, nachdem einer der Mitgesellschafter Konkurs angemeldet hatte. Zeitweise klebte gar der Kuckuck auf der Plattensammlung des Senders. Notgedrungen musste sich W1 ein neues Domizil suchen und landete im Juli 1990 in der Ludwigstraße 8a. Mit-Gesellschafter Manfried Prater hatte in den Räumen der „Trend“-Redaktion ein sendetaugliches Studio eingerichtet. 1992 kam aber das endgültige Aus für „W1“.
Wer den Aufbau des Würzburger Lokalradio miterlebt hat, dem bleiben die Radiomacher der ersten Stunde in guter Erinnerung: Jürgen Hofius („Guten Morgen Würzburg“, ab 5.30 Uhr) hat eine Musik-Agentur im Siegerland. Daggi Ulke kam über Radio-Sender in Dresden, wo sie ein Musik-Netzwerk aufbaute, nach Dortmund und Köln, wo ihr Mann Steve bei RTL arbeitet. Dagmar Klieme sendete lange im Rheinland. Der früh verstorbene Christian Stürmann mit seiner Radio-genen Stimme war abwechselnd bei allen drei Würzburger Sendern zu hören. Gong Volontärin Nora Hertel sendete beim Deutschlandfunk und ist jetzt Fundraiserin. Andrea Schönhuber hat eine TV-Produktionsgesellschaft in Berlin und ist Grimme-Preisträgerin. Christian Zimmermann und Charlie Rösch sind noch aktiv. Weitere Würzburger Radio-Leute haben ihren Weg gemacht: Thomas Kattenbeck (Chef der Sportredaktion im BR-Hörfunk) und Edi Endres (BR) waren in den Pionierjahren dabei. Alle echte Talente, wie auch Roman Koidl, damals Praktikant und Nachrichtensprecher, jetzt Unternehmer und Autor in der Schweiz. Jeff van Gelder war in Oberhausen zuständig für das Rahmenprogramm der NRW-Privatsender, dann Promotions-Chef bei Virgin Records in München. Nicht zu vergessen Kai Fraass, der als Chefredakteur, Chef vom Dienst oder Moderator von Radio W1, Mainradio, Charivari oder Funkhaus aktiv war und heute in Würzburg Hochschuldozent für die Lehrgebiete „Privater Hörfunk“, „Journalismus und Recht“ ist.