„Die Stimmung in London war gigantisch“, sagt Marcus Vogel. Für den Orthopädietechnikermeister war es bereits der zweite Einsatz bei Paralympics. 2008 half er in Peking mit. Damals wuchs sein Interesse für Sportprothesen. Er bewarb sich bei der Firma Otto Bock, die im Auftrag des paralympischen Komitees die Prothesenwartung übernimmt. Vogel wurde genommen und machte in Peking so interessante Erfahrungen, dass er sich für den ehrenamtlichen Einsatz in London gleich wieder bewarb. Für die zwei Wochen stellte ihn sein Arbeitgeber, das Sanitätshaus Schmieg & Uihlein in Bad Mergentheim, von der Arbeit frei.
Der Erfolg hängt bei Paralympischen Spielen für die Athleten nicht zuletzt von der Funktionstüchtigkeit ihrer Prothesen ab. Die speziell auf die Anforderungen von Sportlern zugeschnittenen Prothesen bestehen aus Karbon oder Titan und kosten um die 4000 bis 5000 Euro. Beim Sprint, Rudern, Weitsprung oder Radfahren müssen die künstlichen Körperteile enorme Belastungen aushalten. Da kommt es nicht selten vor, dass Prothesen brechen, anreißen, ermüden oder einfach nicht mehr richtig sitzen.
An jeder Wettkampfstätte befand sich eine Werkstatt, in der die Techniker die Prothesen richteten. Das Team hatte jede Menge Ersatzteile dabei, so dass für jedes Problem eine Lösung gefunden wurde. Welcher Hersteller die jeweilige Prothese gefertigt hatte, spielte keine Rolle. „Den Kunden konnte immer geholfen werden“, sagt Vogel zufrieden.
Mehr als 2500 Aufträge bearbeiteten die Spezialisten während der Paralympics. Kontakt zu den Sportlern bekam Marcus Vogel bei dieser Arbeit zwangsläufig. „Nach den Wettkämpfen kamen die Athleten dann oft noch einmal zu uns und zeigten uns stolz ihre Medaillen“, sagt der Orthopädietechniker.
Ob er nun einen Stumpf gegen Druckstellen polsterte oder direkt neben dem Boot den künstlichen Fuß einer chinesischen Ruderin richtete – vielfältig war das Aufgabenspektrum für den Bad Mergentheimer. Sportler aus armen Gegenden wie Schwarzafrika nutzten die Gelegenheit, ihre manchmal schon älteren Prothesen von den Technikern auf Vordermann bringen zu lassen.
So spannend sein Einsatz in London auch war: Für Marcus Vogel hat das Thema Sportprothesen längst nicht nur mit Spitzenleistungen zu tun. Er möchte gerade bei jüngeren Amputierten ein Bewusstsein für die Möglichkeiten wecken, die ihnen trotz ihres Schicksals offenstehen. „Mit einer solchen Prothese können jugendliche Amputierte wieder am Schulsport teilnehmen“, erklärt Vogel. Wer diese Möglichkeit habe, entwickle wieder ein stärkeres Selbstbewusstsein und sei nicht länger ausgeschlossen.
Der Orthopädietechnikermeister hat einige noch junge Kunden, die durch eine Krebserkrankung oder einen Unfall Gliedmaßen verloren haben. Ihnen werden dann herkömmliche Prothesen angepasst – Vogel nennt sie „Alltagsfüße“ im Fall von Beinprothesen. Mit denen können die Betroffenen zwar gehen, aber nicht rennen. Dafür bedarf es spezieller Sportprothesen. Einer, dem Marcus Vogel solche Prothesen angepasst hat, ist Michael Seethaler aus Unterwittighausen, dem bei einem Motorradunfall die Füße abgetrennt wurden (wir berichteten).
Michael Seethaler lernte schnell, mit den federnden Rennprothesen zu sprinten. Und der technische Fortschritt bringt immer neue Errungenschaften auf den Markt. „Es gibt jetzt sogar schon Prothesen, mit denen Oberschenkelamputierte ganz normal Treppen steigen können“, sagt Marcus Vogel. Das Kniegelenk dieser Prothesen steckt voller Elektronik und ermöglicht fließenden Bewegungen statt steifbeinigen Gehens.
Obwohl die Eindrücke aus London bei Marcus Vogel noch sehr lebendig sind, blickt er bereits in die Zukunft: 2016 werden die Paralympics in Rio de Janeiro stattfinden. Ein Kunde des Bad Mergentheimers wird am Start sein. Der einseitig unterschenkelamputierte Gerald Geier, der als erster Europäer mit Handicap den Ironman auf Hawaii bewältigte, will in Rio beim Triathlon antreten. Und Marcus Vogel wird dafür sorgen, dass seine Prothese mitmacht.