Angelika Geißendörfer kommt aus Mittelfranken. Die Schneiderei hat sie in Bad Windsheim gelernt. Ihre Handarbeitslehrerin hat sie auf die Idee gebracht, sich dem Beruf der Schneiderin zuzuwenden. Nach der Ausbildung hat sie in einem Betrieb in Herbolzheim Polizeiuniformen genäht, eine eintönige Arbeit, wie sie sagt. Nach Aub brachte sie die Liebe: Ihr Ehemann Helmut wohnte hier in dem Haus in der Mühlstraße mit seinen Eltern. Ihre damalige Chefin redete ihr zu, sich doch selbständig zu machen. So richtete sie sich im Erdgeschoss des Elternhaus ihres Ehegatten ihre kleine Schneiderei ein.
"Flickschneiderei" heißt das offiziell. Über Arbeit kann sie in Aub nicht klagen. Neue Sachen schneidert sie normalerweise nicht, nur Änderungen. Ihre Kunden, sagte sie, kommen "querbeet." Zu ihr kommen Leute, die freiwillig oder krankheitsbedingt abgenommen haben, die Sachen kürzer machen lassen wollen, enger oder weiter. "Heutzutage wird nicht mehr so viel weggeworfen." Wenn jemand in der Stadt Sachen eingekauft hat und die nicht ganz passen, kommt er oder sie zur Schneiderin. "Aub hat ein großes Umland," erklärt sie. Bei großen Sachen wie Gardinen geht ihr auch schon einmal Ehemann Helmut zur Hand.
Als Selbstständige kann sie zu Hause arbeiten, muss nicht zur Arbeit fahren und kann sich die Zeit frei einteilen. Zwar gibt es auch andere Schneiderinnen im Umland, aber es gibt Arbeit für alle. Neue Kunden kann sie derzeit kaum noch annehmen. Einige ihrer Stammkunden kommen von weit her, von Schweinfurt und Aschaffenburg, aus ihrer Heimat und sogar aus Köln. Zu ihren Kunden gehören aber auch Ausländer aus dem Asylbewerberwohnheim. "Da ist die Verständigung nicht immer so einfach, aber die kommen meist zu mehreren, da kann dann schon einer übersetzen.
Immer schwieriger wird nach ihren Erfahrungen die Beschaffung von Stoffen und Zubehör. "Die Kurzwarenhändler werden immer weniger," stellt sie fest. In Würzburg hat erst wieder ein Großhändler zugemacht. Passende Reißverschlüsse beispielsweise bekommt sie am besten über Bekannte in Bekleidungsläden.
Nebenbei arbeitet sie auch ehrenamtlich. So hat sie erst vor kurzem für die Sternsinger aus Burgerroth genäht. Sie besserte die Kostüme der Stadt für die Kirchweihumzüge aus. Für die Auber Narrhutia näht sie Kostüme fürs Männerballett, für die Crazy Girls oder Westen für die Mitglieder des närrischen Komitees. Diese Arbeiten erledigt sie unentgeltlich, das sieht sie als Werbung.
Ein anderes Hobby ist das Sammeln von Fingerhüten. Eine Vitrine davon hat sie schon beieinander. Zu Weihnachten hat sie erst wieder einige geschenkt bekommen, hat ihre Sammlung vervollständigt. Ein Ausstellungsstück ganz anderer Art ist der Hochzeitsanzug ihres Urgroßopas. Den bewahrt sie auf, der ist schon mehr als ein Jahrhundert alt. Gezeigt wird er allerdings nur zu besonderen Gelegenheiten.
Gerne würde sie auch Lehrlinge ausbilden, ihr Wissen und Können weitergeben. Nach der Änderung der Handwerkerordnung könnte sie das. Aber die Auflagen dazu sind zu hoch. Sie müsste einen Aufenthaltsraum anbieten können, sanitäre Anlagen. Das ist ihr derzeit jedoch nicht möglich.
"Im Schneiderhandwerk ist es üblich," erzählt Angelika Geißendörfer, "dass einer Auszubildenden in der Lehrwerkstatt das Hochzeitskleid genäht wird." Das hat den Hintergrund, dass nach alten Überlieferungen jede Nadel, die eine junge Frau beim Fertigen des Hochzeitskleides verwendet, eine Träne in der Ehe nach sich zieht. So fertigt eben die Meisterin und die Kolleginnen das Hochzeitskleid. Unglück bringt es auch, wenn sich eine Schneiderin Stecknadeln schenken lässt. Solche Geschenke nimmt sie deshalb gar nicht erst an.
Ihr eigenes Brautkleid hat sie sich allerdings selbst, über einen Lieferanten. Es war ein besonders aufwändig gefertigtes Kleid. Sie fand es schade, dass es nur einmal Verwendung finden sollte. Dann aber ergab sich doch noch eine Gelegenheit, das Brautkleid ein zweites Mal zu tragen. Vor einigen Jahren war sie Faschingsprinzessin der Auber Narrhutia. Dazu wurde das weiße Brautkleid kurzerhand in der Waschmaschine blau gefärbt und bei den Prunksitzungen erneut getragen.