Wir treffen uns in einem Würzburger Café. Zu einem Glas Pfirsicheistee – garniert mit einem Gespräch über Emma Watson, japanische Kloschuhe und ein Lebensmotto. Gesüßt mit Lachen und vielen nachdenklichen Momenten. Mirjam Dietrich ist eine junge Frau, stark, zielstrebig, bescheiden und die Gewinnerin des YWPA-Awards („Young Women in Public Affairs“).
Ein Lebensmotto?
Die Eiswürfel klappern, stoßen im Glas aneinander. Mirjam stupst sie mit ihrem Strohhalm an. Rührt kleine Kreise in die orange sprudelnde Flüssigkeit. Ob sie so etwas wie ein Lebensmotto habe? Sie lacht: „Als wäre ich 80 Jahre alt und würde auf mein Leben zurückblicken. Dabei bin ich gerade erst 18 geworden.“
Doch, ein Spruch fällt ihr ein. Sie zögert. Nein, den könne man nicht schreiben. Der sei zu kitschig. Wieder lacht sie, rührt in ihrem Eistee, denkt nach. Schick sieht sie aus, mit ihrem schwarzen Rollkragenpulli und den schwarzen Lackschuhen. Ihre Haare hat sie schlicht zu einem Zopf zusammengebunden.
Sie ist die Stimme der Schülerinnen und Schüler
Mirjam Dietrich, 18 Jahre alt, wohnt in Gerbrunn, geht auf das Siebold-Gymnasium, ist Oberstufensprecherin seit der 11. Klasse. Viele Jahre schon engagiert sie sich an ihrer Schule ehrenamtlich. In der achten Klasse war es damals, als sie gefragt wurde, bei der SMV (Schülermitverwaltung) mitzumachen. Sie hat sich überreden lassen.
Mirjam grinst. In der 9. Klasse wählen sie die Schüler zu einer von drei Schülersprechern. Zwei Jahre macht sie diesen Job. Ist Sprachrohr für Schülerinnen und Schüler bei Problemen. Organisiert mit anderen zum Schuljubiläum einen Ball, gestaltet SMV-Tage für Schüler. Führt das Projekt „Schule ohne Rassismus. Schule mit Courage“ zu Ende und organisiert dazu ein Fest mit Workshops zu verschiedenen Kulturen und Ländern.
Viele Freiheiten
Ihre Arbeit ist vielfältig, kreativ. Sie hat viele Freiheiten, kann die Dinge umsetzen, die ihr wichtig sind. Das sind vor allem soziale Projekte. Sie macht es gern, hat Spaß daran. „Es ist schön, wenn man sich für was einsetzt und dann klappt das und man sieht es auch“, sagt sie.
Erste Gewinnerin des YWPA-Preises in Würzburg
Und darum fragt ihre stellvertretende Schulleiterin Irmgard Nickel-Göb, ob sie sich nicht für den YWPA-Preis bewerben wolle. Mirjam schickt die Unterlagen, wird zum Auswahlgespräch eingeladen. Dann warten.
Als der Anruf kommt, ist sie bei ihrer Oma am Bahnhof, wartet auf ihren Zug. Wirklich gerechnet hatte sie damit nicht, war überrascht. Mirjam strahlt, natürlich habe sie sich gefreut, sehr gefreut. „Es ist eine Wertschätzung, weil man dieses ganze Engagement ehrenamtlich gemacht hat.“
Besonders, wenn sie zurück denkt, an manchen Abend, an dem sie schnell nochmal losgerannt ist, Pappbecher gekauft hat, damit der Getränkeverkauf am nächsten Morgen doch stattfinden kann, weil ein anderer es, huch, komplett vergessen hatte.
Und für diese Becher, für die bekommt sie jetzt den Preis. Sie lacht und nimmt einen Schluck Eistee. „Es ist schön, eine Anerkennung zu bekommen und zu merken: Hey, das war echt gut, was ich gemacht habe und es hat anderen geholfen.“
Mirjams Kraftwerk ist die Familie, das Zuhause
Doch woher nimmt sie die Energie, die Motivation? Sie schaut aus dem Fenster, dreht mit Daumen und Zeigefinger an ihrem perlmuttfarbenen Ohrring, überlegt. Ihre Eltern, ihr Zuhause. Daran liege es wohl. „So ein Pflichtbewusstsein, Engagement und Interesse, das wird uns von zu Hause mitgegeben“, erzählt Mirjam. Ihr und ihrem Bruder.
Sie diskutieren viel daheim, über Politik, Schule, alles. Ihr Vater engagiert sich ehrenamtlich im „Shalom Europa“. Ihre Mutter im „Weltladen“.
Ihre Eltern sind es, die Mirjam immer wieder ermutigen, unterstützen, bestärken, sich etwas zuzutrauen, wenn sie zweifelt, unsicher ist. „Gerade mein Vater war es, der immer gesagt hat, du machst das schon. Das hat mir viele Türen geöffnet.“
Wieder schaut sie aus dem Fenster, starrt ins Leere. Was ihr die Eltern auch mitgegeben haben: Kritisch zu sein und selbstkritisch, sich aber trotzdem eine gewisse Lockerheit zu bewahren. Auch, wenn es mal nicht so läuft oder die Noten nicht perfekt sind. Ihr dann zu zeigen, worum es im Leben wirklich geht. Bodenständig zu sein.
Bescheidenheit statt Arroganz
Ob das nicht schwer ist? Schwer, nicht „abzuheben“, wenn man einen Preis gewinnt und geehrt wird? Auf Mirjams Stirn bilden sich Sorgenfalten: „Ich hoffe nicht!“ Arrogant, überheblich, so wirkt Mirjam auch nicht. Vielmehr geerdet, bescheiden
„Ich sehe mich nicht als bessere Person oder als würdiger, diesen Preis zu gewinnen als andere“, sagt sie. Natürlich freut sie sich darüber, ist stolz darauf, aber im Stillen, für sich. Erzählt hat sie bisher kaum jemandem davon. Sie will sich nicht wichtigmachen, in den Vordergrund drängen, Dinge an sich reißen. Sie engagiert sich für die Sache und weil es für sie selbstverständlich ist.
Japan und die Kloschuhe
So war es auch, als sie nach Japan ging. Für zwei Wochen, im letzten Herbst, nach Tokio, als Jugendbotschafterin. Unterstützt vom Auswärtigen Amt, initiiert vom „Youth for Understanding“, einem gemeinnützigen Verein, der sich unter anderem für interkulturelle Bildung und Demokratieerziehung einsetzt. Mirjam war eine von 15 ausgewählten Jugendlichen.
In Japan repräsentiert, vertritt sie Deutschland, hört Vorträge vom japanischen Außenministerium, der Deutschen Botschaft, von Universitäten und Wissenschaftlern über Religion, Vergangenheitsbewältigung, deutsch-japanische Politik.
In der zweiten Woche wohnt sie in einer Gastfamilie, besucht die Schule, lernt das japanische Leben kennen. Und sie kommt sich vor, als käme sie von einem fremden Planeten. In Japan schien einfach alles aus Prinzip anders zu sein.
„Unsere Welt, wie wir sie kennen, unser Leben ist nur so eine kleine Sichtweise von einem Ganzen“, sagt sie. Banales Beispiel: „Schuhe“, erzählt Mirjam. Sobald sie ein Gebäude betritt, muss sie Hausschuhe anziehen. Überall ist das so, in Schulen, öffentlichen Gebäuden, Wohnhäusern. Und für die Toilette, da gibt es extra Toilettenschuhe.
„Für uns ist das natürlich fern von allem, aber als wir ihnen erzählt haben, dass man bei uns manchmal Straßenschuhe zu Hause an hat - das können die sich nicht vorstellen“. Sie lacht. Doch das Schöne, das, was sie begeistert hat, was sie erkennt: Es gibt Gemeinsamkeiten. Gleiche Träume, gleiche Musik, Fans von gleichen Sängern, von Justin Biber und Taylor Swift. Das ist es, was sie mitnimmt nach Hause.
Zurück in Deutschland ist Mirjam Jugendbotschafterin von Japan, hält Vorträge an ihrer Schule, im Familien- und Freundeskreis und schreibt Artikel. Sie bringt den Menschen das ferne, exotische Land ein bisschen näher.
Emma Watson und der Feminismus
Zielstrebig ist Mirjam, weiß, was sie will und geht geradlinig ihren Weg. Dann ist sie jetzt sicher Vorbild für andere? Sie lacht. Vorbild? Sie wüsste nicht so recht, schüttelt den Kopf. Ihre braunen, glatten Haare wippen.
Immer wieder muss sie daran denken, was Irmgard Nickel-Göb zu ihr gesagt hat. Vielen Mädels hatte sie empfohlen, sich für den Preis zu bewerben. Doch keine traute sich, außer Mirjam.
Und Mirjam hofft daher, andere junge Frauen zu ermutigen, anzuspornen, zu bestärken. „Ich denke immer: Ein Nein habe ich schon, ein Ja kann ich noch bekommen“, sagt sie und gestikuliert dabei mit den Händen.
Starke Frauen in der Öffentlichkeit
Ihr eigenes Vorbild – starke Frauen in der Öffentlichkeit. Sie grinst, druckst etwas: Emma Watson, ja die beeindrucke, begeistere sie. Ihre Reden, ihre Einstellung, ihre Haltung. „Weil sie dem negativen Feminismus, diesem hardcore Feminismus mit kurzen Haaren, das Ganze nimmt. Das find ich toll“, sagt Mirjam und rutscht den Verschluss ihrer goldenen Kette hinter dem Kopf zurecht.
Kind oder Karriere? Gleichberechtigung als Ziel
Frauenrechte – dieses Thema ist ihr wichtig, das interessiert sie. In der 10. Klasse, in Sozialkunde war es damals, als sie sich zum ersten Mal mit dem Thema auseinandergesetzt hat.
Die Diskussionsfrage damals: „Kind oder Karriere?“ Mirjam hatte ihre Probleme mit dieser Frage, fand sie komisch. Immer geht es nur um die Frau. Was ist mit dem Mann? Muss der keine Verantwortung übernehmen? Und einem Mittelweg, den gibt es nicht?
„Man kann da so auch keine richtige Entscheidung treffen! Entweder bist du karrieregeil oder Mütterchen und konservativ“, sagt sie. Für die Gleichberechtigung will sie sich noch einsetzen. Weil sie es in vielen Ländern, in vielen Bereichen nicht gibt.
Ihr Lebensmotto und wohin die Lebensreise geht
Doch zuerst schreibt sie ihr Abitur – und zwar just jetzt gerade – im Mai. Danach dann bewirbt sie sich für eine Au-pair-Stelle in London. Ein halbes Jahr möchte sie dort bleiben und vielleicht ein Freiwilligenprojekt anhängen. „Ein Jahr raus, ein Jahr Pause“, sagt sie.
Bevor ihr Studium beginnt. In Berlin an der Humboldt Universität. Da würde sie am liebsten hin und Jura studieren. „Weil es mir wichtig ist, dass es gerecht zugeht. Dass jeder Mensch fair und ohne Vorurteile behandelt wird“, sagt sie. Das sei ihr Plan, zumindest im Moment. Sie lacht. Mirjam ist eine starke junge Frau, reflektiert, positiv.
Das Ehrenamt hat ihr viel geschenkt, für ihren Lebensweg, ihren Weg nach der Schule. Selbstbewusstsein, den Mut eine eigene Meinung zu haben und sie zu sagen und die Erkenntnis, dass es lohnt, sich dafür einzusetzen.
Und ihr Lebensmotto? Sie grinst, rührt in ihrem Eistee. Vielleicht sei es die Einstellung, nicht so schnell vorzuverurteilen. „Wenn ich jetzt eine Meinung habe und der andere hat eine andere, dann hat die andere Meinung auch ihre Berechtigung“, sagt sie. Es hilft ihr andere zu verstehen, ihr Denken, ihr Handeln, ihre Situation nachzuvollziehen
„Ich glaube, die Gesellschaft wäre toleranter, wenn man offen ist und sich einfach mal auf Dinge einlässt“, sagt Mirjam. Oh je, das klinge sehr weise. Sie muss lachen. Vielleicht trägt es sie durch ihr Leben, dieses Lebensmotto. Und vielleicht hat sie es noch, wenn sie 80 Jahre alt ist und auf ihr Leben zurückblickt.
YWPA Award Der Zonta-Club Würzburg hat in diesem Jahr gemeinsam mit dem Schwesterclub Zonta-Electra erstmals den „Young Women in Public Affairs (YWPA) Award“ (YWPA) verliehen. Er richtet sich an Schülerinnen zwischen 16 und 19 Jahren, die sich unter anderem ehrenamtlich in Schule und Gesellschaft engagieren. Die Auszeichnung soll ermutigen, sich ehrenamtlich im öffentlichen Leben und in der Frauenpolitik einzusetzen.