In der Sanderstraße landen Linksabbieger, kurz bevor sie in die Badergasse einschwenken, an einem besonderen Ort: dem Fahrradservice des Erthal-Sozialwerks. Hier kann man sein Rad nicht nur reparieren lassen. Die vor 30 Jahren gegründete Werkstatt für psychisch kranke Menschen, die ihren runden Geburtstag am 20. September während des Stadtfestes mit einer Oldtimer-Sternfahrt feiert, versteht sich als Servicepartner bei allen Fragen rund ums Rad. Ob klassisch oder elektrisch.
Wer keine Lust hat, sein Stahlross zu waschen, ist hier ebenfalls richtig. Denn die Werkstatt besitzt die erste unterfränkische Fahrradwaschanlage. „Etwa fünf Räder waschen wir am Tag“, sagt Werkstattleiter Hermann Lutz. Er und sein Team denken sich ständig etwas Neues aus. Vor der Eingangstüre ist seit einiger Zeit zum Beispiel ein Schlauchautomat angebracht – für Notfälle, wenn die Reparaturwerkstatt geschlossen ist. „Im kommenden Jahr wollen wir eine Ladestation für Elektrofahrräder eröffnen“, berichtet der engagierte Handwerksmeister, der seit dem ersten Tag in der Werkstatt aktiv ist.
Der innerstädtische Standort kommt der Einrichtung zugute: Verglichen mit den Anfangsjahren im Frauenland wird heute ein Vielfaches an Rädern begutachtet, repariert und durchgecheckt. „Nach unserer Eröffnung 1984 hatten wir etwa fünf Räder in der Woche zu reparieren“, erinnert sich Lutz. Heute weist die Kundendatei um die 12 000 Zweiradbesitzer auf.
Mal braucht es eine neue Nabe, mal flattert das ganze Rad und muss gründlich überprüft werden: Über 200 Bikes werden zu Hochzeiten pro Woche in die Werkstatt gebracht. 1998 erfolgte der Umzug von der Erthal- hinunter in die Sanderstraße. Zahlreiche Verbesserungen waren Lutz zufolge damit verbunden: „Unsere Werkstattfläche ist von damals rund 50 auf nun 500 Quadratmeter gewachsen.“
Aufgrund seiner Lage bildet der Serviceladen eine Art Knotenpunkt im Radwegenetz, das die einzelnen Studierstätten Würzburgs miteinander verbindet. Hier kommen radelnde Fachhochschüler, Juristen aus der Neuen Uni, Musikhochschüler und andere Studierende auf dem Weg zur Mensa oder zum Studentenwerk vorbei. Doch nicht nur die „Studis“ geben ihr plattes Rad ab, sagt Gruppenleiter Roland Fischer: „Zu uns kommen auch die Professoren.“
Manchmal muss kniffeligen Problemen auf den Grund gegangen werden. Lutz: „Der Kunde sagt zum Beispiel, dass ihn ein Geräusch irritiert.“ Doch woher kommt es genau? 28 seelisch behinderte Mitarbeiter bemühen sich, die Sache aufzuklären. In vier Boxen wird im Team gearbeitet. An der Spitze jedes Teams steht ein Obermonteur – also ein Beschäftigter mit langjähriger Erfahrung. Kommt er nicht weiter, unterstützen drei Handwerksmeister.
Jens Schwarzer arbeitetet bereits seit 14 Jahren in der Fahrradwerkstatt. Früher war der 40-Jährige in Bettingen als Hausmeister tätig, dann eine Zeit lang arbeitslos. „Mir ging es in meiner Familie sehr schlecht. Deshalb bin ich auch psychisch krank geworden. Mit Fahrrädern habe ich mich immer gern beschäftigt. Als Jugendlicher nahm ich zwei alte Räder her und baute daraus ein neues“, erzählt er. Seit vier Jahren hat er in der Werkstatt die Funktion eines Obermonteurs. „Ich repariere inzwischen auch elektrische Räder. Hierfür habe ich mich fortgebildet“, sagt Jens Schwarzer.
„Zu uns kommen auch die Professoren.“
Roland Fischer, Gruppenleiter beim Fahrradservice des Erthal-Sozialwerks
Arbeitsplätze für Menschen mit seelischen Problemen müssen übersichtlich und klar strukturiert sein. Das ist durch die akribisch definierten Arbeitsprozesse gegeben. Seit 2000, erläutert Fischer, ist die Werkstatt nach dem internationalen Qualitätsstandard DIN EN ISO 9001 zertifiziert. Das klingt kompliziert, bedeutet aber eine Vereinfachung in den Abläufen. Jeder Arbeitsschritt ist genau beschrieben. Das beginnt, wenn der Kunde die Werkstatt betritt, und endet nach mehreren Probefahrten, wenn er sein Rad abholt. Lutz und Fischer sind stolz auf die Zertifizierung, heben sie sich dadurch doch in puncto Qualität von den meisten deutschen Fahrradwerkstätten ab.
Frank Fabian, 39 Jahre alt und gelernter Schlosser, gehört seit sieben Jahren zum Team. „Ich kann da vieles anwenden, was ich in der Schule lernte“, sagt er. Zum Beispiel werde er immer geholt, wenn englischsprachige Kunden in die Werkstatt kommen. „Ich arbeite auch gern am Computer. Insgesamt ist die Tätigkeit interessant und abwechslungsreich.“
Werkstattleiter Hermann Lutz ist übrigens selbst leidenschaftlicher Zweiradfahrer. Für die Geburtstagsparty der Werkstatt setzt er sich allerdings ins Auto: Rund 100 Oldtimer werden am kommenden Samstag zur Feier auffahren. „Damit wollen wir zum Stadtfest die Sanderstraße beleben.“ Eingewunken werden die Automobile ab 9.45 Uhr von Andreas Pfister, dem renommierten Rennfahrer aus Franken. Um das Event zu organisieren, arbeitet die Werkstatt mit dem Oldtimer-Stammtisch von Alois Nitsche zusammen. Die Beschäftigten der Werkstatt sitzen als Beifahrer in den nostalgischen Gefährten, die in zwei Konvois an der Residenz vorbei in die Sanderstraße einfahren werden.