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WÜRZBURG: Schuster: „Zahl antisemitischer Vorfälle hat zugenommen“

WÜRZBURG

Schuster: „Zahl antisemitischer Vorfälle hat zugenommen“

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    _ Foto: Daniel Peter

    Antijüdische Ressentiments habe es immer schon gegeben. Da macht sich Josef Schuster, seit 2014 der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, keine Illusionen. Deutlich gestiegen aber sei die Bereitschaft, sie offen zu artikulieren, so Schuster im Interview.

    Frage: Herr Schuster, wo und wie erleben Sie aktuell Antisemitismus in Deutschland?

    Josef Schuster: In vielen Großstädten, vor allem in Vierteln mit einem hohen Anteil arabischstämmiger Menschen, aber auch dort, insbesondere im Ruhrgebiet und in den östlichen Bundesländern, wo es in einzelnen Vierteln oder Regionen viele Rechtsradikale gibt, erleben wir offenen Antisemitismus.

    Wie äußert der sich?

    Schuster: Er äußert sich oft in verbalen Beschimpfungen, aber auch in Rempeleien und körperlichen Angriffen wie Fall des Berliner Rabbiners Daniel Alter sowie in Übergriffen auf jüdische Einrichtungen wie Synagogen und Friedhöfe.

    Wie sieht es bei uns in Franken aus?

    Schuster: Da haben wir solche Erfahrungen bislang zum Glück nicht gemacht.

    Hat der Antisemitismus im Vergleich zu früheren Jahren zugenommen?

    Schuster: Die Zahl antisemitischer Vorfälle hat deutlich zugenommen. Ich glaube aber nicht, dass es heute mehr Menschen gibt mit antijüdischen Ressentiments als früher. Allerdings ist man heute vielmehr bereit, diese Ressentiments offen zu artikulieren. Besonders einfach geht das in den sozialen Medien.

    Ist das Internet die einzige Erklärung?

    Schuster: Das ist eine Erklärung. Hinzu kommt, dass rechtspopulistisch bis rechtsextrem eingestellte Politiker mit ihren Äußerungen vom Schuldkult oder vom Mahnmal der Schande den Weg ebnen, um rote Linien, die es in unserer Gesellschaft zu Recht gab, zu verschieben.

    Welche Rolle spielt die Zuwanderung aus Ländern, wo Judenhass teilweise auch staatlicherseits gepredigt wird.

    Schuster: Die spielt bei all dem, was ich so im Internet finde, im Moment eher nur eine kleine Rolle.

    Hellhörig wird der Zentralrat, wenn es Kritik an Israel gibt. Es ist aber auch für Gutwillige nicht immer ganz einfach, die Politik dort zu kritisieren, ohne sich dem Verdacht des Antisemitismus auszusetzen. Wo verläuft die Grenze?

    Schuster: Die Grenze kann man ganz klar ziehen. Kritik an Entscheidungen der israelischen Regierung zu üben, ist absolut legitim. Genauso wie hierzulande die Entscheidungen der Bundesregierung, der Kanzlerin oder einzelner Minister kritisiert werden dürfen. Das ist Demokratie, das gilt auch für Israel. Wenn ich aber das ganze Land und seine Bewohner verunglimpfe oder das Existenzrecht Israels in Frage stelle, dann ist das keine legitime Kritik mehr. Ebenso wenig, wenn man alle Juden in Haftung nimmt für die israelische Politik.

    Wenn Fahnen brennen, brennen dann jüdische Symbole oder staatliche Symbole?

    Schuster: Es kommt darauf an. Der Davidstern allein ist ein jüdisches Symbol. Wenn die hellblauen Streifen dabei sind, ist es die Flagge Israels. Unabhängig von dieser Unterscheidung, halte ich mit dem Verbrennen von Flaggen ganz generell die Grenze der Meinungsfreiheit für überschritten, egal ob das jetzt Israel betrifft oder andere Staaten.

    Braucht es für solche Fälle schärfere Gesetze?

    Schuster: Es braucht präzisere Gesetze.

    Müssen Politik und Sicherheitsbehörden in Deutschland mehr tun, um Juden zu schützen?

    Schuster: Seitens der Sicherheitsbehörden, wird das, was notwendig und machbar ist, auch getan. Ab und an muss man vielleicht ein bisschen nachjustieren. Was die Politik betrifft, bin ich froh, dass der Bundestag nun beschlossen hat, einen Antisemitismus-Beauftragten einzusetzen.

    Das ist vor allem ein symbolischer Akt.

    Schuster: Einen symbolischen Akt brauchen wir nicht. Es geht um konkrete Arbeit gegen Antisemitismus. Vor vier Jahren hat der unabhängige Expertenkreis einen ersten Antisemitismus-Bericht vorgelegt. Dieser ist gleich in der Schublade gelandet. Jetzt gibt es einen neuen Bericht, 200 Seiten mit vielen guten Ideen. Zu schauen, welche sind wie umsetzbar und wie verändert sich die Situation, das wäre Aufgabe eines Antisemitismus-Beauftragten. Er gehört meiner Meinung nach ins Bundeskanzleramt. Nur dort hat er Zugriffsmöglichkeiten in die verschiedenen Ministerien.

    Was wäre so eine gute Idee?

    Schuster: Unter anderem geht es um Bildung, um Möglichkeiten, mit Hilfe der modernen Medien gegen Antisemitismus vorzugehen. Einer der Punkte, den auch ich immer wieder aufgreife, ist die Empfehlung, den Besuch von KZ-Gedenkstätten für Schüler oberer Klassen zur Regel zu machen.

    Warum tut sich die Politik so schwer, dies umzusetzen?

    Schuster: Das müssen Sie die Politik fragen. Von Bayern kann man sich da schon einiges abgucken, dort sind die Besuche in den ehemaligen KZs Dachau oder Flossenbürg zumindest für Gymnasiasten und Realschüler die Regel. Es gibt aber auch kritische Stimmen aus den Gedenkstätten. Dort will man Gruppen nicht einfach durchschleusen, die wünschen sich bessere personelle und technische Ressourcen, um die Schüler auch pädagogisch sinnvoll bei solchen Besuchen zu begleiten.

    Am 27. Januar ist Holocaust-Gedenktag. Warum bleibt der wichtig?

    Schuster: Er bleibt deshalb wichtig, um immer wieder deutlich zu machen, wohin menschliches Handeln führen kann, und vor allem auch klarzumachen, dass ein solches Handeln, wie man es in der Nazizeit erlebt hat, sich nicht wiederholen darf.

    Manche Juden beklagen, sie würden nur als Opfer wahrgenommen. Können Sie das nachvollziehen?

    Schuster: Das kann ich nachvollziehen. Umso wichtiger ist es mir, Judentum nicht auf die Jahre 1933 bis 1945 zu reduzieren. Jüdisches Leben in Deutschland gab es vorher schon viele Jahrhunderte lang, in Würzburg zum Beispiel schon im elften Jahrhundert. Und auch nach der Schoa gibt es wieder jüdisches Leben.

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