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WÜRZBURG: Mediziner ist gegen Therapie mit Cannabis-Blüten

WÜRZBURG

Mediziner ist gegen Therapie mit Cannabis-Blüten

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    Anästhesie-Professor Dr. Hans Georg Kress.
    Anästhesie-Professor Dr. Hans Georg Kress. Foto: Kress

    Seit März 2017 können zum Beispiel Multiple-Sklerose-Erkrankte Medizinal-Cannabis- beziehungsweise Drogenhanf-Extrakt legal auf Rezept aus der Apotheke beziehen. Ein medizinischer Meilenstein? Nein, sagt der in Wien tätige Schmerzexperte und Anästhesie-Professor Dr. Hans Georg Kress.

    Der gebürtige Würzburger ist eher verwundert. Darüber hinaus bezeichnet Kress es als „nicht zielführenden Unsinn“, dass Patienten selbst Cannabis zu Therapiezwecken anbauen sollen dürfen. „Das wäre eine Fehlentwicklung, die aber seitens bestimmter Interessensgruppen von der Politik zunehmend gefördert wird“, beobachtet der Schmerzexperte und ehemalige Präsident der Europäischen Schmerzgesellschaft (European Pain Federation EFIC).

    „Aus medizinischer Sicht gibt es dafür keine Notwendigkeit, außer man will Geld sparen – denn der Eigenanbau belastet das Budget der Krankenkassen natürlich nicht“, so der ehemalige Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie der Universität Würzburg. Dagegen koste, so Kress, die monatliche Versorgung von chronischen Schmerzpatienten mit dem aus Drogenhanf gewonnenen reinen Wirkstoff Dronabinol etwa 300 bis 600 Euro.

    Im Gespräch erläutert Kress, bei welchen Erkrankungen und Indikationen die Medizin auf die Wirkweise von Cannabinoiden, den in der Cannabispflanze enthaltenen Substanzen, vertraut.

    Frage: Bis vor gut einem Jahr war es in Deutschland verboten, Medizinalhanf oder einen Extrakt aus Drogenhanf ärztlich verordnen zu können. Warum wurde das Gesetz geändert?

    Hans-Georg Kress: Das frage ich mich auch. Aus medizinischer Sicht gab es keinen Grund, dies zu tun. Bereits seit 1998 darf in Deutschland wie in anderen Ländern auch der berauschende Hauptwirkstoff des Drogenhanfs, das Tetrahydrocannabinol, kurz THC, als Kapsel oder Tropfen ärztlich verordnet werden. Der jetzt vom Gesetzgeber erlaubte Gesamtextrakt der Pflanze enthält – ähnlich wie auch Cannabis-Flos – als wirksamen Bestandteil vor allem THC. Cannabis enthält daneben über 100 Cannabinoid-Substanzen, unter anderem auch das nicht berauschende Cannabidiol oder CBD.

    Wirkt ein Gesamtextrakt nicht besser als THC alleine?

    Kress: Es gibt keinen Hinweis, geschweige denn einen Beweis, dass der natürliche Gesamtextrakt aus der Cannabispflanze anders wirkt als der aus Drogenhanf gewonnene reine Hauptwirkstoff THC, der auch Dronabinol genannt wird. Das ergaben klinische Studien. Bezogen auf vergleichbare THC-Dosen gibt es weder einen qualitativen noch einen quantitativen Unterschied in der Wirksamkeit.

    Dann besteht auch kein Grund, natürliche Cannabis-Zubereitungen wie Marihuana zu legalisieren?

    Kress: Nein, das eine Thema hat mit dem anderen nichts zu tun, doch die beiden voneinander völlig unabhängigen Themen werden immer wieder in der öffentlichen Diskussion miteinander vermengt. Es gibt Ärzte, die Cannabis-Flos, also getrocknete Cannabis-Blüten für medizinische Zwecke verwenden möchten. Das ist aber längst überholt, dank der medizinischen Grundlagenforschung über die Wirkung von Cannabinoiden und dank der Rezeptierbarkeit der Cannabinoidarzneimittel, wie Dronabinol und Cannabidiol.

    Wie wirken Cannabinoide?

    Kress: Seit den 1990er Jahren weiß man, dass es körpereigene Substanzen gibt, die wie Cannabinoide wirken, und zwar über mindestens zwei spezifische Cannabinoid-Rezeptoren, das sind Ankopplungstellen für diese Substanzen auf den Zellen des Körpers. Es gibt also ein körpereigenes Cannabinoid-System, Endocannabinoid-System genannt. Nur deshalb können überhaupt von außen zugeführte pflanzliche Cannabinoide im Körper die meisten ihrer Wirkungen hervorrufen. Das Endocannabinoid-System hat die Aufgabe, ein funktionelles Gleichgewicht in und zwischen Organsystemen und wichtigen Regelkreisen des Körpers, wie Immun-, Hormon- und Nervensystem, aufrechtzuerhalten. Seine fünf Grundfunktionen sind: Entspannung, Ruhe, Vergessen, Schutz, Energiezufuhr. Diese Funktionen kann man über die Rezeptoren steigern oder hemmen.

    Bei welchen Erkrankungen und medizinischen Gründen befürworten Sie die Anwendung von pflanzlichem oder synthetisch hergestelltem reinen THC beziehungsweise Dronabinol als Arzneimittel?

    Kress: Dronabinol hat vor allem Indikationen in der Palliativmedizin, weil man gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen kann: Das durch Chemotherapie bedingte Erbrechen wird verhindert, ebenso der Brechreiz. Gleichzeitig hat Dronabinol eine appetitsteigernde Wirkung. Und letztlich fühlen die Patienten sich wohl durch den entspannenden und schmerzlindernden Effekt. Dafür verantwortlich ist die Wirkung von THC auf das Nervensystem. In anderen Gebieten unerwünscht, stellen die psychoaktiven Effekte in der Palliativ- und Schmerzmedizin eine sinnvolle Ergänzung dar, weil sie den Leidensdruck mindern und die Patienten damit ihre Situation besser bewältigen.

    Wem hilft Dronabinol noch?

    Kress: Die den Appetit steigernde Wirkung von THC hilft auch Aidspatienten, die meist unter Auszehrung leiden. Eine klare Indikation gibt es zudem bei Multiple-Sklerose-Patienten mit zentralen Nervenschmerzen oder Spastik, wenn herkömmliche Medikamente nicht ausreichen. Gleiches gilt für chronische, vor allem neuropathische Schmerzen, wenn Opioide und andere Arzneimittel nicht entsprechend wirksam sind. Dronabinol hat bei all diesen Anwendungen lediglich eine zusätzlich zu den herkömmlichen Medikamenten erzielbare Wirkung, keinesfalls kann Dronabinol oder Cannabis-Flos Opioide als starke Schmerzmittel komplett ersetzen.

    Wann wirkt Dronabinol nicht?

    Kress: Es wirkt bei bestimmten chronischen Nervenschmerzen, kaum aber bei akuten Schmerzen, etwa nach Operationen oder bei akuten Entzündungen. Darüber hinaus sollte Dronabinol nicht während Schwangerschaft und Stillzeit, bei Epilepsie-Neigung, Psychosen oder bei einer koronaren Herzerkrankung, etwa Angina pectoris, genommen werden. Bei Letzterer kann es Blutdruckabfälle und Pulsbeschleunigung auslösen.

    Was sind unerwünschte Wirkungen?

    Kress: Die klinische Wirkung von THC beziehungsweise Dronabinol ist bei gleicher Dosierung individuell verschieden und nur schwer vorhersehbar. Zudem können Cannabinoide bei anfälligen Personen Panikattacken und psychotische Zustände hervorrufen. Andere psychoaktive Effekte sind Müdigkeit oder Konzentrationsstörungen, Gefühlsschwankungen bis zu Halluzinationen. Deshalb sind eine genaue Aufnahme der Krankheitsvorgeschichte und individuelle Dosierung unter ärztlicher Kontrolle unbedingt erforderlich.

    Übernehmen Krankenkassen in jedem Fall die Kosten für Dronabinol, Cannabis-Extrakt oder Medizinalhanf?

    Kress: Nein, nur unter den im Paragraf 31 Sozial-Gesetzbuch V 2017 festgelegten Bedingungen und Indikationen, wenn herkömmliche Behandlungen versagen, nicht anwendbar sind oder nicht vertragen werden und eine begründete Aussicht auf Erfolg mit Cannabinoiden besteht. Zuletzt rückten über die gut bewiesene Minderung von Übelkeit und Brechreiz hinaus auch die antispastische und schmerzhemmende Wirkung mehr in den Blick. Im Einzelfall stellen THC-Präparate eine wertvolle zusätzliche therapeutische Option dar, ohne dass deshalb gleich Medizinalhanf verordnet werden müsste. Auf zentrale Schmerzen bei Multipler Sklerose wirkt Dronabinol beispielsweise besser als viele andere Schmerzmittel.

    Sind die Bedingungen für den Gebrauch von Dronabinol und Cannabis-Extrakten Ihrer Meinung nach optimal?

    Kress: Nicht ganz. Anzustreben wäre die Zulassung von Dronabinol-Tropfen und Kapseln als Fertigarzneimittel. Für Spastik bei Multipler Sklerose gibt es als Arzneimittel ein Dronabinol-CBD-Spray mit Zulassung in vielen europäischen Ländern. Zugelassene Fertigarzneimittel gibt es bereits in den USA unter dem Handelsnamen Marinol und in Kanada als Sativex-Spray. In Deutschland wie in Österreich muss der Apotheker aus der vom pharmazeutischen Produzenten gelieferten reinen pflanzlichen Ausgangssubstanz erst Kapseln oder Tropfen herstellen, was sehr aufwendig, aber preisgünstiger als das Fertigarzneimittel ist.

    Prof. Hans Georg Kress Der Schmerzspezialist wurde 1953 in Würzburg geboren und studierte dort Medizin. Bis 1993 war Hans Georg Kress Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie der Universität Würzburg. Seit 1993 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Anästhesie, Intensiv- und Schmerzmedizin an der Medizinischen Universität Wien. Gleichzeitig leitet er im Allgemeinen Krankenhaus die Abteilung für Spezielle Anästhesie und Schmerzmedizin, das größte Schmerzzentrum Österreichs. Kress ist Gründungsvorstand der Österreichischen Palliativgesellschaft, ehemaliger Präsident der Österreichischen Schmerzgesellschaft, Past President der Europäischen Schmerz Föderation (EFIC), wissenschaftlicher Autor, Gutachter sowie Mitherausgeber internationaler Fachzeitschriften. cj

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