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WÜRZBURG: Mit Augenspiegel und Taktstock

WÜRZBURG

Mit Augenspiegel und Taktstock

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    Augenarzt und Chormusiker: Vor 50 Jahren war der Laienchor des Würzburger Professors Walther Reichling (1894-1972) eine feste Größe der Würzburger Kulturszene.
    Augenarzt und Chormusiker: Vor 50 Jahren war der Laienchor des Würzburger Professors Walther Reichling (1894-1972) eine feste Größe der Würzburger Kulturszene. Foto: FOTO VB

    1894 in Köln geboren, musste sich der begeisterte Hobbypianist nach einer Kriegsverwundung im Ersten Weltkrieg vom Traum einer Profikarriere verabschieden und studierte stattdessen Medizin in Bonn, Wien und Berlin. Die Begeisterung für die Musik freilich blieb. Als Assistent und später Oberarzt der Augenklinik an der Berliner Charité konnte er mit Billigung seines Klinikchefs einen ersten „Reichling-Chor“ gründen.

    Selbst in der Kulturmetropole Berlin stießen die professionell einstudierten Oratorien-Aufführungen auf großes Interesse: Programmhefte der Konzerte in der Berliner St. Marienkirche haben sich in einer Spezialsammlung des Britischen Museums in London erhalten, wo sie wie ein Schatz gehütet werden. Auch mit der Theorie der Chorleitung setzte sich Reichling offenbar intensiv auseinander: Zu diesem Thema veröffentlichte er 1943 eine Broschüre „Menschenführung im Laienchor“.

    Als der begeisterte Chormusiker und Bach-Experte 1952 als Direktor der Universitäts-Augenklinik nach Würzburg berufen wurde, dauerte es nicht lange, bis er auch hier einen Laienchor gründete. Der pensionierte Kinderarzt Dr. Harald Zoepffel gehörte wie viele seiner Kommilitonen und übrigens auch Mitarbeiter und Oberärzte der Klinik dem Chor an.

    Studiosus Zoepffel, der Reichling auch deshalb kannte, weil seine Mutter dessen Sprösslinge als Kinderärztin betreute, besaß eine gute Bassstimme und nahm privaten Gesangsunterricht.

    Zu den Sängern zählten auch die vier Töchter des Professors und seine Gattin, die die unerbittliche Strenge während der Proben nicht weniger zu spüren bekamen als die übrigen Choristen. Geprobt wurde einmal wöchentlich im Hörsaal der Augenklinik am Röntgenring, vor Aufführungen schon auch einmal sonntags im leer geräumten Wohnzimmer der Familie Reichling in der Schellingstraße.

    Ein großes Oratorium wurde bis zu drei Jahre lang intensiv und diszipliniert einstudiert. Die Sänger mussten dabei stets ohne ein Klavier auskommen und aus didaktischen Gründen aus der Partitur singen – eine anspruchsvolle Aufgabe für einen Laienchor!

    Das kulturelle Engagement des Mediziners stieß nicht nur auf Bewunderung: Böse Zungen spotteten, für die Augenärzte sei Reichling ein großer Dirigent und für die Musiker ein großer Augenarzt. Geradezu vernichtend fiel das Urteil seines Nachfolgers Wolfgang Leydhecker aus, der selbst ein begeisterter, aber nicht unbedingt begnadeter Kammermusiker war. In seinen Lebenserinnerungen schildert er den ersten Eindruck beim Betreten der Würzburger Augenklinik 1964: „Deprimierend war die Bibliothek: In den letzten Jahren war fremdsprachliche Literatur nicht mehr angeschafft worden. Sie enthielt aber einen Karton mit Plakaten der Aufführung der Matthäus-Passion, die mein Vorgänger dirigiert hatte.“

    Reichling selbst, damals immerhin bereits 70 Jahr alt, zog nach Kassel, von wo aus er die Salzburger Festspiele besuchte und bis zu seinem Tod 1972 regen Anteil am Kulturleben nahm.

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