Bisher jagten sie Verbrecher, ab Dienstag stehen sechs erfahrene Ermittler des Landeskriminalamtes (LKA) selbst in Nürnberg vor Gericht: Ein Spitzel beschuldigte sie in einem Prozess in Würzburg, bei seinen Straftaten beide Augen zugedrückt zu haben
Bei den „Bandidos“ eingeschleust
Im Polizeijargon heißen die zwielichtigen Figuren aus dem kriminellen Milieu, die als Spitzel gewonnen werden, V-Personen. V steht für das Vertrauen, dass die Ermittler in den gerade aus dem Gefängnis entlassenen Spion Mario W. setzten, als sie ihn 2011 bei der Rockerbande „Bandidos“ einschleusten, um Hinweise auf Straftaten zu bekommen. Ob die Beamten in der heiklen Zusammenarbeit mit dem Spitzel aus Münnerstadt (Lr. Bad Kissingen) zu weit gingen, soll nun das Landgericht Nürnberg entscheiden.
Er wähnte sich geschützt
Der mehrfach vorbestrafte Mario W. wähnte sich nach seiner Anwerbung geschützt vor Strafverfolgung. Er wurde während dieser Tätigkeit immer wieder bei Straftaten auf eigene Rechnung erwischt – und aus unangenehmen Situationen herausgeholt.
Zwei Ermittlern der Nürnberger LKA-Außenstelle wird Beteiligung am Diebstahl von Baggern in Dänemark durch den V-Mann und die Rocker vorgeworfen, einem Beamten uneidliche Falschaussage, einem anderen Betrug und uneidliche Falschaussage in drei Fällen. Vier Beamten wird zur Last gelegt, von der Beteiligung des V-Mannes an dem Baggerdiebstahl gewusst zu haben.
Tacho zurückgedreht?
Neben diesen Anklagen gibt es eine eher profane: Ein Mietwagen für den Spitzel wäre dem LKA im Nachhinein teuer gekommen. Denn der war mit dem Mercedes viel mehr unterwegs als gedacht. Das hätte teure Nachzahlungen bedeutet – wenn nicht der Tacho wie bei einem betrügerischen Autohändler zurückgeschraubt worden wäre. Davon soll einer der Beamten gewusst haben.
Als W. im Herbst 2011 bei der Einreise aus Tschechien mit Drogen erwischt wurde, war die Zusammenarbeit abrupt zu Ende. Aus der Untersuchungshaft drohte er dem LKA zunächst mit der Offenlegung seiner Tätigkeit als V-Mann, wenn er nicht freigelassen werde und in ein Zeugenschutz-Programm komme. Als sich der Staat nicht erweichen ließ, machte er seine Drohung wahr.
Schlechter Bericht für den Landtag
Als das Innenministerium den neugierig gewordenen Abgeordneten des Landtages einen (vom LKA vorbereiteten) unvollständigen und in Teilen falschen Bericht zur Zusammenarbeit mit dem V-Mann lieferte, war die Affäre komplett. Sogar der Verdacht politischer Mauschelei keimte. Doch die von manchen Medien kolportierte Einflussnahme eines LKA-Beamten auf das Verfahren über zwei unterfränkische Landtags-Abgeordnete zu Innen-Staatssekretär Gerhard Eck stellte sich als Seifenblase heraus. Von einem Untersuchungsausschuss ist im Landtag schon lange nicht mehr die Rede.
Aber interne Ermittler der Nürnberger Kripo stießen reihenweise auf erklärungsbedürftige Vorgänge in dem Graubereich, in dem sich Einsätze solcher Spitzel oft bewegen: Es entstand der Eindruck, das LKA habe dem V-Mann zunächst zu lange Leine gelassen. nachher habe man dies dies mit Hilfe manipulierter Akten und falscher Aussagen vor Gericht zu vertuschen versucht.
Geheimnistuerei
Zunächst hatte das LKA mit Geheimnistuerei den Verdacht, hier sei etwas faul, eher vertieft als entkräftet. LKA-Beamte wurden im Würzburger Prozess gegen den Ex-Spitzel nur geheim vernommen, hatten selbst da nur eine begrenzte Aussagegenehmigung und schwiegen zu den Erzählungen des Angeklagten weitgehend. Dafür gaben Prozessbeobachter des LKA insgeheim Details aus dem Verfahren weiter, um Aussagen abstimmen zu können.
Nichts protokolliert
Selbst über das, was ihre Kollegen im Zeugenstand überhaupt zur Rolle des Spitzels (und ihre eigene) sagten, gibt es keine gesicherten Erkenntnisse. Weil die Aussagen in Würzburg 2012 und 2016 nicht wörtlich protokolliert wurden, muss sich das Nürnberger Gericht jetzt auf Jahre zurück liegende Erinnerungen und persönliche Notizen von Beteiligten stützen.
Ob sich auf der Grundlage eine Falschaussage vor Gericht beweisen lässt, muss sich zeigen.
Immenser Flurschaden
Der Flurschaden für das LKA ist immens. Jegliche V-Mann-Tätigkeit in heiklen Bereichen wie Drogenhandel oder Extremismus soll praktisch zum Stillstand gekommen sein, sagen Insider. Der Fall nagt an der Glaubwürdigkeit der Elite-Ermittler. Und sechs erfahrene Kriminalisten dort, darunter der zeitweilige Untersuchungsleiter zur Oktoberfest-Ermittlung, werden plötzlich Gegenstand von Nachforschungen wie die kleinen und großen Gauner, gegen die sie jahrzehntelang ermittelten.
Spitzel als Kronzeuge
In Nürnberg soll der V-Mann – der vergangene Woche nach Verbüßen seiner Strafe freigelassen wurde – Anfang Dezember seinen großen Auftritt als Kronzeuge der Anklage haben. Wo er nach seiner Entlassung untergetaucht ist, blieb geheim. Er fürchte die Rache der Rocker, hatte er immer wieder betont. In den Zeugenstand müssen wohl auch zahlreiche Juristen und Strafverfolger aus Würzburg sowie die Verteidiger des V-Mannes.
Für den Prozess sind 30 Verhandlungstage angesetzt. Mit einem Urteil ist im März 2018 zu rechnen.