Die Dramatikerin und Theaterregisseurin Yael Ronen ist eine der produktivsten und kreativsten Theaterautorinnen der Gegenwart. Viele ihrer über 20 Bühnentexte wurden mit Preisen ausgezeichnet oder zu renommierten Festivals eingeladen. Das Chambinzky-Hafentheater stellt mit "(R)Evolution" in der Inszenierung von Martina Esser nun erstmals ein Stück der Autorin in Würzburg vor. Inhaltliche Grundlage der komödiantischen Dystopie sind die Sachbuch-Bestseller des Historikers und Philosophen Yuval Noah Harari (unter anderem "Homo Deus", "21 Lektionen für das 21. Jahrhundert"); uraufgeführt wurde das gemeinsam mit dem Schauspieler Dimitrij Schaad geschriebene Werk im Februar 2020.
(R)Evolution führt uns in die nahe Zukunft des Jahres 2040. Die Niederlande sind durch den Klimawandel im Meer versunken. In der Folge sind in Zentraleuropa elf Millionen Menschen auf der Flucht. Der Alltag wird, noch viel mehr als wir es heute schon erleben, von Maschinen und Algorithmen bestimmt. Lana (Katharina Müller) und René (Miro Nieselt) wünschen sich nach Tochter Nina ein zweites Kind und suchen die Praxis von Dr. Stefan Frank (Csaba Béke) auf. Der ist Facharzt für Erbgut-Optimierung und erkennt sofort, dass mit diesem altmodischen Idealisten von Mann auf natürlichem Weg kein überlebensfähiger Nachwuchs gezeugt werden kann.
Da besteht genetischer Optimierungsbedarf, zumal die Krankenkasse nur noch perfekt designte Überlebens-Kinder versichert. Die aufgeschlossene Lana sieht das ein, der "ideologisch verbohrte", der widerständigen Gruppe der "Naturalisten" zugerechnete Renè verweigert sich den Optimierungsplänen und beharrt auf natürlicher Fortpflanzung.
Ausleben von Sexualität ohne körperliche Nähe
Dabei haben vertraute intime Nähe und Sex in diesen 2040er-Jahren nur noch wenig mit zwischenmenschlichem Beisammensein zu tun, wie zwei weitere der insgesamt zwölf Szenen eindrucksvoll zeigen. Etwa, wenn eben jener Stefan Frank mit seinem Mann Ricky (Bodo Koch) in räumlicher Distanz, aber durch Cyber-Brillen im virtuellen Raum verbunden, sich hemmungslos rein digitalen Phantasien hingeben. Oder wenn sich die vereinsamte, zu Depressionen neigende Single-Frau Tatjana (Angelina Gerhardt) in ihrer Verzweiflung eine innige Beziehung zu "Alecto", ihrem virtuellen Alltags-Dauerbegleiter, aufzubauen versucht, weil der nach dem Tod ihrer Mutter ihr einziger "Gesprächspartner" geblieben ist.

Überhaupt gehört der KI-gesteuerte Assistent "Alecto" im Jahr 2040 selbstverständlich in jeden Haushalt, wo er nicht nur den Kühlschrank steuert (und bei Überschreitung von Kalorien- oder Zucker-Grenzwerten einfach nicht mehr öffnet), sondern auch das allmorgendliche Meeting der Küchengeräte organisiert.
Wie wird sich das Paar in der Kinderfrage entscheiden? Im beklemmend sterilen Bühnenraum spannt Regisseurin Martina Esser mit viel Tempo und kongenial ausgewählten Musikclips den Spannungsbogen geschickt über die verschiedenen Szenen mit den unterschiedlichen Personen-Konstellationen hinweg. Dabei verkörpern vier der fünf perfekt aufeinander abgestimmten Ensemblemitglieder neben der realen Figur eine je ganz unterschiedliche Alecto-Variante. Die klugen, witzigen, teils zynischen Dialoge kommen pointiert und genau auf den Punkt. Sie evozieren immer wieder spontanen Beifall, der kulminiert in einem stürmischen Schlussapplaus für eine Dystopie, die Erschrecken mit feinem Humor verbindet. Nach "Ellen Babic" ist "(R)Evolution" eine weitere Produktion, die das Hafentheater zum Hotspot für packendes zeitgenössisches Gegenwartstheater macht.
Das Stück ist noch bis zum 20. April auf dem Spielplan.
Karten und Infos unter www.chambinzky.com oder Tel.: (0931) 51212.