Es ist der erste große Inklusions-Wohnbau in Bayern, in dem zwei Wohngruppen für 24 Menschen mit Behinderung und 27 Wohnungen für Menschen ohne Behinderung in einem Haus entstanden sind: ein viergeschossiges Gebäude in der Rottendorfer Straße am Hubland. Im Juli dieses Jahres wurde die Wohnstätte der Lebenshilfe Wohnstätten Mainfranken offiziell eingeweiht – zwei Jahre hatten die Bewohner aufgrund der Pandemie darauf gewartet.
Der weiße Bau gleicht mit seinem Flachdach und der modernen Fassade den Gebäuden in der Umgebung. Nichts weist von außen darauf hin, dass sich in einem Teil des Hauses eine auf zwei Stockwerke verteile Wohnstätte für Menschen mit Behinderung befindet. Und das ist laut Dieter Körber, Geschäftsführer der Lebenshilfe Wohnstätten Mainfranken, auch die Besonderheit: Die Wohnstätte ist von außen nicht explizit als solche zu erkennen, sondern fügt sich in das Gesamtbild des Gebäudes ein.

"Ein bayernweites Leuchtturmprojekt", mit dem man "Teil des neuen Hublands" sei, nennt Körber das Projekt. Über den Wohngruppen wohnt ein Student, im obersten Stockwerk befindet sich ein Penthouse. "Hier leben Menschen mit und ohne Behinderung Tür an Tür", sagt Körber. "Wir hoffen, dass eine kleine Hausgemeinschaft entsteht." Während die anderen Wohnstätten der Lebenshilfe einzelne, für sich stehende Gebäude sind, "gehen wir am Hubland in eine andere Richtung."
"Hier leben Menschen mit und ohne Behinderung Tür an Tür."
Dieter Körber, Geschäftsführer der Lebenshilfe Wohnstätten Mainfranken
Im Wohn- und Esszimmer der Wohngruppe im ersten Stock herrscht viel Betrieb: Eine Bewohnerin und ein Bewohner sitzen am großen Esstisch und knüpfen mit Wollfäden bunte Bilder, zwei andere bereiten Teller mit Rohkost vor, ein Mitarbeiter steht am Herd, ein Bewohner liegt auf der Couch und döst. An den Wänden hängt herbstliche Deko, über die Sofas sind gemütliche Decken gebreitet. Gleich gibt es Abendessen, und das nehmen die zwölf Bewohner der Wohngruppe meist gemeinsam zu sich.

Acht Frauen und 16 Männer bewohnen die auf zwei Stockwerke verteilten Gruppen. Jeder Stock ist eine Art Wohngemeinschaft, in der jeder Bewohner und jede Bewohnerin ein Einzelzimmer mit eigenem Bad und WC hat. Sie alle arbeiten in den Mainfränkischen Werkstätten; die Jüngste ist 20 Jahre alt, der Älteste 59. "Einfach schön" sei es hier, "modern", "optimal, von der Umgebung her" – das Urteil der Bewohnerinnen und Bewohner über ihr Zuhause fällt einstimmig aus. Viele genießen es, das Zentrum mit zahlreichen Geschäften in Laufweite zu haben, und sich dort auch mit Freunden und Familie treffen zu können.

Im Sommer 2020, zwei Jahre nach dem ersten Spatenstich im Jahr 2018, konnten die ersten fünf Bewohner in die neue Wohnanlage einziehen; bereits kurze Zeit später waren laut Lebenshilfe alle 24 Plätze der zwei Gruppen vergeben. Außerhalb ihrer Arbeit gibt es für die Menschen in der Wohnstätte eine Betreuung, und auch nachts ist jeweils ein Mitarbeiter zur Nachtbereitschaft da. "Normalerweise sind wir vor Ort zu sechst", erklärt Gruppenleiterin Johanna Bick.
Wohnheimleben in familiärer Atmosphäre
Der Dienst für die Betreuerinnen und Betreuer beginnt um sechs Uhr, da die Bewohner ihr Zuhause zwischen 6.15 Uhr und 7.30 Uhr verlassen, um zur Arbeit zu fahren. "Manche nehmen die öffentlichen Verkehrsmittel, andere werden vom Fahrdienst abgeholt", sagt Bick. Zwischen 16 und 17 Uhr kommen die Bewohnerinnen und Bewohner wieder nach Hause, um 18 Uhr gibt es Abendessen. "Täglich haben zwei Bewohner Küchendienst, bereiten das Essen vor, decken den Tisch und räumen die Spülmaschine ein und aus", so Bick.

Nach dem Abendessen lassen die einen den Tag in ihrem Zimmer ausklingen, die anderen sitzen noch im Wohnzimmer, schauen fern, basteln oder malen. "Wir kochen zusammen und feiern gemeinsam Geburtstage", sagt Nina Freitag, Leiterin der Gruppe im zweiten Stock. Auch wenn die Interessen der Bewohner laut Freitag zum Teil sehr unterschiedlich sind – "bei den Männern gibt es viele Fußballfans, die Frauen basteln und malen gern" – wirkt das Miteinander in der Gruppe sehr vertraut. Man kennt die anderen und ihre Interessen, Eigenheiten werden liebevoll kommentiert. Jürgen und Kevin sind Bayern-München-Fans, Uwe knüpft gern und ausdauernd, Marcel liebt den Duft von Sauna-Ölen und sammelt sie.
"Ich habe zwei Gitarren hier, die ich spielen kann – auch, wenn's mir mal nicht gut geht."
Bruce, Musiker und Bewohner der Wohnstätte am Hubland
Einige leben ihre Kreativität auch außerhalb der Wohnstätte aus: Anna ist Schauspielerin im Theater Augenblick, Bruce Schlagzeuger der Inklusionsband Mosaik. In der Wohnstätte spielt der 34-Jährige allerdings Gitarre statt Schlagzeug – die geräuschärmere Variante für die Mitbewohner. "Ich habe zwei Gitarren hier, die ich spielen kann – auch, wenn's mir mal nicht gut geht", sagt er.

Andere vertrauen sich bei Problemen ihrer Betreuerin oder ihrem Betreuer an. "Jeder Bewohner hat eine Bezugsperson", erklärt Gruppenleiterin Johanna Bick. Miriam beruhigt es, dass sie bei Heimweh – sie hat vorher bei ihren Eltern gewohnt –, mit ihrer Betreuerin sprechen kann. Von Freitag bis Sonntag ist die 35-Jährige nach wie vor bei ihren Eltern, doch an einem Wochenende im Monat bleibt sie am Hubland – schließlich werden dann in der Gruppe Ausflüge unternommen. Auch ihren Urlaub verbringen die Bewohner und Bewohnerinnen oft gemeinsam. "Mal besuchen wir einen Freizeitpark oder Zoo, wir bowlen und gehen zusammen Essen", erzählt Johanna Bick.
Bauherr der Wohnstätte war ein privater Projektentwickler
Die Wohnstätte kommt bei ihren 24 Bewohnern gut an – die Fördermöglichkeiten für diese Art von Wohnprojekt mussten allerdings erst geschaffen werden: Eine soziale Einrichtung, die öffentlich gefördert wird, in einem Neubau mit privaten Wohnungen zu planen, war in Bayern Neuland.
Der Weg führte über einen privaten Projektentwickler: Markus Blum, Architekt und mit seiner Projektgemeinschaft, der Side by Side GmbH, Bauherr des Leuchtturmprojektes. Er erwarb das Grundstück von der Stadt und vermarktete die Privatwohnungen. Die Wohnheimflächen vermietet er langfristig an die Lebenshilfe Wohnstätten; die öffentliche Förderung erfolgt über die Mieten.
Ein weiteres Inklusionswohnprojekt wird in Würzburg seit längerem diskutiert. Der Zehnthof in Heidingsfeld wartet seit 13 Jahren auf eine Renovierung und den Neubau von Wohnungen. "Wir würden uns freuen, hier ein ähnliches Inklusionswohnprojekt realisieren zu können", so Körber. Hierzu sei die Lebenshilfe Wohnstätten Mainfranken seit einigen Jahren im Austausch mit der Stadtbau und dem Stadtrat.
Lebenshilfe Wohnstätten Mainfranken"Jeder Mensch soll seinen Ort zum Leben finden", so das Motto der Lebenshilfe Wohnstätten Mainfranken. Diese ist eine Tochtergesellschaft der Mainfränkischen Werkstätten, die zusammen mit vier weiteren Tochtergesellschaften den Unternehmensverbund Mainfränkische bildet. Dieser ist im Raum Würzburg, Kitzingen, Ochsenfurt und Main-Spessart tätig.Derzeit sind im Unternehmensverbund Mainfränkische rund 2500 Mitarbeiter, davon 1350 Menschen mit Behinderung, auf verschiedenen Arbeitsplätzen tätig. Etwa 320 Menschen mit Behinderung werden über die Lebenshilfe Wohnstätten in unterschiedlichen Wohnformen begleitet, etwa beim gemeinschaftlichen Wohnen in einer Wohnstätte und beim selbstständigen Wohnen mit ambulanter Unterstützung. Wohnstätten, in denen gemeinschaftliches Wohnen wie am Hubland möglich ist, gibt es in Würzburg (4), Ochsenfurt (2) und Kitzingen (2).Quelle: cat