Hier beginnt alles: Am 31. Mai, dem Fronleichnamstag des Jahres 1725, bringen die Eibelstädter Burschen Christian Zängler (17), Nikolaus (18) und Valentin Hehn (14) dem damals schon hoch angesehenen Würzburger Professor Johann Bartholomäus Adam Beringer sonderbare Kalksteine, die sie am Monte Eivelstadiono, dem heutigen Kapellenberg, gefunden haben.
Auf den Steinen sind Pflanzen, Tiere, Himmelskörper und sogar Schriftzeichen zu sehen. Der Leibarzt des Würzburger Fürstbischofs ist fasziniert und hält die Objekte für Versteinerungen. Voller Tatendrang und wissenschaftlichem Enthusiasmus lässt er die drei weiter buddeln. Und so tauchen von Juni bis November nach neueren Erkenntnissen rund 1000 Figurensteine auf.
Da gab es Fische und Molche, Spinnen und Pflanzen, Insekten, Schmetterlinge, aber auch Seepferdchen, Kometen mit Schweif und eine lachende Sonne. „Manche der Steine wiesen geradezu humorvolle Motive auf, wie etwa zwei kopulierende Frösche oder eine Biene im Anflug auf eine Blume“, sagte Bürgermeister Heinz Koch bei der Eröffnung der Ausstellung „Neues über Beringer und das Rätsel um die Lügensteine“ im Rathaus der Stadt.
Großartiger Fund
Ein großartiger Fund und der größte archäologische Schwindel in der jüngeren Wissenschaftsgeschichte. Doch das stellte sich erst einige Jahre später heraus. Beringer jedenfalls katalogisierte 204 dieser Steine in seiner wissenschaftlichen Abhandlung „Lithographia Wirceburgensis“, die 1726 erschien.
Dadurch hoffte er, dass andere Gelehrte ihm bei der Forschung nach der Entstehung der Steine behilflich sein könnten. Sehr wohl habe er das „Ungewöhnliche“ dieser Steine erkannt, trotzdem soll der fest im katholischen Glauben verwurzelte Wissenschaftler sie der „Wirkung der bildenden Natur“ zugeschrieben haben, sagte Koch.
Doch nach der Veröffentlichung fliegt der ganze Schwindel auf. Die drei Jungs werden am 15. April und 11. Juni 1726 im historischen Rathaussaal Eibelstadt von hohen Herren des Würzburger Hochstifts verhört, erläuterte Dr. Petra Hubmann, Vorsitzende des Vereins „Beringers Lügensteine“ und Macherin der Ausstellung. Aber wer inszenierte diesen „Hotspot unserer Kulturgeschichte“? Damit hat sich Hubmann in ihrer Doktorarbeit eingehend beschäftigt. Vieles wurde schon spekuliert, aber nach einem Verhörprotokoll von 1726 scheint alles dafür zu sprechen, dass Beringers neidische Kollegen, der Mathematiker Ignatius Roderique und der Universitätsbibliothekar Johann Georg von Eckhart, die Täter waren.
Denn angeblich hatten sie sich über die Hochnäsigkeit Beringers geärgert. Den Protokollen zufolge soll Roderique die Figuren gemeißelt haben. Die drei Eibelstädter Burschen wurden beauftragt, einige Steine zu überbringen und weitere im Kapellenberg zu vergraben.
Die Frage, warum die Steine gerade in Eibelstadt auftauchten, sei aber noch nicht beantwortet. Hubmann ist sich sicher: „Es muss eine Erklärung geben, warum gerade hier und nicht an einem anderen Ort in Franken.“ Es bleibt also spannend, sich weiter damit zu beschäftigen.
Sicher könne man jetzt aber sein, dass es sich hier nicht um einen jugendlichen Streich oder Ulk handle, wie lange Zeit geglaubt. Denn der Umfang und die Dauer dieser Lügenstein-Affäre erforderten ein sehr intelligentes und ausgeklügeltes System und vor allem viel Geld, meinte die Historikerin. Die Lügensteine blieben weiterhin „berühmte Zeitzeugen der sehr früh einsetzenden Reformen in Bildung, Medizin, Naturwissenschaften und Philosophie in Beringers geliebtem Vaterland Franken“. „Wir sollten auf diese frühen aufklärerischen Schritte stolz sein, auch wenn es im Hochstift Würzburg nach Beringer und Friedrich Karl von Schönborn kurzfristig wieder rückwärts ging“, sagte Hubmann.
Wichtig ist ihr vor allem eines: Entgegen den Legenden, die sich um die Lügensteine ranken, sei Beringer nicht der letzte dumme Franke gewesen, für den ihn heute viele noch halten. Vielmehr verbesserte er die medizinische Versorgung im Hochstift durch die Einführung der modernen französischen Chirurgie sowie neuer Methoden und Lehren.
Dazu zählt unter anderem die Gründung des ersten Botanischen Gartens im Juliusspital, dessen Leiter er war, mit Abertausenden kostbaren exotischen Pflanzen. Neu hinzu kam auch die Erforschung der einheimischen Flora. Ziel der damaligen Mediziner und Naturforscher sei gewesen, die Heilungschancen und Versorgung der Menschheit zu verbessern.
Dass Beringer großes Ansehen genoss, beweist auch der neu entdeckte Nachruf, den Hubmann erstmals öffentlich präsentierte. Renate Freyeisen, stellvertretende Vorsitzende des Vereins, hat den „schwer zu entziffernden, lateinischen Text“ ins Deutsche übersetzt.
Friedlich verstorben
Darin heißt es: „Im Jahr des Heils 1738, den 11. April um 2 Uhr nachmittags, ist sehr fromm und friedlich im Herrn verstorben der hochedle, sehr berühmte und sehr geehrte Herr Johannes Bartholomäus Adamus Beringer, Doktor der Philosophie und Medizin, und eben darin öffentlicher Professor an der Universität Würzburg, Senior-Ordinarius der medizinischen Fakultät, Rat unseres verehrungswürdigsten und allerhöchsten Fürsten, Leibarzt, Mediziner am Hof und am Juliusspital, von einzigartiger Bildung seines Geistes und vor allem bewundernswert wegen des Umfangs seiner Gedanken...“
Beringers Unzulänglichkeit hinsichtlich der Lügensteine bleibt also bis heute einfach ein Irrtum. Hubmanns Fazit, basierend auf dem Urteil eines Wissenschaftlers: Wir irren allesamt, nur jeder irret anders.
Die Ausstellung „Neues über Beringer und das Rätsel der Lügensteine“ zusammengestellt aus Bildtafeln, Objekten und Dokumenten ist bis 20. Oktober im Rathaus Eibelstadt zu sehen: werktags zu den normalen Öffnungszeiten, Samstag und Sonntag jeweils von 14 bis 17 Uhr.
Weitere Informationen gibt es unter www.beringers-luegensteine.com