Dass sich Mobilität im Zeitalter der Digitalisierung wandelt, ist eine Binsenweisheit. Derzeit wird viel über autonomes Fahren, über die Zukunft von Diesel und Benzinern diskutiert. Neben dem Individualverkehr muss die Politik die öffentlichen Angebote ins Blickfeld nehmen. Auch wer kein eigenes Auto hat, benötigt, egal ob jung oder alt, eine vernünftige Anbindung – gerade dann, wenn er abseits der Ballungsräume lebt.
„Mobilitätswende in Unterfranken 2030“ lautet der Titel einer Tagung, zu der die unterfränkischen SPD-Landtagsabgeordneten auf Initiative des ehemaligen Würzburger Oberbürgermeisters Georg Rosenthal für diesen Samstag, 24. März, Verkehrsexperten aus Wissenschaft und Politik nach Würzburg in die Barockhäuser geladen haben. Einen wichtigen Schritt, um das Pendeln und Reisen innerhalb der Region zu erleichtern, haben die Städte Schweinfurt und Würzburg sowie die mainfränkischen Kreise derweil getan: Im Dezember gaben sie den Startschuss für den Verkehrsverbund Mainfranken, den drittgrößten seiner Art in Bayern. Ab 1. August 2022 soll es möglich sein, mit einer Fahrkarte von Tauberrettersheim im südlichen Landkreis Würzburg bis zum Kreuzberg in der Rhön mit dem Bus zu fahren.
Mut zum Experimentieren ist gefragt
Die Integration der gesamten Region in ein gemeinsames Fahrplan- und Tarifsystem ist ein Meilenstein, das Problem der Erreichbarkeit vieler Dörfer gerade in den Abendstunden und am Wochenende löst der Verkehrsverbund zunächst aber nicht. Hier braucht es viel Fantasie, Mut zum Experimentieren – „und auch mal zum Scheitern“–, sagt Alexander Schraml, ÖPNV-Pionier und Vorstand des Kommunalunternehmens im Landkreis Würzburg. Nicht zuletzt dank intensiver Beteiligung der Bürger und der Gemeinden habe man hier viele bedarfsgerechte Angebote schaffen können. Leere Busse führen so gut wie gar nicht mehr durch die Gegend. Stattdessen werde beispielsweise im dünn besiedelten Ochsenfurter Gau ein „Rufbus“, betrieben durch das örtliche Taxiunternehmen, in Nebenverkehrszeiten gern genutzt. Wer fahren möchte, ruft eine Stunde vorher an, und wird dann gemäß dem Fahrplan zum normalen ÖPNV-Tarif mitgenommen.
Claus Doll leitet das Geschäftsfeld Mobilität am Fraunhofer Institut in Karlsruhe und hat im Badischen „Mobilitätslösungen im ÖPNV-Schatten“ untersucht. Wie Schraml referiert auch er am Samstag bei der SPD. Mit Anrufsammeltaxis hätten die meisten der befragten Bürger – offenbar anders als im Landkreis Würzburg – keine guten Erfahrungen gemacht, sagt Doll. Hauptgrund sei die „Unlust vieler Taxifahrer“, weil sich die Fahrten nicht lohnten. Besser funktionierten sogenannte 50-50-Taxis. Da zahlten Nutzer den halben Taxitarif, die andere Hälfte übernehme ein Werbepartner aus der Wirtschaft.
Einmaliges Angebot für Nachtschwärmer
Einmalig in ganz Unterfranken ist laut Schraml das Service-Taxi, das Nachtschwärmer zwischen Mitternacht und 5 Uhr früh – je nach Bedarf – von Würzburg bis in die entlegensten Kreisgemeinden bringt. Voraussetzung ist, einer der Mitfahrer verfügt über eine Monats- oder Jahreskarte für diese Strecke. Dann schießt der Landkreis den doppelten Einzelfahrkarten-Tarif zum regulären Taxipreis zu. Letzteren können sich die Passagiere teilen. Das Angebot werde gern genutzt, so Schraml, „zumal das Taxi seine Fahrgäste bis nach Hause fährt“. Ein Discobus, der auf fester Linie stundenlang durch den Landkreis fährt, sei dagegen nicht attraktiv.
Gefragt seien konkrete, auf die Situation vor Ort zugeschnittene Lösungen. Entsprechend müsse man die Anforderungen an die Busunternehmen in den Ausschreibungen anpassen. Rund eine Million Euro investiert der Landkreis Würzburg jedes Jahr zusätzlich zu den rund zwei Millionen Euro Zuschuss vom Freistaat für den ÖPNV. „Gut angelegtes Geld“, ist Schraml überzeugt. Er wünscht darüber hinaus noch mehr Marketing. „Viele gute Angebote sind einfach noch viel zu wenig bekannt.“
Verbesserungen in Sachen Mobilität erwarten die Experten durch die Digitalisierung. Mittlerweile gibt es mehrere Apps wie „Moovel“ oder „Qixxit“, die per Algorithmus helfen, verschiedene Verkehrsmittel zu kombinieren. Bahn-, Bus- und Straßenbahn-Fahrpläne sind bundesweit aufeinander abgestimmt, clevere Apps vermitteln gegebenenfalls auch Leihräder und Mietautos, erläutert Doll. Der Landkreis Würzburg arbeitet mit einem Autohaus zusammen, das Zeitkarten-Inhabern via App günstige Zugänge zum Carsharing verschafft und dieses ohne große Bürokratie abrechnet. In den Würzburger Speckrand-Gemeinden Gerbrunn, Rottendorf und Veitshöchheim stehen die Leihautos an einem zentralen Platz – und werden gut gebucht. „So kann auch jemand ohne eigenes Auto mal einen Großeinkauf machen oder auswärts Freunde besuchen.“
Busspuren machen den ÖPNV attraktiver
Ziel auf Dauer müsse es sein, da sind sich Schraml und Doll einig, mehr Leute zum Verzicht aufs eigene Auto – „oder wenigstens das Zweit- oder Drittauto in der Familie“ – zu bewegen. Helfen könnte, in Städten wie Würzburg und Schweinfurt Busspuren einzurichten, damit Einpendler einen Vorteil haben, wenn sie auf den ÖPNV umsteigen. Für Claus Doll gehört auch eine „verbesserte Radwegeplanung“ dazu, um die Menschen zu bewegen, alternative Fortbewegungsmittel zu nutzen. Auf den Höhen von Spessart oder Rhön ist das Rad aber nur bedingt eine Alternative.
Bleibt das Auto selbst. Sind 2030 noch diesel- und benzinbetriebene Autos in Unterfranken unterwegs? Fraunhofer-Fachmann Doll hält sich mit konkreten Vorhersagen zurück. Dem Diesel gibt er aufgrund seines schlechten Images allerdings keine Zukunft mehr. China treibe die Elektromobilität stark voran, die deutschen Hersteller müssten aufpassen, hier nicht den Anschluss zu verlieren. Aktuell gehe es darum, die Batteriekapazitäten und damit die Reichweite von E-Autos zu verbessern. „Da ist Dynamik drin.“ Letztlich könnten nur die Firmen selbst durch massives Marketing für Wandel sorgen. „Die Hersteller müssen von ihren Autos überzeugt sein.“ Doll: „Allein aus Liebe zur Umwelt steigt kaum ein Autofahrer um.“