Beeindruckend: Es gibt Personen, die sind mit Aufräumen reich geworden. Eine davon hat ihre Tipps in Büchern zusammengefasst und auf diese Weise mutmaßlich unzählige Menschen aus ihrem Chaos befreit. Denn offenbar ist es so, dass haufenweise Leute schlicht und ergreifend nicht richtig aufräumen können. Nicht einmal, wenn ihr Leben davon abhinge. Sie beherrschen diese Kunst einfach nicht.
Denn tief in uns schlummert anscheinend noch immer der Jäger und Sammler aus der Steinzeit, der, was er unter Gefahr, Schmerz und Qualen einmal an sich gerafft hat, auf gar keinen Fall wieder hergeben möchte. Nicht einmal dann, wenn das betreffende Objekt ganz sicher nie wieder Verwendung finden wird.
Ich zum Beispiel bewahrte viele Jahre lang ein analoges Telefon im Dachboden auf. "Kann man ja vielleicht irgendwann nochmal gebrauchen", war der naive Gedanke, der dahinter steckte. Das einzige, wozu man das Telefon heute noch gebrauchen kann, ist, junge Leute zu veräppeln ("Weißt Du, was das ist? Nein? Außerirdische haben mir dieses Teil eines Nachts durchs Schlafzimmerfenster reingereicht und gesagt, ich solle einfach die Tastenkombination 1-2-3 drücken, wenn ich mal Hilfe bei der Steuererklärung brauche").
Die Lesebrille sollte nicht weggeworfen werden
Deshalb muss man sich von der psychischen Fessel "Kann man ja vielleicht noch mal gebrauchen" befreien. Die Aufräumberaterin lässt ihre Kunden daher jeden Gegenstand an der Frage messen, ob er noch "Freude bereitet". Lautet die Antwort "nein", dann heißt das: Weg damit. Ein ganz gefährlicher Ansatz. Denn wem bereitet zum Beispiel seine Schneeschaufel Freude? Oder sein Impfpass? Der Tacker? Der Wecker? Die Frischhaltefolie? Die Lesebrille? Man sollte, auch wenn sie einen wahrscheinlich nicht direkt in euphorische Stimmung versetzen, solche Sachen nicht einfach wegschmeißen.
Also wird man davon ausgehen dürfen, dass sich die Macht-das-Freude-Frage eher auf Kleidungsstücke, Dekoartikel oder andere Accessoires bezieht. Das bringt einen aber leider auch nur bedingt voran. Denn die einzige Mütze, die meine Ohren beim Langlaufen wirklich warm hält, gehört zu meinen kleiderschrank-internen Preisträgern beim Wettbewerb um die verfehlteste Optik. Freude macht sie insofern nicht. Das gilt auch für die komplett geschmacksbefreite Zuckerdose, ein Geschenk der Tante. Sie kann ohne das Risiko einer familiären Krise ebenfalls nicht aussortiert werden.
Aber zum Glück unterliegen die meisten Gegenstände einem natürlichen Alterungs- beziehungsweise Schwundprozess. Was war ich froh, als ein Blumentopf in Marienkäferform (kam zusammen mit der Zuckerdose ins Haus) beim Staubwischen endlich einen Unfall hatte. Jetzt muss nur noch bei der gruseligen Winterwanderhose der Reißverschluss kaputt gehen, und ich kann endlich wieder zum Einkaufen.