Im Prozess gegen einen Würzburger Logopäden flogen am Mittwoch unerwartet die Fetzen. Dabei hat der Angeklagte längst eindeutig gestanden: Er hatte seine Tätigkeit als Therapeut ausgenutzt, um sieben behinderte Buben teilweise bis zur Vergewaltigung zu missbrauchen. Dass er sie dabei filmte, um die Bilder mit Gleichgesinnten tauschen zu können, kommt erschwerend dazu.
Überraschung: Verteidigung sucht selbst nach Zeugen
Aber noch bevor der renommierte Psychiater Norbert Nedopil zu Motiven, Entwicklung und Schuldfähigkeit des Angeklagten sein Gutachten vortragen konnte, gab es eine Überraschung: Staatsanwältin Manuela Teubel informierte über die Vernehmung eines leitenden Mitarbeiters der evangelischen Kirche in Würzburg. Der hatte die Ermittler darüber in Kenntnis gesetzt, dass der Ex-Mann des Angeklagten im Auftrag der Verteidigung Entlastungszeuginnen unter seinen ehemaligen Arbeitskolleginnen in den Kitas suchte, in denen der Missbrauch stattgefunden hatte.
Knapp ein halbes Dutzend Whatsapp-Anfragen des in Scheidung lebenden Kindergärtners wurden von der Polizei gesichert. Sie liegen dieser Redaktion vor und zeigen: Gezielt wurde die Mutter eines der am ärgsten malträtierten Buben aufs Korn genommen, die sich öffentlich gegen den Logopäden stark macht. Der Ex-Partner des Angeklagten fragte das Kindergartenpersonal ausdrücklich unter Nennung des Namens nach intimen Informationen über die Behandlung ihres Sohnes – als einzigem der sieben missbrauchten Buben.
Versuch der Verharmlosung?
Diente dies nur dem von der Verteidigung angegebenen Zweck, auch das Gute in der Therapiearbeit mit den behinderten Kindern zu zeigen? Oder soll eine Kritikerin mundtot gemacht werden, wie ihr Anwalt Bernhard Löwenberg argwöhnt? Sein Kollege Hanjo Schrepfer warnte davor, die Straftaten des Logopäden zu bagatellisieren, um zu einer geringeren Strafe zu kommen. Verteidiger Alexander Hübner schnappte zurück: "Schwachsinn, Herr Kollege!"
Nebenklage-Anwalt Christian Mulzer wunderte sich – wie der Vorsitzende Michael Schaller – dass sich der Ex-Mann des Angeklagten in den Dienst der Verteidigung stellte. Dieser schien von den Straftaten seines Ex selbst erschüttert, habe die Scheidung eingereicht und den Kontakt zu seinem langjährigen Partner abgebrochen. Ist das Verhältnis doch nicht so distanziert, wie er es im Zeugenstand dargestellt hatte? Verteidiger Jan Paulsen dementierte, der Vorsitzende warnte jedoch vor dem Versuch, "dem Gericht einen Bären aufzubinden". Verteidiger Hübner knurrte: "Ich gebe hier ja gerne den Watschenmann ab, aber irgendwann ist Schluss."
Viele Fragen zu Nedopils Gutachten
Unbeeindruckt präsentierte indes Psychiater Norbert Nedopil über zwei Stunden lang sein Gutachten über den Angeklagten – in nichtöffentlicher Sitzung, weil intime Fakten erörtert wurden. Darüber drang wenig nach draußen, außer der Information, dass der Experte den Angeklagten uneingeschränkt für schuldfähig hält.
Nach Angaben von Gerichtssprecher Rainer Volkert, der für die Öffentlichkeit an der Sitzung teilnahm, schätzt der Sachverständige das Rückfallrisiko des Angeklagten ohne Therapie auf etwas mehr als zehn Prozent, jedoch nicht über 20 Prozent. Dieses Risiko könne durch eine Therapie, die in Justizvollzugsanstalten angeboten werde, auf ein sehr geringes Maß verkleinert werden. Damit scheint eine Sicherungsverwahrung unwahrscheinlich.
Gericht, Anklägerin, Verteidiger und Nebenkläger haben dazu noch viele Fragen an den Gutachter. Dies dürfte den Großteil der Zeit an diesem Donnerstag einnehmen. Die Plädoyers werden wohl teilweise erst am 7. Mai gehalten. Mindestens ein weiterer Termin wäre für die Urteilsverkündung nötig.