Schon von weitem hört man das Scheppern und Rattern. Langsam kommt es näher. Weihnachtslieder schallen durch die Domstraße. Passanten bleiben stehen, drehen sich um. Eine Mutter beugt sich zu ihrem Sohn, deutet in die Richtung des Geräuschs: „Schau mal, die Nikolausbahn!“ Aus der Straba winkt ihnen der Nikolaus zu. Er trägt einen glänzenden Samtumhang, auf dem Kopf eine rote Mitra mit Gold verziert. Hinterm Steuer sitzt Knecht Ruprecht mit einer braunen Kutte. Auch er grüßt die Mutter und ihren Sohn. Alle Jahre wieder verwandelt sich der Schoppenexpress in die Nikolausbahn. Dort wo sonst geschöppelt wird, schunkeln die Fahrgäste zu Weihnachtsliedern und naschen Schokoweihnachtsmänner.
Immer pünktlich zum ersten Adventswochenende fährt die Nikolausbahn der Würzburger Straßenbahn GmbH durch Würzburg – schon seit 30 Jahren. Spätestens wenn sie durch die Innenstadt rattert, wissen die Würzburger, dass die Vorweihnachtszeit begonnen hat. Doch bis es soweit ist, muss sie geschmückt werden. Dafür sind Andreas Störlein und Michael Zürn verantwortlich. Für die Außenhülle schrauben sie im Straßenbahndepot in der Sanderau ein Element nach dem anderen an dem Wagen fest, bis der Schoppenexpress komplett verkleidet ist.

Danach ist das Innere der Straba dran. Die beiden Männer hängen Lametta auf, befestigen Holzfiguren, kleben Fensterbilder an die Scheiben. „Nach so vielen Jahren wissen wir, wo welche Schraube sitzt“, sagt Störlein, der seit 30 Jahren die Bahn schmückt. Sein Kollege Michael Zürn unterstützt ihn seit 15 Jahren. Verschneite Skier, ein Sack voller Geschenke, ein grinsender Schneemann. Auf roten Weihnachtssocken steht „Frohe Weihnachten“ etwa auf Griechisch (Kala Christougenna) oder Französisch (Joyeux Noel). Vor vier Jahren haben Zürn und Störlein im Sommer die Außenhülle der Nikolausbahn erneuert. „Das war schon ungewöhnlich, im Sommer an Weihnachten zu denken“, sagt Andreas Störlein und beginnt zu lachen. Dort wo nun eine winterliche Landschaft zu sehen ist, zierte vorher ein Lebkuchenhaus die Nikolausbahn.
Nikolaus und Knecht Ruprecht bereiten sich vor
Nach zwei Tagen erinnert nichts mehr an den Schoppenexpress. Außer vielleicht die charakteristischen alten Holzsitze im Innern. Die Nikolausbahn ist bereit, um ihre Runde von der Sanderau bis zum Hauptbahnhof zu starten. Doch Nikolaus und Knecht Ruprecht fehlen noch. Michael Vogt werkelt an der Musikanlage, während Michael Dees Kleingeld zählt und in ein kleines Säckchen wirft. Eine Rute gibt es in der Nikolausbahn nicht, dafür aber Schokonikoläuse. Als Knecht Ruprecht wirft sich Vogt ein braunes Gewand über, setzt die passende Mütze auf. Dees trägt für seine Rolle als Nikolaus ein langes Hemd unter dem Umhang und – natürlich – einen weißen Rauschebart im Gesicht. „Der Knecht fährt, der Nikolaus kassiert“, beschreibt Vogt die Arbeitsteilung und grinst.

Das Tor des Betriebshofs schiebt sich langsam auf. Die Nikolausbahn rattert zum Ausgang, bleibt stehen. Pling. Die Tür öffnet sich. Großvater und Enkelin steigen in die Bahn: „Endlich hat es geklappt“, sagt er fröhlich. „Wir wollten schon vor längerem mit der Bahn fahren. Aber wir hatten bisher Pech. Sie war immer voll.“ Mit großen Augen schaut das Mädchen den Nikolaus an, als er ihr einen der Schokoweihnachtsmänner in die Hand drückt. Das Lied „In der Weihnachtsbäckerei“ wird abgelöst von „Lasst uns froh und munter sein“.
An den Samstagen ist mehr los
Vor allem an den Samstagen haben Nikolaus und Knecht Ruprecht viel zu tun. „Da haben wir doppelt so viele Gäste wie sonntags.“ Am ersten Adventssamstag sind heuer 408 Menschen mit der Bahn gefahren. „Nachmittags geht es richtig ab“, erzählt Dees. Dennoch mögen beide ihren zusätzlichen Job. „Ab Mitte des Jahres fiebern wir schon wieder darauf hin“, meint Michael Vogt. Vor fünf Jahren fragte ihn sein 49-jähriger Kollege, ob er Knecht Ruprecht sein wolle. Nach Rücksprache mit seiner Frau stimmte er schon wenige Minuten später zu. Dees übernahm vor acht Jahren die Nikolaus-Stelle.
Seitdem bilden die beiden Straßenbahn- und Busfahrer in der Vorweihnachtszeit ein Team. Selbst nach Feierabend können Nikolaus und Knecht Ruprecht nicht ohne einander. „Wir verbringen auch unsere Freizeit miteinander“, verrät Vogt. „Wir fahren zusammen Motorrad“, ergänzt Dees. Die Männer beginnen zu lachen. Doch Nikolaus und Knecht Ruprecht zu sein, bedeutet auch verplante Adventswochenenden. Selbst an Heiligabend fahren sie mit der Nikolausbahn durch die Innenstadt. Schlimm sei das nicht, findet Vogt.
„Die leuchtenden Kinderaugen entschädigen für alles“, sagt der 51-Jährige. Denn in erster Linie machen sie den Job für die kleinsten Fahrgäste. Michael Dees freut sich, wenn die Kinder voller Begeisterung ihre Eltern an den Mänteln ziehen und auf ihn und seinen Kollegen zeigen. Selbst Erwachsene sind von dem weihnachtlichen Fahrzeug angetan. Acht Frauen aus dem Westerwald steigen ein. „Das ist ja der Knaller“, entfährt es einer der Damen. „Das ist toll“, staunt eine weitere. Bei ihnen gebe es so eine Bahn nicht. Kein Wunder. Eine solche Oldtimer-Straßenbahn ist nicht alltäglich. Erbaut wurde sie 1953. Seit 1987 dreht sie als Nikolausbahn ihre Runden.

Die Adventswochenenden sind ausgebucht
Sowohl Frau Nikolaus als auch Frau Knecht Ruprecht unterstützen ihre Männer. Dass sie an den Adventswochenenden ausgebucht sind, ist kein Problem. Eine Sache stört Michael Vogts Frau dann aber doch: „Das einzige, was meine Frau stört, ist die Matte im Gesicht.“ Als Knecht Ruprecht trägt er keinen Kunstbart wie sein Kollege Dees. Ein halbes Jahr vorher lässt der Straßenbahnfahrer die Haare sprießen. Der Kunstbart juckt ihn zu sehr. „Ich gehe gleich ins Bad. Das ist das erste, was ich mache, wenn ich am 24. Dezember nach Hause komme. Dann fällt der Bart.“ Und mit ihm legt Michael Vogt die Rolle des Knecht Ruprechts ab – bis zum nächsten Jahr.
Die Nikolausbahn fährt noch bis Heiligabend an den Adventswochenenden: samstags von 9.33 bis 13.26 Uhr und 14.13 bis 18.06 Uhr; sonntags von 13.03 bis 18.12 Uhr.