Ganz weit draußen in der Sanderau beim Straßenbahn-Depot in der Friedrich-Spee-Straße steht eine Wohnanlage, die Anfang des 20. Jahrhunderts errichtet worden ist. In dem markanten hufeisenförmigen Gebäude wohnen etwa 80 Personen – von Familien mit kleinen Kindern bis hin zu alten Menschen, die teilweise auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Die Mieter bilden eine große Gemeinschaft berichten Andrea Glaser, Peter Pecher-Fries und Frank Schlarmann, die in der Wohnanlage zwischen Friedrich-Spee-, Crevenna- und Greiffenclaustraße wohnen.
Durch Zufall wurden sie auf Baupläne aufmerksam, die aus ihrer Sicht erhebliche Beeinträchtigungen mit sich bringen würden. Denn der Eigentümer des Grundstücks und der Wohnanlage, die Würzburger Kratz Immobilien GmbH &Co. KG, plant auf der rückwärtigen Seite (in Nachbarschaft zur Leo-Deeg-/Max-Dauthendey-Schule) auf einer großen Grünfläche, die durch die Flügel der Wohnanlage eingerahmt wird, einen Neubau zu errichten.
"Generell überlegen wir eine Großtagespflege für Kinder und Mietwohnungen zu errichten"
Eigentümer Stefan Kratz
Eigentümer Stefan Kratz bestätigte dies auf Anfrage dieser Redaktion, erklärte jedoch über Art und Größe des Gebäudes noch keine konkreten Angaben machen zu können. Man befinde sich gerade in der Abstimmungsphase für ein Bebauungsplanverfahren mit der Stadt Würzburg. "Generell überlegen wir eine Großtagespflege für Kinder und Mietwohnungen zu errichten", so Kratz. Hinsichtlich der Großtagespflege fänden derzeit Gespräche mit dem städtischen Sozialreferat statt.Dort begrüße man diesen Vorschlag, denn der Bedarf an Kinderbetreuungsplätzen sei gerade in der Sanderau besonders groß.
Stadtheimatpfleger Steidle hat Pläne
Eine etwas andere Sicht der Dinge haben die Mieter der Wohnanlage. Sie berufen sich auf eine Stellungnahme von Stadtheimatpfleger Hans Steidle, die dieser im Juli zu dem geplanten Projekt verfasste und im Internet veröffentlichte. Steidle sagt gegenüber dieser Redaktion, ihm hätten Planungsunterlagen vorgelegen, die im Zusammenhang mit der Planung bei der Stadtverwaltung eingereicht worden seien. Daraus habe sich die Kubatur des geplanten viergeschossigen Flachdach-gebäudes einschließlich einer Tiefgarage ablesen lassen. Durch Steidles Veröffentlichung erfuhren die Mieter überhaupt erst von der geplanten Baumaßnahme.

Durch diesen Neubau würde die Grünfläche, die nach Angaben der Mieter 53 Prozent des Gesamtareals ausmacht, auf 20 Prozent reduziert. Die große Wiese mit ihren schattenspendenden Bäumen und Sträuchern wird vor allem in den warmen Monaten von allen Mietern gerne genutzt wird. Hier trifft man sich, hier wird gemeinsam gegrillt und vor allem ist dieser Hofbereich ein idealer Spielplatz für die vielen Kinder, da der Bereich durch Hecken und Zäune von den umgebenden Straßen abgegrenzt ist.
Bebauungsplan soll geändert werden
Nach dem aktuell gültigen Bebauungsplan dürfte der Neubau, der sich nahezu über die gesamte Grundstücksbreite erstrecken soll, nicht errichtet werden. Doch auf Anfrage von Stadträtin Anke Stumpf (CSU) wurde im Ferienausschuss des Stadtrats am 6. September bekannt gegeben, dass der Bebauungsplan gerade im Rathaus zur Änderung vorliegt. Auf Anfrage dieser Redaktion wurde von der Rathaus-Pressestelle mitgeteilt, dass die Bearbeitung des Planes noch nicht abgeschlossen ist. Wann der geänderte Bebauungsplan dem Planungs- und Umweltausschuss zur Beschlussfassung vorgelegt werden soll, stehe im Moment noch nicht fest.
"Die Wohnanlage hat in Würzburg singulären Charakter"
Stadtheimatpfleger Hans Steidle
Die Bewohner befürchten durch die geplante Bebauung aber nicht nur eine Beeinträchtigung ihrer Wohn- und Aufenthaltsqualität. Aus ihrer Sicht drohen auch negative ökologische Auswirkungen, in der ohnehin extrem dicht bebauten Sanderau. Einer der Mieter ist der Umweltingenieur Peter Pecher-Fries. Er hat eigens eine umfangreiche „Mikroklimatische Folgenabschätzung der geplanten Baumaßnahme“ angefertigt. Er kommt zu dem Ergebnis, dass in der näheren Umgebung der bestehenden Wohnanlage bereits eine hohe Flächenversiegelung besteht. Gemeinsam mit der Altstadt weise die Sanderau zudem die geringsten Vegetationsanteile auf. Dies führe dazu, dass in heißen Monaten die Sanderau nachts nur sehr langsam abkühle; zudem werde die schadstoffbelastete Luft, insbesondere während der häufigen Inversionswetterlagen in Würzburg, nur ungenügend ausgetauscht. Eine zunehmende Bebauungsdichte und Bodenversiegelung durch Neubauten verbunden mit einem weiteren Verlust an klimawirksamer Vegetation werde in der Sanderau zu einer Zunahme des Wärmeinseleffekts führen.

Neubau verhindert Wärmeabfluss
Konkret heißt dies, so Frank Schlarmann, der mit seiner Familie in dem Komplex wohnt, dass durch den geplanten Neubau und den Verlust an Vegetation sich der dann noch bestehende Innenhof sehr stark aufheize. Zudem werde der kühlende nächtliche Wärmeabfluss stark minimiert. Klarmann: „Das ist dann kaum noch auszuhalten, denn schon heute leiden viele Mieter unter aufgeheizten Räumen.“
Mieterin Andrea Glaser, die sich ebenfalls gegen den Neubau ausspricht, führt noch andere Argumente ins Feld: Diese Folgewirkungen würden vor allem die dort wohnenden alten und behinderten Menschen belasten. Ganz abgesehen von den Beeinträchtigungen während der Bauzeit. Den heutigen Mietern gehe es nicht um ihre eigenen Belange, sagt sie, denn durch den Verlust des Grünbereichs gehe auch kommenden Generationen etwas verloren.
Steidle: In Würzburg singulär
Steidle hat sich einer mehrseitigen Stellungnahme zu dem Neubauprojekt seine Gedanken gemacht – aus städtebaulicher und klimatologischer Sicht. Die 1926 entstandene Wohnanlage orientiere sich an der repräsentativen und dekorativen Architektur des 19. Jahrhunderts und nehme gleichzeitig Modernisierungstrends von Jugendstil und Expressionismus auf. Im Übrigen sei der dreiflügelige Gebäudekomplex an der Friedrich-Spee-, Greiffenclau- und Fechenbachstraße als Denkmal eingetragen, so Steidle. Der Komplex gehöre zu den in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre gebauten mehrgeschossigen Mietsblöcken in Blockrandbebauung um begrünte Innenhöfe, die als Maßnahme des frühen sozialen Wohnungsbaus der Wohnungsnot nach dem Ersten Weltkrieg und der Hyperinflation abhelfen sollten. Die Anlage besitzt laut Steidle „in Würzburg besonderen und singulären Charakter“.
Steidle äußert sich auch zur großen Grünfläche im rückwärtigen Bereich des Ensembles. Nur mit diesem unbebauten Freibereich könne die Rückseite der Dreiflügel-Anlage ihre eindrucksvolle Wirkung entfalten, schreibt Steidle: "Zum singulären Charakter der Wohnanlage gehört die vorhandene Grünfläche wie der Residenzplatz und der Hofgarten zur Residenz."