Mittlerweile gibt es Berufsbilder, auf die der durchschnittliche Nachkriegsstraßenbahnschaffner noch nicht mal in seinen allerkühnsten Träumen gekommen wäre: den "Pubertäts-Überlebenstrainer" beispielsweise, eine Unterart des ebenfalls noch relativ neuartigen Erwerbszweigs "Erziehungscoaching".
Der Pubertäts-Überlebenstrainer bringt Eltern bei, wie sie mit ihren heranwachsenden Kindern koexistieren können, ohne dass eine der beiden Parteien die gemeinsame Wohnung verlassen muss. Wer sein Leben mit einem oder gar mehreren Teenagern teilt, wird eine ungefähre Vorstellung davon haben, warum die Dienste von Erziehungscoaches tatsächlich in Anspruch genommen werden.
Horror vor dem Sonntagsspaziergang
Der gemeine Pubertierende zeichnet sich durch Eigenschaften aus, die mit einem friedlichen Erwachsenenalltag schlicht nicht in Einklang zu bringen sind. Wenn er kann, schläft er bis 13 oder 14 Uhr (also an den Wochenenden und in den Ferien). An allen anderen Tagen sitzt seinen Eltern morgens ein knapp an seiner Belastungsgrenze operierender Schlaftrunkener ausgelaugt und willenlos gegenüber.
Mit der Willenlosigkeit ist es allerdings vorbei, sobald der Teenager von seinen Eltern zur Teilnahme an gemeinsamen Freizeitaktivitäten aufgefordert wird. Dann weiß er ganz genau, was er will: auf keinen Fall mitmachen. Die Ablehnung des Angebotes wird umso vehementer vorgebracht, je unerträglicher der Freizeitvorschlag dem Teenager erscheint. An erster Stelle der No-Gos rangiert, und das ist wohl bereits seit Jahrzehnten so, die Wanderung (in ihrer unsportlichen Form auch als Sonntagsspaziergang bekannt). Danach kommt alles andere.
Zu peinlichen Eltern wird Abstand gehalten
Vor Probleme stellt diese Haltung Eltern vor allem im gemeinsamen Urlaub. Da man während dieser Zeit den Teenager nur schlecht allein zu Hause lassen kann, fällt die übliche Lösungsstrategie weg (den Pubertierenden seinem Zimmer samt zugehöriger Unterhaltungselektronik zu überantworten). In solchen Fällen rät der Erziehungscoach übrigens zu demokratischer Urlaubsplanung: Der Teenager soll mitbestimmen können, was gemacht wird. Und die Eltern müssen akzeptieren, dass ihr Kind in der Öffentlichkeit gebührenden Abstand zu ihnen hält, um sich die Peinlichkeit zu ersparen, von Dritten mit ihnen in Verbindung gebracht zu werden.
Noch heute bewundere ich meine Eltern für ihr Durchhaltevermögen vor 30 oder so Jahren. Einen Erziehungscoach brauchten sie nicht, und von demokratischer Urlaubsplanung hatten sie auch noch nie etwas gehört. Sie haben meine Allüren mit dem allergrößten Erfolg einfach ausgesessen: Heute bin ich Frühaufsteher, und ich gehe unheimlich gern wandern.