Wenn Ralf Stegner morgens nach dem Aufstehen seinen ersten Tweet schreibt, lassen die Reaktionen nicht lange auf sich warten. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende polarisiert wie nur wenige Politiker in den sozialen Netzwerken.
Frage: CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer nannten Sie einen „rechten Dünnbrettbohrer“. Auf Twitter warfen Sie der CDU vor, sie hätte auch Jesus abgeschoben. Am härtesten gehen Sie aber regelmäßig mit der AfD ins Gericht. Was sind Ihre Äußerungen? Emotion oder kalkulierte Provokation?
Ralf Stegner: Ich glaube, dass man in der Politik leidenschaftlich für die Dinge streiten muss, die man richtig findet. Und es heißt ja auch Wahlkampf, nicht Wahlspaziergang. Insbesondere Streit zwischen demokratischen Parteien – etwa zwischen der SPD und der CSU – ist wichtig. Das macht die Parteien unterscheidbar und nimmt Rechtspopulisten den Wind aus den Segeln, die sagen, „die da oben sind alle gleich“.
Sie betonten „zwischen demokratischen Parteien“. Gehört die AfD da dazu?
Stegner: Nein. Ich finde, das sind Demokratiefeinde, weil sie in Teilen das Grundgesetz nicht achten. Weil sie Leute wie Björn Höcke, den man getrost als Halb- oder Voll-Nazi bezeichnen kann, dulden. Populisten arbeiten immer mit Ressentiments gegen andere Menschen. Das unterscheidet sie von demokratischen Parteien und deswegen muss es das Ziel sein, sie aus Parlamenten rauszuhalten.
Glauben Sie, dass man etwa der AfD Wähler abjagen kann, wenn man die Partei so beschreibt, wie Sie das eben getan haben? Provoziert das nicht auch eine emotionale Reaktion, nämlich eine Trotzreaktion?
Stegner: Ich glaube, weder noch: Leute, die Rassisten sind, die rechtsextrem sind, sind für demokratische Parteien nicht zu gewinnen und die will ich in der SPD auch nicht haben. Wir müssen die Menschen erreichen, die „denen da oben“ einen Denkzettel verpassen wollen. Das geht nicht über übertrieben diplomatische Formulierungen. Demokratische Parteien müssen sich um reale Probleme der Menschen kümmern und deutlich sagen, dass Rechtspopulisten Angst schüren, für nichts eine Lösung haben, aber für alles einen Sündenbock.
Da würde übrigens meine Kritik an der CSU ansetzen, die teilweise deren Parolen übernimmt, in der Hoffnung, man gräbt Rechtspopulisten so das Wasser ab. Aber das wird nix: Wer in einen Misthaufen greift, der riecht danach, sagt man so schön.
Man sagt auch, Emotionen leiten unsere Entscheidungen. Sie haben kürzlich erklärt, die SPD will im Bundestagswahlkampf mit Themen punkten, die die Menschen beschäftigen. Kann man mit Themen Wahlen gewinnen, wenn der politische Gegner – wie Sie sagen – mit Emotionen wie Angst und Wut spielt?
Stegner: Es ist schwer, aber die SPD wird keinen Wahlkampf wie Donald Trump machen. Ich glaube trotzdem, dass man Themen mit Leidenschaft so transportieren kann, dass die Menschen sie verstehen. Ich bin nicht für Vornehmheit in Wahlkämpfen, aber dafür, dass wir bei der Wahrheit bleiben und nicht postfaktisch werden. Wer die Grenzen dicht machen und den Euro abschaffen will, gefährdet hunderttausende Jobs in Deutschland, denn wir leben vom Export. Das kann ich in einer Form ausdrücken, mit der ich auch die Menschen erreiche, die eher den Sport-Teil einer Zeitung lesen und nicht den politischen Kommentar.
Populismus, Postfaktisches, Fake-News – glauben Sie, dass der Wahlkampf dieses Jahr schmutziger wird als frühere?
Stegner: Es ist unser Job das zu verhindern: Als demokratische Parteien müssen wir hart in der Sache sein, aber oberhalb der Gürtellinie bleiben. Aber in Teilbereichen gibt es natürlich schon eine Verrohung, etwa in den sozialen Netzwerken. Wenn Sie sich meine Facebook-Seite oder die von Heiko Maas anschauen, finden Sie Drohungen oder Sätze wie „Geh doch in den Wald und häng dich auf, du Ausländerfreund“. Das hat gewaltig zugenommen.
Wie gehen Sie mit solchen Kommentaren um?
Stegner: Die Drohungen zeige ich an. Davon gibt es genügend, auch gegen meine Familie. Den großen Rest muss man ignorieren, denn kapitulieren kommt ja nicht infrage. Angenehm ist es jedenfalls nicht, aber in diese Situation kommt man ja nur, wenn man sich engagiert mit denen auseinandersetzt. Das tue ich und ich halte das für nötig.
Sie tun das vor allem auf Twitter. Kann man Rechtspopulisten in 140 Zeichen – also der Länge eines Tweets – Paroli bieten? Oder verschärfen Verkürzung und Zuspitzung nicht zwangsläufig die Diskussion?
Stegner: Das ist ein bisschen Temperamentsache. Wenn man etwas länger darstellen will, macht man das eben anderswo. Ich finde schon, dass Twitter eine ganz gute Möglichkeit ist.
Wir haben über Angst und Wut gesprochen. Mit diesen Emotionen sind zwei Themen verbunden: die Flüchtlingskrise und der Terror. Wie gehen die Medien aus Ihrer Sicht damit um?
Stegner: Sehr unterschiedlich. In Teilen helfen Medien durchaus denjenigen, die Provokation als Prinzip haben, weil man sich an ihnen abarbeitet: Wenn eine AfD-Frau sagt, man soll auf Flüchtlinge schießen und das später wieder zurücknimmt, wird darüber berichtet. Und damit haben die Populisten ihr Ziel erreicht. Auf der anderen Seite müssen die Medien natürlich auch berichten. Was die Flüchtlingsfrage angeht, hat es durchaus sehr differenzierte Berichterstattung gegeben.
Beim Thema Terrorismus ist es wichtig, die Balance zu wahren: Einerseits darf man nicht vergessen, dass wir eines der sichersten Länder der Welt sind; andererseits muss man sagen, dass man eine freiheitliche Gesellschaft nicht komplett sichern kann und dass das Einschränken der Freiheitsrechte oder gar das pauschale Verdächtigen von ganzen Religionsgruppen keine Lösung ist. Das machen einige Medien gut, andere weniger.
Sprechen wir noch über eine positive Emotion. Euphorie zum Beispiel. Die half der SPD kürzlich nur eine Zeit lang. Stichwort „Schulz-Effekt“ . . .
Stegner: Klar. Man braucht Emotionen, um Menschen zu überzeugen. Das ist überall so, auch bei der SPD. Wir haben vor einigen Monaten viele neue Mitglieder bekommen, das geht aber natürlich nicht ewig so weiter. Ich habe auch gar nichts gegen Emotionen an sich. Negativ ist es, wenn Angst die beherrschende Emotion ist.
Zur Person Ralf Stegner ist seit 2014 stellvertretender Vorsitzender der SPD. Bereits seit 2007 ist der 57-Jährige Chef des Landesverbands Schleswig-Holstein. Beim Kurznachrichtendienst Twitter folgen Stegner über 34 000 Menschen, über 32 000 sogenannte Tweets hat Stegner dort in den vergangenen knapp neun Jahren abgesetzt. Einige dieser Nachrichten brachten ihn zuletzt in die Schlagzeilen. Vor allem die AfD hatte Stegner immer wieder unter Beschuss genommen.