Diese Landtagswahl in Bayern ist wie ein rechter Haken von Mike Tyson ans Kinn der Volksparteien CSU und SPD, und am Tag danach sitzt Bürgermeister Stefan Wolfshörndl (SPD) in seinem Büro in Gerbrunn (Lkr. Würzburg) und ist immer noch konsterniert. „Was Seehofer für die CSU, ist Nahles für uns“, sagt er. Der Luftballon namens Groko sei geplatzt: „Die Luft ist endgültig raus, die SPD als Juniorpartner wird für die Verfehlungen in Sippenhaft genommen. Wir waren keine Alternative.“ Wolfshörndl ist ernüchtert. Das Ergebnis: Neunkommanochwas. Einstellig. „Ich hätte das nie für möglich gehalten.“
Er kann schon am Tag danach die Parolen nicht mehr hören. Wir haben verstanden. Wir müssen jetzt analysieren. Wir schütteln uns. Krude Gedanken für ihn. „So kann es nicht mehr weitergehen“, sagt Wolfshörndl. „Wir brauchen einen personellen Neuanfang. In Bayern wie in Berlin.“

SPD-Bürgermeister: Nahles und Kohnen sollten gehen
Parteichefin Andrea Nahles und die bayerische SPD-Vorsitzende Natascha Kohnen sollten schnell ihre Stühle räumen, denn die Menschen würden nicht mehr wissen, wofür diese SPD überhaupt steht. Die SPD brauche neue Gesichter. „Die Katharina Schulze von den Grünen kannte auch keiner“, sagt Wolfshörndl, „man kann auch Personen zu Persönlichkeiten machen.“ Es brauche nur Mut zur Erneuerung.
Dabei hätten die regionalen Kandidaten wie Volkmar Halbleib und Georg Rosenthal einen überragenden persönlichen Einsatz geliefert im Wahlkampf, so der Kommunalpolitiker. Genutzt habe es wenig: „Wenn sie gar nichts gemacht hätten, hätten wir wohl auch nicht schlechter abgeschnitten.“ Er sei, gibt er zu, „auch ein wenig ratlos“.
Fahnen wie im Stadion: Aber mit dem Fußball in Bayern geht es auch dahin
Dabei hat Natascha Kohnen, Spitzenkandidatin, gekämpft wie eine Löwin, und gut zu sehen war das noch wenige Stunden vor der Wahl in Schweinfurt. Die Bezirks-SPD hat zum Wahlkampfabschluss eingeladen ins Heim der ESKAGE, einer Faschingsgesellschaft. Die Rückwand ist verspiegelt, was die Halle größer wirken lässt als sie ist. 300 Besucher sind gekommen, meist SPD-Mitglieder. Es gibt Leberkäskipf. Rote Fahnen werden geschwenkt wie im Stadion, aber mit dem Fußball in Bayern geht es ja auch gerade dahin.
„Colour the sky“ heißt die Band. Sie spielt „Sound of Silence“, als Spitzenkandidaten Kohnen in die Halle kommt – da ahnt noch keiner, wie still es um die SPD am Sonntagabend um 18 Uhr werden wird. Wahl. Kohnen ist kämpferisch, konzentriert, emotional, und später wird Harald Schneider aus Karlstadt (Lkr. Main-Spessart) sagen, „so kämpferisch habe ich sie noch nie erlebt“. Schneider, Ex-Landtagsmitglied, kandidierte selbst für den Bezirkstag. Er liebt seine Partei, aber legt auch Finger in die Wunden. Ein Rückenwind aus Berlin sei nicht spürbar, sagt er, und „Erfolge kann die SPD auch nicht richtig verkaufen“.
Warum die Grünen vom Gezänk in der CSU profitieren und die SPD nicht? „Das ist eben ein Hype.“ Deren Spitzenkandidatin Katharina Schulze verkaufe sich als „Sonnenschein“, während einige in der SPD vor allem in Berlin doch „eher griesgrämig daherkommen“. Griesgrämig ist SPD-Chefin Andrea Nahles nicht, als sie auf der Bühne im Schweinfurter Faschingsheim steht. Sie kam direkt aus Berlin, die Stimme ist angekratzt, und die gut 20-minütige Rede wirkt eher routiniert denn mitreißend. Wer sich mit Besuchern später unterhält, hört häufig die Frage, warum sie überhaupt eingeladen wurde, schließlich sei die Groko die Mutter des Dilemmas: „Sie schadet uns nur.“
Kapitale Fehleinschätzung der SPD

Die Halle ist fast leer, aber Natascha Kohnen ist geblieben. „Mein Optimismus ist ungebrochen“, sagt die 50-Jährige aus München. Fast die Hälfte der Wähler sei noch unentschlossen, das gebe ihr Hoffnung. Vielleicht sind noch ein paar Prozent drin. 13? 14? 15? Es werden nicht mal zehn – und vielleicht liegt das Problem der ehemaligen Volkspartei SPD auch in den kapitalen Fehleinschätzungen gesellschaftlicher Interessen und relevanter Themen. Die Menschen, findet Wolfshörndl, wissen nicht mehr, wofür die SPD steht: „Wir bieten für alles eine Lösung an, aber der Trend geht zu wenigen Positionen.“ AfD gegen Zuwanderung. Grüne für Klimaschutz. Und die SPD? Sie war einmal die Partei der Arbeiter, das soziale Gewissen Deutschlands, und jetzt treibt sie durch die Politik wie ein Ahornblatt im reißenden Strom.
Orientierungslos ist auch die CSU. Abgestürzt auf 37 Prozent, nichts mehr ist übrig vom herrgottgleichen Selbstverständnis, und irgendwie hatte Barbara Stamm das geahnt. Die Mama Bavaria aus Würzburg, seit 1976 im Landtag, bleibt nach außen auch in der schwarzen Stunde der Schwarzen loyal. Aber wer zwischen den Zeilen genau hinhört, erfährt, wie sehr sie der Rechtsruck ihrer Partei erzürnt.
CSU-Mann Hoffmann: Blaues Auge

Noch traut sich keiner im Bezirk, Rücktritte zu fordern. Noch hört sich die Kritik an der Spitze weichgespült an wie bei Alexander Hoffmann, dem CSU-Bundestagsabgeordneten aus Zellingen (Lkr. Main-Spessart): „Wir werden über die künftige inhaltliche und personelle Ausrichtung der CSU reden müssen.“ Er wolle nun erst einmal die Sitzung der Landesgruppe am Dienstag in Berlin abwarten, alles andere sei „schlechter Stil“.
Im Vorjahr, nach dem schwachen Abschneiden bei der Bundestagswahl, war Hoffmann einer der ersten, der öffentlich den Rückzug von Seehofer als Parteichef und Ministerpräsident gefordert hatte. Jetzt sei die CSU dank Söders Kampfgeist mit „einem blauen Auge davongekommen“. Die Parteispitze mit dem Vorsitzenden als Hauptverantwortlichen habe zum zweiten Mal eine falsche Strategie gewählt. Es reiche nicht zu schauen, wie man die Wähler am rechten Rand zurückgewinnen könne. Gleichzeitig habe die CSU mit einer schrillen Wortwahl nämlich liberale Anhänger in der Mitte verstört: Die CSU habe dreimal mehr Stimmen an Grüne, FDP und Freie Wähler als an die AfD verloren.

Dabei hat Barbara Stamm die Mitglieder noch wenige Tage vor der Wahl in Würzburg gemeinsam mit dem Ministerpräsidenten eingeschworen. Die Terminflut, die Prognosen, die Auseinandersetzungen inner- und außerparteilich haben ihre Spuren hinterlassen: Markus Söder wirkt gezeichnet. Das bläuliche Licht in der ehemaligen Industriehalle im Vogel Convention Center lässt den Raum aussehen wie eine Eishöhle. Mittendrin: Söder. Frostig ist die Stimmung nicht unter den rund 800 Zuhörern, meist Parteimitglieder, aber Euphorie sieht auch anders aus. Der Ministerpräsident spricht über eine Stunde, rückt die Stärke Bayerns ins Zentrum, preist das Land als Vorbild und die Demoskopen mit ihren Umfragewerten, sagt er, die würden sich schon noch wundern am Sonntag. Am Sonntagabend wundern sich dann nicht die Demoskopen, sondern viele in der CSU.
Erinnerungsfoto mit der Weinkönigin
Die ersten waren da schon gegangen mit ihren geschenkten CSU-Jutetaschen, als drinnen Stamm fast schon flehend dazu aufrief, der CSU das Kreuz zu geben. Dann singen sie gemeinsam die Hymne „Gott mit dir, du Land der Bayern“, und dann wird Söder hinausgespült von Menschen, die noch ein Selfie mit ihm wollen oder einen Händedruck. Söders Gesicht lässt erahnen, wie sehr er sich nach der Rückbank der Dienstlimousine sehnt. Dann ist er weg, und auf der Bühne zurück bleiben die regionalen CSU-Granden wie Manfred Ländner, Sandro Kirchner oder Oliver Jörg. Gelegenheit für ein Foto mit der Weinkönigin.
Es ist ja nicht so, dass der liebe Gott am achten Tage das Bayernland vertrauensvoll in die Hände der CSU gelegt hat. Die SPD stellte sogar gleich nach dem Krieg einmal einen Ministerpräsidenten: Wilhelm Hoegner gilt als Vater der bayerischen Verfassung, doch seitdem bekam die Partei im Freistaat irgendwie keinen Fuß mehr in die Tür. In den Städten schon, aber im Landtag ist die SPD verkommen zu einer Kleinpartei.
Halbleib verteilt rote Rosen am Gemüsestand
Am Samstagmorgen in Kitzingen hatte die SPD noch Hoffnung. Unterm Marktturm, gleich neben dem Gemüsestand mit Salat und Kohlrabi, stehen ein rotes Sofa und ein Sonnenschirm. Der SPD-Landtagsabgeordnete Volkmar Halbleib aus Ochsenfurt (Lkr. Würzburg) lässt rote Rosen verteilen. Was kann er am letzten Wahlkampftag noch tun? „Viel“, sagt er. „Viele sind noch unentschlossen, die gilt es zu überzeugen.“ Fast bedauert er es, dass der Wahlkampf vorbei ist: „Ich habe das Gefühl, dass die Stimmung sich dreht.“ Sachthemen wie Familienpolitik und Wohnungsmarkt würden langsam wieder in den Vordergrund rücken. Wie sehr er sich doch getäuscht hat.
Natascha Kohnen ist auch gekommen, „die Nadascha“, wie die Menschen hier sagen. Die Spitzenkandidaten gibt sich volksnah, sie umarmt fremde Menschen, und sie ahnt vielleicht schon: Am Sonntag wird sie selbst sehr viel Zuspruch brauchen.
CSU vor Apollo: Doch die „Bavaria One“ startet nicht richtig durch
Ein paar Schritte entfernt steht die Kitzinger CSU vor dem Optikgeschäft Apollo. Ein herrlich schöner Link zu Söders Weltraumvision einer „Bavaria One“, und Barbara Becker, die Stimmkreiskandidatin, sagt, „dass ich das auch erst mal komisch fand“. Aber wer sich mit dem Thema beschäftige, müsse zu dem Schluss kommen, „dass es klug ist, sich mit eigenen Satelliten unabhängig zu machen“. Zudem sei der Impuls aus der Wirtschaft gekommen“, sagt Becker, die auf der Straße in den vergangen Wochen die Themen Bund, Merkel, Seehofer als zentral wahrgenommen hat. Rückenwind sieht anders aus, sagt sie, und so wirbt sie hier in Kitzingen mit Worten, Kresse und krummen Gurken, die in ihre Wahlkampfzeitung eingewickelt sind. Immerhin: Sie gewinnt das Direktmandat mit 38,9 Prozent der Stimmen.

Ein Senior aus Segnitz kommt an den Stand, 83 Jahre alt und „so schwarz wie Nacht“, wie er sagt, „schon immer“. Seinen Namen nennt er nicht, aber wir könnten ihn schreiben, weil er ständig mit Namen angesprochen wird von den CSUlern hier. Er nennt die Kresse und die Gurken und die Berliner Politik „alles Larifari“ und sagt: „Mensch, wie sind wir abgesackt.“ Die Kreuzdebatte, der Sprung über jedes Stöckchen, das die AfD hingehalten habe, all das sei falsch gewesen, denn: „Ohne die CSU läuft doch nix in Bayern. Uns geht es doch gut, wir haben fast Vollbeschäftigung. Aber die Erfolge werden schlecht verkauft.“
Mitarbeit: micz