Die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der Diözese Würzburg ist kurzfristig ins Stocken geraten. Die Bistumsleitung versucht einen Neustart. Der erst vor wenigen Monaten intern ins Leben gerufene Betroffenenbeirat wird Informationen dieser Redaktion zufolge nun durch ein öffentliches Ausschreibungsverfahren aufgestellt. Dabei sah es so aus, als würde es bayernweit in Würzburg den ersten Beirat geben – und dazu die erste Aufarbeitungskommission.
Vorab will das Bistum den Aufruf nicht bestätigen. Weitere Informationen soll es erst nächste Woche dazu geben. Betroffene wurden jedoch bereits benachrichtigt, dass der Startschuss zum Ausschreibungsverfahren am Mittwoch fallen wird.
Eigentlich gibt es den Beirat seit dem 10. September 2020, das sagte Bistumssprecher Bernhard Schweßinger Ende Dezember auf Nachfrage dieser Redaktion. Auch die Aufarbeitungskommission sollte in Kürze die Arbeit aufnehmen. Die Vorbereitungen zur Errichtung dieses Gremiums, dem auch zwei Betroffenenbeiräte angehören, seien abgeschlossen, hieß es damals. Doch nun müssen sich wohl alle gedulden, die an dem wissenschaftlichen Projekt in Zusammenarbeit mit der Universität Würzburg mitarbeiten.
Öffentliche Aufrufe gab es in den vergangenen Monaten in einigen Bistümern, etwa in Trier oder im Erzbistum München und Freising. Mittlerweile sind Betroffenenbeiräte auf diese Art und Weise gegründet worden. Nicht so im Bistum Würzburg. Dort ist Bischof Franz Jung einen anderen Weg gegangen. Er hat Betroffene ab Juni 2019 zu Gesprächen eingeladen - und diese Runde über ein Jahr später zum Betroffenenbeirat erklärt. Der Bischof ist damit nicht etwa regelwidrig vorgeprescht. Diese Abkürzung des Verfahrens ist laut der von den deutschen Bischöfen im Oktober 2020 veröffentlichten "Rahmenordnung zum Ausschreibungs- und Besetzungsverfahren sowie zur Aufwandsentschädigung für die strukturelle Beteiligung von Betroffenen" durchaus möglich.
Missbrauchsbetroffener forderte öffentliche Ausschreibung
Schnell entzündete sich jedoch an dem Würzburger Modus Kritik - obwohl er die Aufnahme in den Betroffenenbeirat vereinfacht hat: Es musste kein Bewerbungsformular beziehungsweise die "Erklärung der Bereitschaft zur Mitarbeit" ausgefüllt, keine Motivation schriftlich erläutert, kein Auswahlgremium gegründet werden.
Der Einwand des Missbrauchsbetroffenen Bernhard Rasche lautete, dass nicht alle Teilnehmer der Gesprächsgruppe bei dieser "Umbenennung" anwesend waren. Es liege somit kein einmütiges Einverständnis aller Beteiligten vor. Rasche forderte in einem offenen Brief an den Bischof einen öffentlichen Aufruf, damit sich alle Betroffenen des Bistums Würzburg für den Beirat bewerben können - also nicht nur die Personen, die sich in der Gruppe treffen. Dies wird jetzt umgesetzt.
Die vielen Diskussionen, das Hin und Her und jetzt der Rückschlag setzten einer Missbrauchsbetroffenen derart zu, dass sie das Vertrauen verloren hat und resigniert. Alexandra W. (Name der Redaktion bekannt) sagte gegenüber dieser Redaktion, dass sie sich nicht mehr in der Lage sieht, weiter an der Würzburger Gesprächsrunde teilzunehmen. Und dass sie auch nicht in dem neuen Betroffenenbeirat mitarbeiten könne.
Wobei W. es sehr begrüßt, dass es einen Neustart beziehungsweise öffentlichen Aufruf gibt. "Im Lauf der letzten Monate habe ich jedoch gemerkt, dass es keine konstruktive Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch innerhalb der Kirche geben kann, wenn Betroffene und Kirchenvertreter an einem Tisch sitzen." Wichtig sei zwar die Kommunikation zwischen beiden Seiten, diese dürfe auch künftig nicht abreißen. Aber für eine effektive Aufarbeitung des Missbrauchs brauche es vollkommene Neutralität. "Weder traumatisierte Betroffene noch die katholische Kirche, aus deren Reihe die Täter stammen, könnte diesbezüglich zu einem ehrlichen Ergebnis kommen."
Priester kritisieren "misslingende Missbrauchsaufarbeitung" in Köln
Womöglich ist die Realisierung einer von Jesuitenpater Klaus Mertes geforderten tatsächlich unabhängigen Aufklärung durch staatlich organisierte Kommissionen die Lösung. Mertes hatte 2010 die Missbrauchsfälle am Berliner Canisius-Kolleg und damit den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche öffentlich gemacht. Seither wird der Umgang mit Betroffenen, die Aufarbeitung und Transparenz immer wieder thematisiert und kontrovers diskutiert.
Nicht nur in Würzburg, auch in anderen Bistümern gibt es Probleme bei der Aufarbeitung. Vor allem in Köln. Dort eskaliert der Konflikt um ein nicht veröffentlichtes Missbrauchsgutachten zunehmend. Immer mehr Menschen treten aus der Kirche aus. Am Donnerstag wurde bekannt, dass über 50 Priester Brandbriefe an Kardinal Rainer Maria Woelki geschrieben haben. Sie kritisieren "die misslingende Missbrauchsaufarbeitung" des Erzbistums, zitierte die Katholische Nachrichtenagentur aus einem der Schreiben.
Deutlich und bislang einzigartig ist auch die Entscheidung des Kölner Diözesanrats. Laut einem Bericht des "Kölner Stadt-Anzeigers" vom Freitag setzt er seine Mitwirkung am Reformprojekt "Pastoraler Zukunftsweg" bis auf Weiteres aus. Aufgrund der ungeklärten Missbrauchsaufarbeitung sei keine hinreichende Akzeptanz vorhanden.
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