Der Abend muss lustig begonnen haben. Die 23-Jährige war zu Besuch aus der Rhön nach Würzburg gekommen. Sie war bei ihrem Freund, der in Würzburg studiert, ein paar Kommilitonen kamen dazu. Man unterhielt sich, man trank, man lachte. Dann ging die Auszubildende mit den Kumpels des Freundes in einen Club. Ihr Partner war müde und blieb daheim.
In dem Lokal in der Innenstadt habe sie ihre Begleiter verloren, erzählt die blonde Frau vor dem Würzburger Landgericht. Sie ist aufgeregt, sie zittert, kämpft mit den Tränen. Ein paar Meter neben ihr sitzt der Mann auf der Anklagebank, dem die Staatsanwaltschaft vorwirft, sie vergewaltigt zu haben. Der 42-Jährige äußert sich nicht zu der Anklage. Deshalb muss das Gericht die Auszubildenden vernehmen.
„Es wird unangenehm werden“, sagt der Vorsitzende Richter gleich zu Beginn. Die Frau nickt. Dann erzählt sie, dass sie zu viel getrunken habe in dieser Novembernacht. Dass sie den Club allein verlassen habe. Dass sie sich gar nicht auskenne in Würzburg. Dass sie herum geirrt sei, die Wohnung des Freundes nicht mehr gefunden habe.
Irgendwann habe sie Schritte hinter sich gehört, Angst bekommen – und den Freund angerufen. Kurz vor fünf Uhr war das, der Mann hörte das Klingeln nicht. Die 23-Jährige erreichte nur die Mailbox. „Ich tat aber so, als würde ich mit meinem Freund sprechen“, erzählt sie im Zeugenstand. Sie habe gehofft, dass der Verfolger sie „in Ruhe lässt, wenn er hört, dass ich am Telefon sage, dass ich gleich daheim bin“.
Plötzlich sei sie in den Schwitzkasten genommen wurde. „Halt die Fresse“, habe der Verfolger gesagt. Hinknien habe sie sich müssen, ihn oral befriedigen. Irgendwo vor einer Mauer. Möglicherweise in der Johannitergasse. „Ich hatte Todesangst“, sagt“, sagt die Frau. Wie paralysiert sei sie gewesen, habe sich nicht getraut, den Täter anzuschauen.
Deshalb kann die 23-Jährige den Mann nicht beschreiben. Sie wisse nur, dass er keinen Akzent hatte, sagt sie. „Ich habe einfach funktioniert in dieser Situation. Ich war wie in einer anderen Welt.“
Später findet ein Zeitungszusteller die weinende Frau in der Augustinerstraße, ruft die Polizei, die 1,6 Promille bei ihr feststellt. Fast zweieinhalb Stunden dauert die erste Vernehmung. Die 23-Jährige fühlt sich unverstanden. „Die Würzburger Polizei hat mir nicht geglaubt.“
Zusammen mit ihrem Freund fährt sie zur Polizei nach Bad Kissingen. Hier wird ein Kriseninterventionsteam eingeschaltet, das sich um die völlig aufgelöste 23-Jährige kümmert. Später werden DNA-Spuren des Angeklagten bei der Frau gefunden. Der einschlägig vorbestrafte Schaustellergehilfe wird ermittelt und in U-Haft genommen.
Inzwischen ist die Frau in psychotherapeutischer Behandlung. Ihr Freund hat sie dazu gedrängt. Zunächst habe sie alles mit sich allein ausmachen wollen, sagt sie. „Das ist meine Art.“ Ihrer Familie und den Freundinnen habe sie bis heute nichts erzählt.
Wie sehr das Geschehen die 23-Jährige verändert hat, beschreibt ihr Freund dem Gericht. Noch immer sei sie seine Traumfrau, sagt er. „Aber sie ist nicht mehr die, die sie mal war.“ Die beiden leben jetzt zusammen, Sex hatten sie seit dem 14. November nicht mehr. „Nachts wacht sie schreiend auf“, erzählt der Student, „sie ist verstört, weint viel“. Er glaubt, dass seine Freundin „nur bei der Arbeit komplett abschalten“ könne. Wenn sie nach Hause komme, müsse sie sich „gleich hinlegen“. „Ich bin überfordert mit der Situation“, sagt der 26-Jährige mit brüchiger Stimme, „ich hoffe, dass sich alles wieder ändert“.
Auch er schimpft auf die Würzburger Polizei. „Wie Dreck“ hätten die Beamten ihn und seine Partnerin bei den ersten Vernehmungen behandelt. „Die haben uns nicht geglaubt und mir Vorwürfe gemacht.“
Der Prozess wird am kommenden Freitag fortgesetzt.